Publiziert am: 19.01.2024

«Der Staat nimmt uns die Leute weg»

ARBEITSMARKT – Eine Art Kurtaxe einführen? Mehr Teilzeitarbeit ermöglichen? Die Akademisierung bremsen? Um den Fachkräftemangel zu stoppen, kursieren diverse Lösungsvorschläge.

Welche möglichen Lösungen gibt es für KMU rund um das Problem des Fachkräftemangels? Um diese Frage ging es am späteren Donnerstagnachmittag in Klosters.

Obwohl Fachkräftemangel gar nicht mehr das richtige Wort sei: «Wir haben jetzt einen generellen Arbeitskräftemangel», stellte Boris Zürcher, der Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), in seinem Vortrag fest. Denn: «Wir sind mittendrin in der demografischen Wende. Bereits heute verlassen mehr Leute den Arbeitsmarkt, als neue eintreten.»

«Klar zum Positiven verändert»

Zürcher präsentierte dabei diverse Zahlen. So wurden in den letzten zehn Jahren rund 650 000 Stellen geschaffen, davon knapp 200 000 im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens. Jedoch seien beispielsweise in der arbeitsintensiven Pflege Produktivitätssteigerungen nicht sehr einfach möglich. Die Erwerbsquote der Schweizer sei im selben Zeitraum auf knapp 85 Prozent angestiegen. Die Anzahl Stunden, die ein Erwerbstätiger arbeitet, habe in den letzten Jahren allerdings abgenommen.

Zürchers Fazit: «Der Arbeitsmarkt wächst über seinem demografischen Potenzial.» Die Potenziale von Frauen und Senioren würden vergleichsweise sehr gut ausgeschöpft. Kritisch äusserte er sich zu Kita-Subventionen. Ob Frauen deswegen mehr arbeiten würden, sei ungewiss. «Es gibt Studien, die dagegensprechen.»

Die Stossrichtung seines Vortrags war dabei klar: Die Schweiz ist auf die Zuwanderung vor allem via Personenfreizügigkeit (PFZ) angewiesen, damit sie annähernd an die Anzahl Fachkräfte kommt, welche sie braucht. «Das Land hat sich in den letzten 30 Jahren klar zum Positiven verändert. Ein bisschen weniger Zuwanderung wäre mir aber auch lieber.»

«Schulen voll», «Notfall voll»

Ganz anderer Meinung bezüglich Personenfreizügigkeit war Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Er erklärte in seinem Vortrag, «warum Zuwanderung keine Lösung ist». Sie senke zwar den Fachkräftemangel: Aber nur, wenn keine Knappheit herrsche. In der Schweiz sei jedoch das Gegenteil der Fall: «Die Schulen sind voll, der Notfall ist voll, und fast alle Wohnungen sind belegt.» Der Hammer komme aber erst noch. «Wir müssen alles ausbauen, aber das Geld ist schon weitgehend ausgegeben.»

Und sei der Fachkräftemangel nach 17 Jahren Personenfreizügigkeit etwa gesunken, fragte der Ökonom. «Nein, natürlich nicht.» Dem Normalbürger sei das eher klar. Dieser schaue auf seine Lebensqualität und das BIP pro Kopf. Die von Eichenberger als «Spezialbürger» bezeichnete Elite – CEOs von Grossfirmen, Spitzenfunktionäre in Verbänden und Politik – schauten hingegen auf das BIP insgesamt. Zuwanderung bringe dieser Elite vor allem «Vitamin 3B» – Budget, Bedeutung, Boni.

Doch was wirkt gegen den Fachkräftemangel? Eichenberger schlägt unter anderem «einen Vielarbeitsabzug bei den Steuern» vor, damit es sich wieder stärker lohnt, (viel) zu arbeiten. Als weiteren Lösungsansatz sieht er eine tiefere Besteuerung des Einkommens von Alten, damit diese freiwillig länger arbeiten. Um die Zuwanderung klug zu lenken, plädiert er für einen «Aufenthaltspreis» – eine Art «Kurtaxe».

Vermehrt Numerus clausus

Zum Abschluss diskutierten Vertreter diverser Branchenverbände über den Umgang mit dem Fachkräftemangel. Einig waren sich alle darin, dass sie das Image der Berufslehre und im Speziellen ihres Berufs aufbessern müssen. «Wir sind eine coole Branche», sagte Marcel Voyame, Geschäftsführer Verband Sonnenschutz und Storentechnik Schweiz (VSR), und sprach sich für bessere Rahmenbedingungen aus. Ähnlich äusserte sich Marcel Durst, Geschäftsführer Association Spitex privée Suisse (ASPS): «Wir müssen in der Pflege den Stress abbauen.» Ausserdem plädierte er dafür, dass es im Gesundheitswesen nicht noch mehr staatliche Interventionen geben dürfe.

«wir brauchen Praktiker.»

Silvia Fleury, Direktorin Schweizerischer Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV), hob die Wichtigkeit der Teilzeitarbeit hervor. «50 Prozent der Lernenden bei den Malern sind Frauen.» So gebe es in ihrer Branche auch Wiedereinstiegskurse, zum Beispiel nach der Baby-Pause. Ausserdem sprach sie sich zur Stärkung der Berufslehre gegen eine weitere Akademisierung aus. «Vielleicht müsste man vermehrt den Numerus clausus einführen.»

In eine ähnliche Richtung äusserte sich Casimir Platzer, Präsident GastroSuisse. «Der Staat ist schuld an der Akademisierung, weil er die Akademiker anstellt. Ausserdem nehmen er und die staatsnahen Betriebe uns die Leute weg.» Bundesangestellte beispielsweise verdienten im Schnitt zwölf Prozent mehr als in der Privatwirtschaft. «Wir müssen bei diesen attraktiveren Anstellungsbedingungen ansetzen. Denn wir brauchen Praktiker.»

hug

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