Publiziert am: 13.05.2016

Ein optimistischer Blick über die Grenze

Tribüne

Nein, es stimmt nicht, dass die Schweiz in Europa keine Freunde hätte. Als wir am 9. Februar 2014 gegen die Masseneinwanderung abstimmten, trat ich in einer deutschen Fernsehsendung auf, um den Volksentscheid zu erklären. Obschon ich vor den Kameras allein auf weiter Flur stand, erreichten mich weit über 1000 E-Mails deutscher Zuschauer. Sie gratulierten – nicht mir, aber der Schweiz, dass es hier noch möglich sei, überhaupt über solche Fragen abzustimmen. Die meisten wünschten sich sehnsüchtig mehr direkte Demokratie für Deutschland.

Wir werden bewundert

Ähnliches erlebte ich nach dem einschneidenden Entscheid der Nationalbank gegen die Frankenuntergrenze. Ich schrieb in einer deutschen Zeitung gegen einen Schweizer Kollegen, der den Entscheid der SNB zum Anlass genommen hatte, einen Abgesang auf Helvetien anzustimmen. Ich hielt dagegen: Natürlich sei der SNB-Entscheid hart und blutig für unsere Wirtschaft, aber noch schlimmer wäre es gewesen, wenn wir unser Schicksal an Mario Draghis Notenpresse gekettet hätten: Wieder gab es Riesenjubel der Deutschen. Man beneidet uns, weil wir selber über unsere Geldpolitik bestimmen dürfen.

D ie Schweiz wird bewundert. Man schätzt uns als das eigenständigste und weltoffenste, das gleichzeitig nationalste und internationalste Land der Welt. Seit Jahrhunderten leben wir vor, wie es auch noch gehen könnte: Zu Hause ermitteln wir dank der direkten Demokratie massgeschneiderte Lösungen. Diese Unabhängigkeit, diese Ungebundenheit gibt uns eine einzigartige Beweglichkeit auf der Welt. Unabhängigkeit und Weltoffenheit sind keine Gegensätze. Die politische Ungebundenheit der Schweiz ist die Voraussetzung für ihre wirtschaftliche Weltoffenheit. Beides gehört zusammen. Beidem müssen wir Sorge tragen.

Keine Angst vor Brüssel

I  ch bin zuversichtlich für die Verhandlungen mit der EU. Die Differenzen werden übertrieben, das Getöse künstlich geschürt. Die Schweiz hat fast 300 Verträge mit der EU. Wir pflegen intensivste Beziehungen. Die EU exportiert mehr in die Schweiz als umgekehrt. Die Schweiz hält sich strenger an die europäi­schen Verträge als die meisten Mitgliedstaaten der EU. Ausserdem sind wir vermutlich das letzte Land in Europa, das der EU pünktlich die Rechnungen zahlt – ohne dass man ihm vorher einen Milliardenkredit rüberschieben muss.

Der Bundesrat hat sich unnötig in die Defensive drängen lassen. Wir sind weder Trittbrettfahrer noch Rosinenpicker. Die EU behauptet, wir würden von den europäischen Grundfreiheiten profitieren, aber keine Gegenleistung bringen. Das ist falsch. Von den vier EU-Grundfreiheiten – Güter, Personen, Kapital und Dienstleistungen – haben wir nur eine, die Personenfreizügigkeit. Diese wollen wir neu verhandeln, weil die jährliche Zuwanderung zehnmal grösser und für die Sozialwerke belastender war, als uns Brüssel bei Vertragsabschluss in Aussicht gestellt hatte. Ist das frech? Nein. Eine Lösung wird sich finden lassen.

Die Schweiz muss selbständig und unabhängig bleiben. Unser Erfolgsgeheimnis lautet: Wir bestimmen selber über alles, was uns direkt betrifft. Unser Staat muss – müsste – sich nach den Interessen der Leute richten. In der Wirtschaft ist der Kunde König. In unserer direkten Demokratie ist der Bürger der Chef. Politische Klumpenrisiken, einschnürende Verträge, bindendes Senkblei können wir uns nicht leisten. Wir müssen frei sein. Indem wir ungebunden bleiben, werden wir offen für die Welt.

W  ir wollen beste freundschaftliche Beziehungen mit der EU, natürlich, aber deswegen muss man ja nicht gleich heiraten. Wann merken sie es in Bern? Es ist keine gute Idee, dass der Bundesrat in unseren Beziehungen zur EU den Europäischen Gerichtshof als oberste Instanz der Regelauslegung anerkennen will. Das ist das Gleiche, wie wenn im Fussballderby zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich der Schiedsrichter nicht nur Basler, sondern Angestellter des FCB und von diesem bezahlt wäre. Die EU-Richter, die über die Schweiz entscheiden sollen, sind Angestellte der EU und beziehen ihren Lohn aus Brüssel. Das geht nicht.

Solche Argumente werden unsere europäischen Kollegen verstehen. Man muss es nur sagen wollen. Ich bleibe zuversichtlich.

 

*Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel ist Chefredaktor und Verleger des Wochenmagazins «Die Weltwoche».

 

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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