Publiziert am: 24.03.2023

Ein schwieriger Kampf wartet

BVG-REFORM – Auf Stufe Parlament ist die BVG-Reform unter Dach und Fach. Ob sie je in Kraft tritt, ist ungewiss. Das letzte Wort haben die Stimm­be­rech­tigten – und die sind eher BVG-kritisch.

Überraschend klare Verhältnisse zum Abschluss der BVG-Beratungen. 113 zu 69 Stimmen im Nationalrat und 29 zu 8 Stimmen im Ständerat lautete das Votum in den Schlussabstimmungen zur BVG-Reform. Wer gehofft hatte, dass das in breiten Kreisen umstrittene Reformprojekt auf Stufe Parlament scheitert, wurde enttäuscht.

Und dies soll sich mit der BVG-Reform im Wesentlichen ändern:

• Der BVG-Mindestumwandlungssatz, der bloss für rund einen Viertel der Versicherten von Bedeutung ist, soll auf 6 Prozent gesenkt werden. Das hat Renteneinbussen von bis zu 12 Prozent zur Folge.

• Als wichtigste Kompensationsmassnahme – und zur stärkeren BVG-Einbindung von Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienenden – soll der Koordinationsabzug von heute 25 720 Franken auf bloss noch 20 Prozent des AHV-Lohns gesenkt werden. Das erhöht den versicherten BVG-Verdienst und damit die Sparbeiträge.

• Die Beitragssätze – fachtechnisch Altersgutschriften genannt – sollen neu auf 9 Prozent für die ersten zwanzig Beitragsjahre und auf 14 Prozent für die restlichen 20 Jahre angepasst werden. Das soll die heutige, auf vier Dekaden verteilte Abstufung von 7 bis 18 Prozent ablösen.

• Die Eintrittsschwelle soll von heute 22 050 auf neu 19 845 Franken gesenkt werden. Rund 70 000 Versicherte würden damit zusätzlich ins BVG reinrutschen.

• Diejenigen 15 Jahrgänge, die beim Inkrafttreten der Reform ihrer Pensionierung am nächsten stehen, sollen in den Genuss von Rentenzuschlägen gelangen, die monatlich bis zu 200 Franken betragen würden. Rund die Hälfte der Versicherten hätte Anspruch auf diese Rentenaufbesserungen.

Nur schwer zu gewinnen

Die Reform würde jährliche Mehrkosten von gut zwei Milliarden Franken auslösen. Für das linksgrüne Lager und die Gewerkschaften sind die Ausgleichsmassnahmen einerseits unzureichend, andererseits aber auch zu teuer, und sie sind fest entschlossen, ein Referendum zu ergreifen. In Tat und Wahrheit tun sie das wohl, weil die Reform für ihren Geschmack eine viel zu geringe Umverteilung vorsieht. Seis drum; die Volksabstimmung, die wohl am 3. März 2024 stattfinden wird, wird nur schwer zu gewinnen sein. Dies nicht zuletzt auch, weil die Reform selbst bei den Befürwortern nur mässige Begeisterung auslöst.

Vor- und Nachteile

Aus Sicht des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv hat die beschlossene Reformvorlage durchaus ihre VorzĂĽge:

• Die systemfremde Umverteilung kann verringert werden.

• Die Vorsorgeeinrichtungen werden entlastet.

• Gewisse latente Risiken für die KMU werden reduziert.

• Die Arbeitsmarktchancen der älteren Arbeitnehmenden werden verbessert.

• Der seit Jahrzehnten anhaltende Reformstau kann überwunden werden.

Die BVG-Reform weist aber auch gewichtige Nachteile auf:

• Hohe jährliche Mehrkosten von über zwei Milliarden Franken mit negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen.

• Überproportional hohe Mehrkosten bei Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienenden.

• Widerspruch zur sgv-Strategie, da rund 40 Prozent der Mehrkosten dem Sozialausbau und nicht der Beseitigung von Systemfehlern dienen.

• Keine Rücksichtnahme auf branchenspezifische Anliegen wie etwa die des Personalverleihs.

• Fragwürdiger Nutzen für die Versicherten.

Ein Pyrrhussieg der BefĂĽrworter?

Vorstand und Gewerbekammer werden die sgv-Parole im Herbst 2023 fassen. Vorerst ist es nun am linksgrünen Lager und an den Gewerkschaften, die notwendigen Unterschriften für das Referendum zusammenzutragen. Sie werden das wohl nicht ungern tun, lässt sich doch ein halbes Jahr vor den eidgenössischen Wahlen das Unterschriftensammeln ideal mit dem Wahlkampf verbinden. Und auch sonst dürfte das linksgrüne Lager nicht allzu unglücklich über die letzten Entwicklungen sein. Denn die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass am 3. März 2024 neben der BVG-Reform auch die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente zur Abstimmung gelangt. Eine idealere Abstimmungskombination dürfte es für die Befürworter eines weiteren Sozialstaatsausbaus kaum geben. Daher ist nicht auszuschliessen, dass sich der Schlussabstimmungssieg der BVG-Befürworter noch in einen schmerzvollen, kostspieligen Pyrrhussieg verwandeln wird.

Kurt Gfeller, Vizedirektor sgv

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