Publiziert am: 02.02.2024

Auch die Schweiz lebt über die Verhältnisse

In seiner Ansprache zum 100-Jahr-Jubiläum des Schweizerischen Gewerbeverbands 1979 sagte es der legendäre, bodenständige Verbandsdirektor Otto Fischer direkt und unverblümt, wie es seine Art war: «Das gewerbliche Unternehmertum darf nicht mit dem Hut in der Hand zur Obrigkeit gehen, um Hilfe oder Schutz zu erbitten. Das selbstbewusste und stolze schweizerische Gewerbe fordert vielmehr von den Behörden, dass man es in Ruhe lässt.»

Recht hatte er – und dieser Geist der stolzen Eigenständigkeit lebt noch immer. Vor wenigen Tagen, am 10. Januar, hielt ich anlässlich der sgv-Winterkonferenz eine Rede beim Gewerbe. Schnell habe ich gemerkt: Bei den Gewerblern braucht es nicht komplizierte, hochmathematische Berechnungen oder umfangreiche Befragungen über die Befindlichkeiten der Bürger, um den Zustand der Volkswirtschaft zu erkennen. So wie in seinem Unternehmen geht der Gewerbler auch in der Politik vor: Es genügt der Blick ins staatliche Budget. Die öffentlichen Finanzen sind ein Fieberthermometer, das Abbild der politischen Richtungsentscheide: unbestechlich, ehrlich, ungefiltert.

In der Politik ist vom Geist des Gewerbes aktuell aber wenig zu spüren. «Politik der Addition» war und ist die Devise für so manches. Mehr Ausgaben. Mehr Subventionen. Mehr Teilzeit. Mehr Staatsangestellte. Mehr Zuwanderung. Mehr Regulierung. Schlicht: Mehr von allem, der Staat – der anonyme Dritte – bezahlt es ja. Fragen der Effizienz und des klugen Abwägens von Zielkonflikten scheinen etwas für ewiggestrige Bünzlis und Bedenkenträger geworden zu sein.

Und das zeigt Wirkung: Unser Staat ist teurer geworden, als manche denken. Er kostet jeden Einwohner 30 000 Franken pro Jahr, Tendenz seit vielen Jahren steigend. Rechnet man die Inflation aus, sind die Schweizer Staatsausgaben seit 1995 um fast drei Prozent gewachsen – pro Jahr. Damit haben sich die Staatsausgaben seit Mitte der 1990er-Jahre mehr als verdoppelt.

Klar: Die Welt ist gleichzeitig komplexer geworden, und die Schweiz ist bevölkerungsmässig gewachsen. Das BIP-Wachstum war im gleichen Zeitraum aber deutlich geringer. Warum also wächst der Staat so viel schneller als die Wirtschaft, die den Staat ja finanziert? Mit Hinweisen auf das Staatswachstum mit immer neuen Krisen, von globalen Finanzkrisen über Pandemiekrisen hin zu Klimakrisen, macht man es sich zu leicht. Denn es fallen zwei Dinge auf: Im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn ist unser Staat mit gut 30 000 Franken pro Kopf und Jahr der teuerste. Und noch wichtiger: Die Ausgaben konzentrieren sich gar nicht auf Krisenbewältigung oder Zukunftsinvestitionen.

Warum brauchen wir beispielsweise alleine beim Bund fast 50 Milliarden Franken an Subventionen? Das sind Zahlungen vom Bund an Dritte ausserhalb des Staates. Klar: Es gibt dabei manche sinnvolle und wohlfahrtsmehrende Aktivitäten. Was aber soll der Sinn von 37 Millionen Franken pro Jahr an eine Immobilienstiftung in Genf sein, die Mieten für reiche internationale Organisationen bezuschusst – und damit den bereits angespannten Immobilienmarkt weiter anheizt? Warum bezuschusst der Bund die Arbeitslosenversicherung mit jährlich 616 Millionen Franken?

Erklären Sie mal einem Rentner, der nie mehr von den Leistungen profitieren kann, warum er mit seinen Steuergeldern das Ganze finanzieren muss – wenn es doch eigentlich die potenziellen Leistungsempfänger selbst über eine Prämienanpassung schaffen könnten bzw. müssten. Was es bräuchte, wären Kostentransparenz und Kostenwahrheit – statt eine schleichende Verwischung der finanziellen Verantwortlichkeiten.

20 Jahre unbeschwerte wirtschaftliche Verhältnisse haben die Schweiz genügsam und träge gemacht. Wir vergleichen uns gerne mit unseren europäischen Nachbarländern, die vor massiven wirtschaftlichen und politischen Problemen stehen, und sagen dann beruhigt: Uns geht’s noch gut. Doch diesem Vergleich mangelt es an Fantasie. Wie wär’s stattdessen mit einer ehrlichen, transparenten Prüfung aller staatlichen Ausgaben, Posten für Posten? Und wäre dies nicht eigentlich Aufgabe eines bürgernahen, bodenständigen Staates?

* Professor Christoph A. Schaltegger leitet das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern.

www.iwp.swiss/team

www.iwp.swiss/institut

www.wirtschaftsbildung.ch/schaltegger-christoph.html

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