Publiziert am: 20.10.2023

«Wichtig und dringend»

Unternehmenserbrecht – Der Nationalrat hat die Vorlage zum erleichterten Vererben von KMU angenommen. Erbrechtsexperte Balz Hösly erklärt im Interview, weshalb es nun – im zweiten Anlauf – auch ein Ja des Ständerats zu dieser Vorlage braucht. Und wieso eine solche Auffangnorm nötig ist.

Schweizerische Gewerbezeitung: Hat Sie die Annahme durch den Nationalrat ĂĽberrascht?

Balz Hösly: Nein – überrascht hat mich vielmehr die Ablehnung durch die Rechtskommission des Ständerates. Die Zustimmung zur Vor-lage in der Vernehmlassung war überwältigend, und die gesamte Wissenschaft und Praxis stehen dahinter. Es geht hier um ein jahrzehntealtes erbrechtliches Anliegen, das jetzt endlich spruchreif wäre. Konkret um eine Verbesserung für die KMU, die in einen Nachfolgeprozess eintreten – immerhin mehr als 15 000 pro Jahr. Gerade jetzt, wo die Babyboomer-Generation abgibt, sind diese erbrechtlichen Erleichterungen für die Unternehmensnachfolge wichtig und dringend.

«Die einvernehmliche Regelung einer Unternehmens-nachfolge ist der Königsweg. das respektiert die Vorlage.»

Der Nationalrat hat an der bundesrätlichen Vorlage Änderungen vorgenommen. Sind diese eher marginaler oder grundsätzlicher Natur?

Die Änderungen sind schon bedeutend. Der Nationalrat hat den Schutz der Miterben verdeutlicht und verstärkt. So soll der Zeitraum, für den ein Nachfolger die Stundung seiner erbrechtlichen Ausgleichs- oder Kompensationszahlungen an die Miterben verlangen kann, maximal fünf und nicht mehr zehn Jahre betragen. Der Richter kann zudem allen Beteiligten in Zusammenhang mit Stundungen und Zahlungserleichterungen zum Schutz der Miterben weitere Rechte und Pflichten auferlegen.

Mit dem Weglassen von ein-fachen Gesellschaften hat der Nationalrat ausserdem den Kreis der erbrechtlich erfassten Unterneh-men enger und klarer definiert. Damit können Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden.

Handelt es sich bei der geänderten Vorlage immer noch um eine reine Auffangnorm?

Ja, klar. Das ist überhaupt der wichtigste Punkt. Die geänderte Vorlage ist und bleibt ein Auffangnetz. Das heisst: Die neuen erbrechtlichen Regelungen gelten nur dann, wenn die Betroffenen selbst – also zum Beispiel die Unternehmerfamilie – keine andere Regelung getroffen haben. Eine innerfamiliäre, einvernehmliche Regelung einer Unternehmensnachfolge ist immer anzustreben und auch der Königsweg. Diesen respektiert die Vorlage, weil das neue Gesetz nur dann greifen soll, wenn es einem Unternehmer oder einer Unternehmerin nicht möglich war, eine geeignete Regelung zu treffen, zum Beispiel weil ein Schicksalsschlag sie überraschend getroffen hat oder die Familie im Streit liegt und sich nicht einigen konnte.

Die neuen Regelungen erleichtern indirekt auch die einvernehmliche Übernahme eines Familienunternehmens durch einen Erben. Sie üben nämlich einen gewissen «sanften Zwang» aus, der die Beteiligten dazu veranlassen soll, primär eine eigene und einvernehmliche Lösung zu finden.

«Es geht hier um eine Verbesserung für die KMU, die in einen Nach-folgeprozess eintreten – immerhin mehr als 15 000 pro Jahr.»

Weshalb sollte der Ständerat der nun vom Nationalrat angenommenen Vorlage zustimmen?

Einerseits weil die Erleichterung der Unternehmensnachfolge ein wichtiges Thema ist. Praxis und Wissenschaft sind sich einig, dass das heutige Erbrecht zahlreiche «Stolpersteine» für die Unternehmensnachfolge von KMU aufweist. Auch die Vernehmlassung hat dies klar dokumentiert.

Mit den Änderungen des Nationalrates wurden verschiedenen Bedenken des Ständerates Rechnung getragen, der Schutz der Miterben verstärkt und der Unternehmensbegriff enger gefasst. Der Nationalrat hat dem Ständerat damit eine «goldene Brücke» gebaut, die ihm erlaubt, sich mit der Vorlage noch einmal seriös zu befassen.

Hat die Vorlage im Ständerat eine Chance? Dieser ist zuerst nicht einmal darauf eingetreten.

Ich denke, die Haltung des Ständerates wurde stark durch den Antrag seiner Rechtskommission vorbestimmt. So, wie ich informiert bin, gab es hier verschiedene Missverständnisse und Unklarheiten, die zur Ablehnung der Vorlage führten. Vor allem wurde sie mit den (zum Teil umstrittenen) Regelungen des bäuerlichen Erbrechts verglichen, obwohl sie total anders konzipiert ist. Das bäuerliche Erbrecht enthält zwingende Bestimmungen, die in die Privatautonomie eingreifen.

Die Erleichterungen der gewerblichen Unternehmensnachfolge sind aber, wie gesagt, nur ein Auffangnetz und lassen den Beteiligten den Spielraum, eine eigene und individuelle Lösung zu finden. Ich hoffe, dass dies der Ständerat letztlich auch so sieht und den Interessen von Familienunternehmen Rechnung trägt.Interview: Rolf Hug

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