Publiziert am: 12.08.2016

«Künftige Renten gefährdet»

THOMAS DE COURTEN – «Die Perspektiven der Altersvorsorge verschlechtern sich weiter»: Der 
Baselbieter SVP-Nationalrat hält gar nichts von einer Rentenerhöhung im Giesskannensystem.

Schweizerische Gewerbezeitung: In welchem Zustand sind die AHV-Finanzen im Sommer 2016?

n Thomas de Courten: Wir stehen an einer Schwelle von der chronischen, weil strukturellen Unterfinanzierung hin zur desolaten Schuldenwirtschaft. Die AHV schreibt heute schon rote Zahlen. Bisher wurde der Fehlbetrag zwischen wachsenden Ausgaben und sinkenden Beiträgen noch durch das Anlageergebnis des AHV-Vermögens an den Finanzmärkten kompensiert. Aufgrund der schwachen Börse und fehlender Investitionsmöglichkeiten fällt dieser sogenannte dritte Beitragszahler nun zusätzlich auch noch auf absehbare Zeit weg. Damit ver­schlech­tern sich die Finanzperspektiven in der Altersvorsorge erheblich, der Handlungs­bedarf ist umso grösser. Nur mit Mehrwertsteuererhöhungen allein lässt sich das System nicht mehr länger ohne volkswirtschaftlichen Schaden aufrechterhalten.

 

«OHNE REFORMEN GEHT ES MIT DER AHV-FINANZIERUNG STEIL BERGAB.»

Wo wird die AHV 2030 stehen, wenn keine Korrekturmassnahmen eingeleitet werden?

n Ohne weitere Reformen geht es mit der AHV-Finanzierung steil bergab. Bis ins Jahr 2030 fehlen rund 7,5 Milliarden jährlich. Gemäss Prognosen des BSV, die in meinen Augen reichlich optimistisch sind, liegt das Umlageergebnis dann dauerhaft im Minus, und der AHV-Fonds wird auf unter 70 Prozent einer Jahresausgabe geschrumpft sein. Für eine auch in Zukunft sichere AHV sind aber mindestens eine 100%-Jahresausgabe im Fonds und ein ausgeglichenes Jahresergebnis erforderlich.

 

Was halten Sie von der Absicht der AHVplus-Initianten, die Renten im Giesskannensystem pauschal für alle um 10 Prozent zu erhöhen?

n Gar nichts! Die pauschale Rentenerhöhung kostet Milliarden. Sie gefährdet künftige Renten, statt sie zu sichern. Das Gebot der Stunde ist, das Rentensystem zu sichern. Einen Ausbau können wir uns schlicht nicht leisten. Aufgrund des Giess­kannenansatzes profitieren – selbst nach sozialistischer Ideologie – erst noch die Falschen. Hier wird ein unverantwortlicher Sozialpopulismus propagiert, auf dem Buckel der arbeitenden Bevölkerung und mit dem Checkbuch künftiger Generationen.

 

«Eine PAUSCHALE 
RENTENERHÖHUNG 
KOsTET MILLIARDEN.»

Sind denn Personen mit tiefem Einkommen nicht auf diesen Zustupf angewiesen?

n Generell ging es der Rentnergeneration noch nie so gut wie heute. Grundlage dafür ist unser bewährtes Dreisäulenkonzept in der Altersvorsorge. Unbestrittenes Ziel aller politischer Akteure ist es, dieses, das heutige Rentensystem, inklusive Kaufkrafterhalt, nachhaltig zu sichern. Schon diese Herausforderung ist angesichts der höheren Lebenserwartung und der Demografie riesig. Mit dem System der Ergänzungsleistungen sichern wir zudem schon heute ab, dass Personen in bescheidenen finanziellen Verhältnissen nicht durchs soziale Netz fallen.

 

«unverantwortlicher sozialpopulismus mit dem checkbuch künftiger generationen.»

Welche jährlichen Zusatzkosten wären bei einem Ja zu dieser jüngsten Initiative der Linken zu erwarten?

n Bei einem Ja zur Initiative müssten wir 2030 jährlich bis zu 5,5 Milliarden Franken mehr für die AHV bezahlen als heute. Hinzu kommen die 7,5 Milliarden Franken, die auch ohne Initiative schon fehlen. Damit müssten wir Jahr für Jahr ein Loch von 13 Milliarden Franken stopfen.

 

«ScHon nur die sicherung der ahv ist eine riesige herausforderung.»

Wie würde sich dieser Leistungsausbau bei den AHV-Renten auf die Löhne der Beitragszahler auswirken?

n Laut den Initianten sollen die Berufstätigen und die Unternehmen den Leistungsausbau für Rentner bezahlen. Das bedeutet höhere Lohnabzüge für Arbeitnehmer und mehr Lohnnebenkosten für die Unternehmen. In der aktuellen Wirtschaftslage wäre das fatal. Betroffen wären vor allem junge Eltern und Familien, die noch am Anfang ihrer beruflichen Entwicklung stehen. Und zwar genau dann, wenn sie für die Kinder, deren Ausbildung und Betreuung ohnehin die höchsten Belastungen des Familienbudgets gewärtigen müssen. Die Initiative ist deshalb kurzsichtig und unfair.

Welche Auswirkungen wären auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten?

n Steigender Personalaufwand ohne Rentabilitäts- oder Produktivitätsgewinn vernichtet Arbeitsplätze in der Schweiz. Unsere Standortattraktivität wird durch zusätzliche Lohnnebenkosten geschmälert. Daraus resultieren eine Verlagerung bestehender Arbeitsplätze ins Ausland und weniger neue Stellen durch Ansiedlungen von Unternehmen aus dem Ausland.

 

«am ende zahlen die kmu und der mittelstand die zeche.»

Was bedeutet die Initiative «AHVplus» vor dem Hintergrund des nochmals erstarkenden Frankens für die Schweizer Wirtschaft?

n Die heute bereits feststellbare Gefährdung des Werkplatzes Schweiz wird sich weiter akzentuieren.

 

Wie wäre die Exportwirtschaft von einem Ausbau der Leistungen bei der AHV betroffen?

n Sie verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit. In der Regel kann die Export­wirtschaft aber eher ins Ausland ausweichen als die Binnenwirtschaft. Deshalb zahlen am Schluss unser Gewerbe und unsere KMU in der Schweiz die Zeche. Zusammen mit dem berufstätigen Mittelstand. Dort bleibt der schwarze Peter hängen. Und zwar gleich doppelt und dreifach, wenn man auch noch die diversen Mehrwertsteuererhöhungen in Betracht zieht, die für Altersvorsorge, Energiewende, Verkehrsfinanzierung etc. auch noch gefordert werden.Interview: Gerhard Enggist

 

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