Publiziert am: 22.04.2016

Schönfärberei als System

SOZIALVERSICHERUNGEN – Statt die Probleme in der IV und der AHV anzugehen, versucht sich SP-Sozialminister Alain Berset an einer Neuauflage des Präventionsgesetzes und lehrt uns Grillen.

Sei es der Schellenursli-Film, das Filmfestival Locarno oder die Schweizer Künstler­börse: Wo immer es etwas zu feiern oder – noch besser – zu verteilen gibt, läuft Kulturminister Alain Berset zu Hochform auf. Vor allem die Kunstszene hat es dem Jazzpianisten angetan; hier bleibt die vereinigte Linke gerne unter sich. Unangenehme Fragen bleiben aussen vor; man freut sich des Lebens, verleiht oder nimmt Preise entgegen, klopft sich gegenseitig auf die Schulter und lässt die Korken knallen – prost!

«Vorbeugen statt heilen»

Doch da gibt es eine andere Seite von Bundesrat Berset. Als Gesundheitsminister sorgt er sich ums Wohlergehen seiner Bürger. Und lässt uns per teure Kampagne erklären, wie wir beim Essen gesund bleiben. Da lernen wir also – wer hätte das gewusst –, dass wir uns vor und nach dem Hantieren mit Lebensmitteln die Hände waschen und Esswaren richtig kühlen sollen. So weit, so unnötig.

Gar keinen Spass aber versteht der SP-Bundesrat, wenn es um Leben und Tod geht. Unter dem Titel «Vorbeugen statt heilen» will uns das zu Bersets EDI gehörende Bundesamt für Gesundheit – unter dem Vorwand, gegen nichtübertragbare Krankheiten zu kämpfen – eine Neuauflage des Präventionsgesetzes unterjubeln. Dies, obwohl das Parlament erst im Herbst 2012 ein Gesetz versenkt hat, das uns von der Wiege bis zur Bahre bevormunden wollte.

Und die wirklichen Probleme? 

Manch ein Beobachter würde es allerdings begrüssen, wenn der Sozialminister seine Energie statt zur Bevormundung der Bevölkerung auf die Lösung realer Probleme verwenden würde. So steht etwa die Invalidenversicherung IV vor grossen Problemen (vgl. S. 5). Zwar weist sie per Ende 2015 einen Umlageüberschuss von 645 Millionen Franken aus. Zieht man davon allerdings die 1,3 Milliarden ab, die aus der Zusatzfinanzierung stammen, bleibt ein strukturelles Defizit von gut 600 Millionen. Die Zusatzfinanzierung läuft 2017 aus.

Auch das ist für den Innenminister kein Problem. «In systematischer Schönfärberei», so sgv-Vizedirektor Kurt Gfeller, «wurde in der Vernehmlassungsvorlage behauptet, dass die IV auch nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung noch Überschüsse ausweisen würde und die Schulden von derzeit gut 12 Milliarden Franken bis spätestens 2030 abgetragen seien.»

Um hier Klarheit zu erlangen, reicht Nationalrat Hans-Ulrich Bigler eine Interpellation ein. Darin will er von Bundesrat Berset wissen, wie er die Zukunft der IV sichern will. 

Schuldenbremse für die AHV

Schlecht steht es auch um die AHV. 2015 hat das wichtigste Sozialwerk der Schweiz einen Verlust von einer halben Milliarde Franken erwirtschaftet. Auch hier verschliesst Berset die Augen und behauptet, das Problem sei der «Babyboom»-Generation geschuldet und werde sich demnach von selber lösen. «Ohne Reform geht es mit den AHV-Finanzen in den nächsten Jahrzehnten schnurstracks bachab», sagt dagegen der Zuger FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti im Interview mit der «Gewerbezeitung». Als Mitglied der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit fordert er: «Die AHV braucht ein Sicherheitsnetz. Eine Art Schuldenbremse, die dann einsetzt, wenn die ‹Alles-oder-nichts›-Politik der Linken den Karren an die Wand fährt.»

So schnell geht Bundesrat Alain Berset die Arbeit also nicht aus. Es ist ihm zu wünschen, dass er dabei das Wichtige vom Trivialen unterscheiden kann – und dass er die Augen öffnet für die realen Probleme, mit denen sich die Schweiz 2016 konfrontiert sieht. En

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