Publiziert am: 29.04.2022

Schlechte Schulden – gute Kredite

JAPAN – Während der Rest der Welt gegen die Inflation kämpft oder sich darauf vorbereitet, sie zu bekämpfen, erlebt das Land der aufgehenden Sonne eine Deflation im Dienstleistungsbereich. Wie ist diese Situation zu interpretieren? Zwei Autoren des sgv bieten Erklärungsansätze.

Nach dem Greshamschen Gesetz vertreibt schlechtes Geld gutes Geld. Die Deflation in Japan – leider kein neues Phänomen – ist ein gutes Beispiel dafür. In den 1980er-Jahren hatte das Land der aufgehenden Sonne eine unbestrittene wirtschaftliche und technologische Bedeutung erlangt. Doch seit der Börsen- und Immobilienkrise in den 1990er-Jahren kämpfen die Behörden mit einer lockeren Geldpolitik und steigenden Staatsausgaben gegen den allgemeinen Preisverfall an.

Zunächst wurden die Leitzinsen der japanischen Zentralbank (Bank of Japan) von 6 Prozent im Jahr 1990 auf 0,5 Prozent im Jahr 1995 gesenkt. Allerdings ohne Erfolg. Anschliessend pumpte die Bank of Japan durch massive Käufe von Staatsanleihen Liquidität in das System. Diese keynesianischen Stimuli brachten nicht die erhofften Effekte. Aus dieser Wirtschaftspolitik und den zahlreichen Konjunkturprogrammen, mit denen versucht wurde, eine langsame und schleppende Erholung in Gang zu setzen, kamen nur billige öffentliche Kredite, öffentliche Bauvorhaben, Ausgabendefizite und eine lange wirtschaftliche Stagnation heraus.

Galoppierende Deflation

Im Jahr 2022 thront die Staatsverschuldung bei 266 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wovon 40 Prozent von der Bank of Japan gehalten werden, der Zentralbank, die das Geld ausgibt und die Geldpolitik steuert.

Nichts hilft, die Deflation marschiert weiter, begleitet und genährt von einer demografischen Krise seit über 25 Jahren. Selbst Programme zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung mit älteren Menschen oder Frauen haben letztlich nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt. Diese Allokation zusätzlicher Arbeitskräfte hat sich zudem als wenig produktivitätssteigernd erwiesen.

Sterbendes Bankensystem

Den Lehrbüchern für Wirtschaftswissenschaften zufolge sollte eine solche ausgabengetriebene Liquiditätsspritze und eine expansive Geldpolitik jedoch zu einem Anschein von Inflation führen, vielleicht nicht wie in dem berühmten Fall der von der Reichsbank 1923 geschaffenen Hyperinflation, aber zumindest zu einem Anstieg des Preisniveaus. Allerdings ohne Erfolg. Es stellt sich also die Frage, wohin diese Liquidität fliesst, und warum sie sich nicht auf das Preisniveau auswirkt.

Man muss wissen, dass Japan nach dem Platzen der Aktienblase Ende der 1980er-Jahre und der Immobilienblase in den darauffolgenden Jahren mit einem kollabierenden System und einer maroden Wirtschaft konfrontiert war. Die harten Anpassungen wurden in den Banken nicht vorgenommen, da der Staat die Aufgabe übernahm, Finanzmittel zu injizieren und die Wirtschaft über das Bankensystem an den Tropf zu hängen.

Japan hatte aufgrund der wirtschaftlichen und demografischen Schrumpfung einen Nachfragerückgang zu verzeichnen, und die Banken waren geschwächt und risikoscheu. Die Folge war, und darüber sprechen nur wenige, dass die ausstehenden Kredite an Unternehmen, insbesondere an KMU, geschwächt wurden.

Sieben von zehn arbeiten in KMU

In Japan ist der Anteil der Beschäftigten in KMU mit fast 70 Prozent sehr hoch. Durch die Kombination dieser Effekte mussten sich die KMU bei der Bildung ihres Kapitals nur noch auf die Eigenfinanzierung verlassen. Darüber hinaus neigt in einer Deflationssituation die Schuldenlast zu steigen, und die Vermögenswerte in der Bilanz an Wert zu verlieren. Steigende Produktionskosten schlagen sich in diesem Fall eher in Lohnsenkungen als in Preiserhöhungen nieder.

Banken an KMU-Krediten nicht mehr interessiert

Vor diesem Hintergrund hatten die Banken kein Interesse mehr daran, Kredite an KMU zu vergeben, die sich einer sinkenden Nachfrage und einem Wertverlust ihrer Vermögenswerte gegenübersahen, insbesondere wenn der Staat an ihre Stelle treten würde. Das war ihnen zu riskant. Also warfen sie ihr Augenmerk auf Staatsanleihen, die eine sichere Verzinsung bieten und sich nicht einmal auf ihren Solvabilitätskoeffizienten auswirken, und das alles zulasten von Investitionskrediten für KMU.

Wenn dann noch die demografische Schrumpfung hinzukommt, wird klar, dass die keynesianische Politik nur dazu geführt hat, dass schlechte unproduktive Investitionen die guten verdrängten. Mikael Huber,

Ressortleiter sgv

Preise in JApan

Deflation im Dienstleistungssektor verschärft sich

«In Japan muss man, vielleicht mehr als anderswo, die allgemeine Inflationsdynamik von der zugrunde liegenden Inflation trennen. Erstere ist zwar immer noch moderat (0,5 % im Januar), wird aber voraussichtlich weiter steigen, vor allem aufgrund der höheren Energiepreise. Die zugrunde liegenden Preise hingegen bleiben weitgehend im deflationären Bereich, und diese Dynamik nimmt sogar noch zu. Ohne verderbliche Lebensmittel und Energie fiel der Verbraucherpreisindex (VPI) im Januar im Jahresvergleich um 1,2 % und damit so stark wie seit März 2011 nicht mehr. Die Deflation bei den Dienstleistungen (–2,8 %) war sogar die höchste seit 1970 und ist hauptsächlich auf den Rückgang der Mobilfunkgebühren um mehr als 50 % zurückzuführen.

Hinzu kommen Preissenkungen bei Dienstleistungen Medizin (–0,8 %), für langlebige Haushaltsgüter (–3,0 %) und für Freizeitgüter (–1,1 %). Die japanische Wirtschaft konnte sich jedoch dem Anstieg der Anleihezinsen nicht entziehen: Die 10-Jahres-Zinsen näherten sich der von der Bank of Japan (BoJ) festgelegten Obergrenze von 0,25 %. Als Reaktion darauf verstärkte die Zentralbank am 10. Februar ihre Interventionsmöglichkeiten am Markt für Staatsanleihen, indem sie ankündigte, 10-jährige Anleihen zu einem festen Zinssatz von 0,25 % zu kaufen, falls erforderlich in unbegrenzter Höhe. Im Gegensatz zu den anderen Zentralbanken der Industrieländer, die mit einem deutlich stärkeren Inflationsdruck konfrontiert sind, der eine beginnende Normalisierung ihrer Geldpolitik erfordert, verschafft der Rückgang der Dienstleistungspreise der BoJ erheblichen Spielraum für die Fortsetzung ihrer akkommodierenden Geldpolitik.» Paribas

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