Publiziert am: 06.06.2014

«Sperrung wäre verheerend»

RENE RÖTHLISBERGER – Der Bau eines zweiten Gotthard-Strassentunnels verbessert den Verkehrsfluss auf der Nord-Süd-Achse. Eine Totalsperrung käme den Kanton Uri teuer zu stehen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Der seit 1980 in Betrieb stehende Gotthard-Strassentunnel ist die wichtigste alpenquerende Strassenverbindung der Schweiz. Was bedeutet die Gotthardachse für den Wirtschaftsraum Uri?

n René Röthlisberger: Für den Kanton Uri ist die Verbindung nach Süden nicht nur Tradition, sondern hat auch eine lebenswichtige wirtschaftliche und touristische Bedeutung. Eine temporäre Schliessung ist eine Sackgasse und erzeugt nur Mehraufwand ohne nachhaltigen Nutzen.

«Viele Urner Arbeitsplätze wären durch eine Sperrung des tunnels gefährdet.»

Infolge Sanierung des Gotthardtunnels haben sich der Bundesrat und der Ständerat für eine richtungsgetrennte 2. Strassenröhre, einen sogenannten Sanierungstunnel, entschieden. Was hält der Dachverband Wirtschaft Uri von dieser Lösung?

n Dieses klare Bekenntnis ist ein deutliches Zeichen aus Bern. Die Vorteile – ohne Beeinträchtigung des Alpenschutzartikels – überwiegen. Die sachlichen Argumente haben den Ausschlag dafür gegeben.

Die Alternative wären eine mehrjährige Schliessung dieser Strassenverbindung und das Verladen des Verkehrs auf eine «rollende Landstrasse». Was würde dies für den Kanton Uri sowie dessen Gewerbe und Industrie bedeuten?

n Unser gesamtes Gewerbe ist von der ungehinderten Erreichbarkeit nach Norden und Süden abhängig. Viele Urner Arbeitsplätze wären durch eine Sperrung des Gotthardtunnels gefährdet oder würden gar für immer verschwinden. Betroffen wären zum Beispiel die Autobahnraststätte Erstfeld, das Schwerverkehrszentrum Uri, der Detailhandel, Autowerkstätten sowie die transportorientierten Branchen. Im Kanton Uri rechnen wir konkret mit mindestens 300 verlorenen Arbeitsplätzen.

«Der Tunnel soll uns nicht auseinanderbringen, sondern verbinden.»

Welche Auswirkungen hätte eine mehrjährige Schliessung auf den Tourismus in der Zentralschweiz?

n Ein Unterbruch der Transitachse hätte zur Folge, dass die Region grossräumig umfahren würde. Die Tagestouristen würden andere Destinationen wählen. Für das neue Resort in Andermatt würden die Gäste im Winter aus dem Süden kaum mehr anreisen. Im Sommer ist ein überlasteter Gotthardpass unattraktiv und staugefährdet.

Welche Konsequenzen hätte eine Tunnelgebühr für den Wirtschaftsraum Uri?

n Einer Maut kann ich nicht oder nur unter sehr restriktiven Bedingungen zustimmen. Es darf zu keiner Diskriminierung der Bewohner dieser Region kommen. Ein Tunnel soll uns nicht auseinanderbringen, sondern verbinden. Zu beachten wäre dann auch, dass sich der Verkehr auf andere Routen verlagern würde, dies ist sicher nicht erwünscht.

Sicherheit ist ein wichtiges Anliegen der gewerblichen Wirtschaft. Was bringt da eine zweite Tunnelröhre?

n Gemessen an den Verkehrsleistungen weist der Gotthard-Strassentunnel heute das grösste Unfallrisiko für Frontal- und Streifkollisionen aller Schweizer Nationalstrassentunnels auf. Fahrzeugpannen im Tunnel verursachen Verkehrskollapse, da keine Pannenstreifen zur Verfügung stehen. Das ist nicht mehr länger zu verantworten.

Die Variante mit dem Bau einer zweiten Röhre und der Sanierung der ersten wird auf 2,8 Milliarden Franken veranschlagt. Wie sieht das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus?

n Relevant sind nicht die direkten Kosten, sondern das gesamte Kosten-Nutzen-Verhältnis der beiden Sanierungsvarianten. Unter die indirekten Kosten fallen beispielsweise die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Belastung wie Arbeitsplatzverlust, Steuerausfälle, Umsatzeinbussen, Firmenschliessungen usw. bei einer dreijährigen Vollschliessung des Tunnels, oder unter den indirekten Nutzen die Verbesserung der Sicherheit dank der Trennung des Verkehrs in zwei separaten Tunnels.

«Grosser Widerstand gegen den Verlad des Privat- und Schwerverkehrs.»

An Ende wird das Volk entscheiden. Was ist, wenn es Nein sagt?

n Dann ist die Ausgangslage neu zu prüfen: Insbesondere ist unklar, ob die technischen Voraussetzungen für den Verlad des Privat- und Schwerverkehrs gegeben sein werden. Sollte dem so sein, gehe ich davon aus, dass eine neue Botschaft für den Bau und Betrieb einer «Rollenden Landstrasse» unterbreitet werden muss, ein aufwendiges Verfahren. Hier ist mit grossem Widerstand zu rechnen.

Interview: Corinne Remund

ZUR PERSON

Botschafter des Gewerbes Uri

Der Dipl. Bauingenieur ETH, MBA HSG ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Transtec Gotthard für das Projekt Bahntechnik NEAT/Gotthardtunnel, den grössten je vergebenen Bauauftrag in der Schweiz. Der ehemalige Gemeindepräsident von Bürglen setzt sich als Präsident des Dachverbandes Wirtschaft Uri für die Anliegen des regionalen Gewerbes und der 
Industrie ein. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Bürglen.

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