Publiziert am: 03.03.2023

Mit Feuer und Leidenschaft

KUNSTHANDWERK – Christian Bärtschi ist einer der letzten Neonglasbläser. In seinem Atelier in Steffisburg verleiht er mit viel Know-how und Feingefühl den Schriften den sogenannten «Magic Glow». Seit zwei Jahren ist Neon wieder im Trend und der Handwerker hat alle Hände voll zu tun – für Kunst und Künstler, die Denkmalpflege und seine nationale und internationale Kundschaft.

Das Handwerk des Neonglasbläsers ist die grosse Leidenschaft von Christian Bärtschi. Der 60-Jährige, den alle nur Didu nennen, hat sich seit über 30 Jahren ganz diesem Handwerk verschrieben. «Ich war fasziniert von diesem Handwerk und wollte es unbedingt lernen», erinnert er sich an den Anfang dieser lebenslangen Passion. Die ersten zwei Lehrjahre verbrachte er in den 80er- Jahren in einem Betrieb im Kanton Aargau. Danach sammelte er zwei Jahre Erfahrung in einem Betrieb in Zürich und absolvierte einen Workshop in New York. 1990 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnete sein eigenes Atelier in Steffisburg bei Thun. Bereut hat er es bis jetzt keinen Tag. Selbst als die meisten Neonbläser aufgehört hatten, als Mitte der Nullerjahre die Leuchtidoden (LED) aufkamen, blieb er seinem Handwerk treu. Mit LED sind Leuchtschriften viel einfacher herzustellen und sie verbrauchen erst noch weniger Strom. So ersetzen LEDs immer mehr herkömmliche Leuchtreklamen vor Coiffeursalons, Metzgereien, Hotels, Firmensitzen usw. «Ich hätte selbst dann weitergemacht, wenn ich damit nichts mehr verdient hätte», so Bärtschi. Er ist einer der letzten Neonglasbläser in der Schweiz.

«Neon hat einen unvergleichbaren magischen Glow, welcher seit mehr als 100 Jahren fasziniert.»

Das alte Kunsthandwerk fasziniert ihn vom ersten Tag an, als er als Kind im italienischen Sanremo einem Neonglasbläser bei der Arbeit zuschaute. Der Anblick des Glases, das sich über dem Feuer verformt und verwandelt, begeistert ihn heute noch bei jeder Arbeit. Er verbringt sehr viel Zeit in seiner Werkstatt, die wie eine gemütliche Wohnung eingerichtet ist. «Es ist ein wunderschönes Handwerk, das mit Maschinen niemals ersetzt werden kann und das viel Übung erfordert, bis man es beherrscht.» Und er kommt ins Philosophieren: «Es ist wie bei einem Musikinstrument – einfache Melodien kann man schnell einmal erlernen, aber für komplizierte Partituren benötigt man viel Geduld und Übung.» Oder kurz ausgedrückt: «Neon macht glücklich!» Sein Erfolgsrezept lautet denn auch ganz einfach «dranbleiben». In seiner Werkstatt stellt er jedoch nicht nur traditionelle Neonreklamen und Schriftzüge her, sondern repariert auch viele alte Stücke. Ein weiteres Standbein ist das Umrüsten von Neon-Leuchtschriften auf LED sowie Planung, Verkauf und Montage von LED-Schriften der neusten Generation.

Kunst trifft auf Handwerk

Neonglasbläser ist in der Schweiz kein anerkannter Beruf, den man lernen kann wie andere Kleinstberufe. «Es gibt leider keine eigentliche Berufslehre mit Abschlussprüfung. Vor den Nullerjahren hatten die meisten grossen Betriebe, die Leuchtreklamen herstellten, eigene Neonglasbläser. Dort konnte man das Handwerk als Anlehre lernen», so Bärtschi. Heute ist es allerdings sehr schwierig, dieses Handwerk zu erlernen, da es fast keine Neonglasbläsereien mehr gibt und die Aufträge marginal sind. «Ich bekomme immer wieder Anfragen. Die Leute meinen oftmals, ein Wochenend-Workshop reiche, um diese Kunst zu erlernen», meint er lachend. Für die Arbeit als Neonglasbläser sind eine gute Auge-Hand-Koordination sowie handwerkliches Geschick nötig. Auch Präzision, Geduld, ein gutes Augenmass sowie Fantasie und Kreativität sind wichtig.

Seit rund zwei Jahren ist Neon jedoch wieder im Trend. Die Nachfrage ist gross und der Berner Künstler beliefert mit seine Lichtwerbung seine Kundschaft in der Schweiz wie auch in Paris, Berlin, Rom und New York. Bärtschi gestaltet rund 70 Neonschriften und -figuren pro Jahr. Sein schönster Auftrag ist die Harald Naegeli-Figur über dem Eingang zum Schiffbau in Zürich. Doch der grosse Hype hat auch seine negative Seite: So gibt es zahlreiche Firmen, die sich Neonshops nennen, obwohl sie LED in Neonoptik verkaufen. «Diese LEDs mögen gut sein, um eine Bar anzuschreiben, doch sie sind nicht vergleichbar mit echtem Neon», weiss Bärtschi. Und er kommt ins Schwärmen: «Neon hat einen unvergleichbaren magischen Glow, welcher seit mehr als hundert Jahren faszinert.» Neon ist vom Aufbau her puristisch – die Lichtquelle ist sowohl das Glasrohr als auch der Körper. «Jedes Neon ist zudem ein Unikat.»

