Publiziert am: 09.12.2022

Fern jeglicher Realität

STROMBEWIRTSCHAFTUNG – Zu detail­lastig, zu weit weg von den wirt­schaft­lichen und gesellschaftlichen Erfor­der­nissen: Der Schweizerische Gewerbe­ver­band lässt kein gutes Haar an den bundesrätlichen Vorschlägen zum Umgang mit einer allfälligen Strom­mangellage.

Schon am Tag, als der Bundesrat seine Pläne für eine Strombewirtschaftung im Fall einer Mangellage präsentiert hatte, kritisierte der Schweizerische Gewerbeverband die vorgeschlagenen Massnahmen als «unverhältnismässig und potenziell existenzgefährdend». Bei der vertieften Betrachtung im Rahmen einer kurzfristigen Vernehmlassung kommt der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft zu einem noch vernichtenderen Fazit. «Die unterbreitete Vorlage ist lückenhaft, die Entwürfe sind realitätsfremd und alles andere als verhältnismässig», so der stellvertretende sgv-Direktor Henrique Schneider, der beim sgv das Ressort Nachhaltigkeit bearbeitet. Die vorgeschlagenen Massnahmen berücksichtigten weder die legitimen Interessen der Wirtschaft und Gesellschaft noch seien sie in der Lage, die bereits unternommenen Sparanstrengungen einzubeziehen. «Der granulare Eingriff in die Freiheit der Lebensführung der Menschen und in die Wirtschaftsfreiheit basiert auf einer leicht widerlegbaren Fiktion zentralplanerischen Informationsvorsprungs.» Besonders deutlich werde diese Fiktion, «wenn man bedenkt, dass die Kontingentierungspläne zu einer Abschaltung der Telekommunikation führen würden». Allein dieser Vorschlag zeige, wie lückenhaft die unterbreitete Vorlage sei.

Branchen-Sparpläne aufnehmen

Besondere Kritik übt der sgv am mangelhaften Einbezug von Sparplänen, welche durch die Branchen selbst erarbeitet worden sind. «Der sgv verlangt, dass die Branchenpläne in die Verordnung über Beschränkungen und Verbote der Verwendung elektrischer Energie aufgenommen werden.» Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Branchen, welche selbstständig Massnahmen ergreifen, um den eigenen Energieverbrauch zu senken, diese Massnahmen dokumentieren und dadurch ihren Verbrauch um mehr als zehn Prozent senken konnten, sollten von allfälligen weiteren Sparmassnahmen ausgenommen, der Beweis dieser Einsparungen Sache der Unternehmen sein.

Viel zu sehr auf Details versessen

Generell verliere sich der Verordnungsentwurf viel zu sehr in Details, kritisiert der sgv weiter. «Die sich in Granularität verlierende Liste bedeutet einschneidende Disruptionen der Wertschöpfungsketten verschiede-ner Branchen», ja es handle sich teilweise um inakzeptable Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit. Massnahmen wie etwa das Abschalten der öffentlichen Beleuchtung könnten «nicht guten Gewissens» ergriffen werden, zumal diese auch für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit massgeblich seien. Eine Senkung der auf Autobahnen erlaubten Geschwindigkeit habe «offensichtlich nichts mit elektrischer Energie zu tun», das Ausschalten von Ölheizungen «keine Auswirkungen auf den Stromverbrauch».

Telekommunikation muss sein

Sollte es zu einer «Sofortkontingentierung» kommen, so müssten die Telekommunikationsunternehmen zwingend davon ausgenommen werden. Falls auch diese ihren Stromverbrauch reduzieren müssten, so bedeute dies im Ernstfall, «dass Teile der Mobilfunknetze und der Festnetze faktisch abgeschaltet werden müssen». Der sgv weit darauf hin, dass Mobilfunkantennen maximal circa eine Stunde ohne reguläre Stromversorgung betrieben werden könnten. «Die Telekomnetze in der Schweiz sind für kurzfristige rund einstündige Stromausfälle gewappnet, nicht aber für den reduzierten Betrieb während einer längeren Strommangellage.» Weiter erinnert der sgv daran, dass der Ausfall des Mobilfunknetzes im Bericht zur nationalen Risikoanalyse des Bundes vom November 2020 – also deutlich vor der heutigen Diskussion über einen allfälligen Strommangel – «als drittgrösstes Risiko für die Schweizer Volkswirtschaft eingestuft» worden sei. «Eine funktionierende Telekommunikation ist Grundlage beinahe aller heutigen Dienstleistungen für Bevölkerung und Wirtschaft.» Notrufe, Bewirtschaftung im Lebensmitteldetailhandel, im Finanzwesen, Transport und Verkehr sowie öffentliche Sicherheit seien auf Telekommunikation angewiesen. En

www.sgv-usam.ch

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