Buchstabe für Buchstabe entsteht

Doch wie entstehen die Glasrohre für einen Schriftzug? Am Anfang jedes Auftrags steht das Beratungsgespräch mit dem Kunden. Was für eine Leuchtreklame soll es sein, welche Schriftart soll sie haben? Soll sie nur aus Buchstaben oder auch Figuren, Formen bestehen? Knackpunkt dabei oft: Lässt sich das Firmenlogo aus Glas blasen? Sind die Einzelheiten geklärt, fertigen die Glasbläser erst einmal detaillierte Skizzen und technische Zeichnungen an, in denen die genauen Formen und Proportionen sowie die Masse festgehalten sind. «Zuerst zeichne ich einen 1:1-Plan, in dem Durchmesser und gewünschte Farbe festgehalten werden.» Für die Herstellung werden in der Regel vorgefertigte Glasröhren oder Glaskolben verwendet. Sie werden angeritzt oder erhitzt und nach dem Abkühlen an der vorgesehenen Stelle gebrochen und so auf die gewünschte Länge gekürzt. Anschliessend wird der Glaskörper mit einem speziellen Glasbrenner dort erhitzt, an dem er gebogen werden soll. Mit viel Feingefühl, Geschick und Erfahrung können so selbst komplexe Formen, Buchstaben und Logos gestaltet werden.

Ist die gewünschte Form erreicht, geht es an die Füllung. Durch sie wird der gewünschte Leuchteffekt erzielt. Man muss dafür viel über die Eigenschaften von Edelgasen wissen, denn diese erzielen die verschiedenen Farbeffekte. «Neon und Argon entladen sich unter Strom und bringen so die Glasrohre in unterschiedlichen Farben zum Leuchten», so Bärtschi. Die Farbe wird durchs Pulver bestimmt, mit dem das Glas beschichtet ist. «Ich setze zu guter Letzt die Elektroden an und bringe das Ganze auf dem Pumpstand zum Leuchten.»

«Neon wird – zumindest in der Kunst – nie verschwinden.»

Qualität ist ihm wichtig. Darunter versteht Bärtschi hochwertige Produkte, gutes Werkzeug sowie viel Geduld und Fingerspitzengefühl beim Ausführen seiner Aufträge. Als einem der Einzigen in seinem Metier geht ihm die Arbeit nicht aus und so arbeitet er auch oftmals samstags und sonntags. Er arbeitet unter anderem auch für den Denkmalschutz, um schützenswertes Neon instand zu halten. «Neon wird – zumindest in der Kunst – nie verschwinden», ist Bärtschi überzeugt. Er hofft, dass er noch lange gesund bleibt und sich seiner grossen Leidenschaft, dem Arbeiten mit Neon widmen kann. Es gibt da allerdings noch zwei weitere grosse Hobbys, die ihn ab und zu vom Feuer weglocken – Musizieren und Deltafliegen. In der Thuner Band Amarillo Brillo spielt er Akkordeon. Geprobt wird oft in der Glasbläserei. Dann wird die Werkstatt zur Bühne – notabene mit einer grandiosen Festbeleuchtung.

Corinne Remund

www.neon.ch

GESCHICHTE DES NEON

«Leuchtendes Symbol» der US-Wirtschaft

Didu Bärtschis Handwerk geht zurück ins frühe 20. Jahrhundert: 1912 leuchtete die erste Neonreklame mit dem Schriftzug «Palais Coiffeur» in Paris. Entwickelt hatte sie der Physiker Georges Claude, indem er Neongas in einer Glasröhre mittels elektrischer Spannung zum Schwingen und so zum Leuchten brachte. Er erkannte damit als Erster das Potenzial, welches das Neonlicht der aufstrebenden Werbeindustrie bot. Mithilfe der flexiblen und dünnen Glasröhren liessen sich nicht nur abstrakte Dekorationen, sondern ebenso Buchstaben und gegenständliche Motive in nahezu unbegrenztem farbigem Reichtum herstellen.

Der Siegeszug der Neonreklame begann in den Vereinigten Staaten, wo 1932 die ersten Werbungen in Los Angeles auftauchten. Die Neonwerbung wurde das «Leuchtende Symbol» des amerikanischen Aufstiegs zur führenden Wirtschafts- und Handelsmacht. Mit den überdimensionierten, in wechselnden Farben erstrahlenden Neondekorationen verwandelten sich die öffentlichen Räume der Innenstädte in kommerzielle Werbeflächen.

Während Ende der Zwanzigerjahre selbst die Weltwirtschaftskrise zu keinem Rückgang der Neonwerbung führte, begann sich nach dem zweiten Weltkrieg mit der Konkurrenz neuer Werbemedien ihr allmählicher Niedergang anzukündigen. Mit der Einführung der beleuchteten Plexiglaskästen, die im Siebdruckverfahren bedruckt wurden, erhielten die Innenstädte nach und nach ein neues, den veränderten Zeiten angepasstes modernes Design. Neben ihnen erschienen die Neonwerbungen bald als Symbol einer vergangenen Epoche, eines amerikanischen «art deco» der Dreissigerjahre. Schliesslich begegnete man Neondekorationen vor allem noch in billigen Lokalen und als Werbung für heruntergekommene Hotels. Erst das postmoderne Design der Achtzigerjahre entdeckte das Neon neu und setzte es zur architektonischen Gestaltung fashionabler Bars, Boutiquen und Diskotheken ein. In dem Masse jedoch, in dem das kommerzielle Interesse an Neon zurückging, begannen die bildenden Künstler sich für dieses Medium zu interessieren. CR

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