Publiziert am: 28.04.2023

Künstliche Intelligenz für den Trainer

DARTFISH – Ein Spin-off der EPFL drückt Videos, die in verschiedenen Sportarten verwendet werden, seinen digitalen Stempel auf. Vor allem Trainer vertrauen auf seine Software, um Bewegungen durch alle möglichen komplexen Parameter zu verbessern. Der CEO Jean-Sébastien Mérieux schildert die Entwicklung dieses Start-ups seit seinen Ursprüngen im Skisport.

Die beiden Skifahrer, deren Bilder sich überlagern und die versetzt über dieselben Buckel Slalom fahren, haben uns zum Lachen gebracht, als wir sie zum ersten Mal im Fernsehen gesehen haben. So und um die Jahrtausendwende wurde Dartfish bekannt – mit dieser futuristischen SimulCamTM und verschiedenen digitalen Bildbearbeitungsanwendungen. Damals hiess Dartfish noch InMotion Technologies. Fast ein Vierteljahrhundert später kann man feststellen, dass dieses Freiburger KMU allen Krisen standgehalten hat und in viele Sportbereiche und unzählige Länder expandiert hat.

Es ruht sich nicht auf seinen sportlichen Lorbeeren aus, die es im Skisport gewonnen hat, sondern hat Online- und Offline-Videosoftware entwickelt, mit der Nutzer Videos ansehen, bearbeiten und analysieren können. Für grosse und kleine Teams, auch für Sportbegeisterte. Seine Flure sind mit schönen Fotos geschmückt, manche von grossen Sportlern signiert.

Im Labor von Martin Vetterli

Jean-Sébastien Mérieux, der aktuelle CEO, empfängt uns in der Rue de la Fonderie in Freiburg. Die Räumlichkeiten befinden sich in der ehemaligen Chocolaterie Villars. Nach einer Handelsschule arbeitete er in der Telekommunikationsbranche. Als gebürtiger Bretone und Marseiller, der in Marseille aufgewachsen ist, entdeckte er Dartfish über soziale Netzwerke. Er leitet die Geschäftsführung mit drei Kollegen (Vertrieb, Entwicklung, Finanzen).

Mérieux erzählt uns von der Entstehung von Dartfish. Ursprünglich wurde dieses Spin-off der EPFL 1999 im Labor von Martin Vetterli, dem heutigen Präsidenten der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), gegründet. Zu den Mitbegründern gehörten Victor Bergenzoli (CCO, später CEO), Serge Ayer (CTO), Emmanuel Reusens (Senior Development Engineer) und Jean-Marie Ayer (CEO). Daniel Morand (CFO) und Anton Affentranger (Executive Chairman) stiessen kurze Zeit später zu ihnen. Im Jahr 2001 folgte auf die SimulCamTM-Technologie StroMotionTM.

Doch zurück zu den beiden Skifahrern, deren Bild übereinandergelegt wird. «Die Grundidee war die Fähigkeit, die beiden Skifahrer zu isolieren und sie in einem gemeinsamen Bild mit einem gemeinsamen Hintergrund für die beiden Figuren zu verschmelzen», erklärt Jean-Sébastien Mérieux. «Um zu verstehen, woher wir kommen, muss man sich daran erinnern, dass Computer damals noch grosse Maschinen waren, dass wir CD-ROMs benutzten, um Software zu installieren, und dass sich unter den fünf bekanntesten Marken kein einziger technologischer Wert befand. Unter den Top 5 waren Coca-Cola und Marlboro, die prominenten Telefone hiessen Nokia und niemand sprach von Google.»

Vom Broadcaster zum Coach

Zu dieser Zeit richtete sich InMotion an Fernsehsender, Broadcaster (TV-Sender) nutzten die Software für Fernsehübertragungen, hauptsächlich im Bereich des Skisports. Im Jahr 2001 kam die Wende. Die Krise der Technologiewerte sorgte für einen Kahlschlag im gesamten Tech-Sektor. Und die Broadcaster verloren viel Geld.

«Daraus entstand die Idee, diese Technologie in den Dienst der Coaches zu stellen», erinnert sich Mérieux. «Ziemlich schnell kamen einige Teams zu uns. Sie sagten uns, dass sie gerne Bewegungen und Flugbahnen vergleichen wollten. Zunächst im Skisport, dann auch in anderen Sportarten wie Leichtathletik und Autorennen auf der Rennstrecke. Also haben wir uns allmählich in Richtung Coaching bewegt.»

Warum heisst das Unternehmen heute «Dartfish»? Der Name ist das Ergebnis eines Brainstormings. «Wenn man von Dartfish spricht, weiss die Hälfte der Leute nicht, dass es sich dabei um einen Fisch mit grossen Augen und einer grossen Flosse handelt. Wie bei Salt hatte der Begriff ursprünglich keine Konnotation; die Marke absorbiert die Werte, die sie mitbringen.»

Damals wurden die Daten von Teams des Schweizer Start-ups aufgenommen, die vor Ort unterwegs waren. «Sie wurden dann in der Postproduktion bearbeitet und über Kassetten, VHS und andere Formate, die sich nach und nach entwickelten, schliesslich DVDs, an den Nutzer zurückgesendet.»

Schiedsrichtern assistieren

«Im Gegensatz dazu werden heute Software und Daten in der Cloud gespeichert», fügt Jean-Sébastien Mérieux hinzu. Alle Updates werden aus der Ferne durchgeführt.

Dartfish richtet sich hauptsächlich an Indoor-Sportarten, Eishockey, Handball, aber auch an Ski-Nationalmannschaften (in Frankreich und der Schweiz) und Softball (in den USA). «Wir sind auf allen Kontinenten aktiv, und unsere Software ermöglicht es, immer mehr Daten zu erfassen. Die Trainer können aus den sehr zahlreichen Parametern (über hundert) diejenigen auswählen, die für ihre Analysen relevant sind. Wir kümmern uns auch um die Schulungen, die gegeben werden, um diese Geräte zu benutzen.»

Dartfish arbeitet auch für Schiedsrichter, für die sie ein Videoassistenzsystem entwickelt. «Unsere Lösungen werden häufig in Kampfsportarten (Karate, Judo, Taekwondo) eingesetzt, und wir haben ein Projekt zur Ausbildung von Schiedsrichtern für Mannschaftssportarten.»

Kundenbindung statt Preiskampf

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine sowie der Druck auf die Währungen sind Faktoren, mit denen auch Dartfish kämpfen muss. Die Konkurrenz ist ebenfalls nicht untätig, auch wenn sich dieser Markt auf eine Handvoll High-End-Anbieter verteilt. «Wir haben eine Preiserhöhung von zehn Prozent weitergegeben, aber da wir im B-to-B-Geschäft tätig sind, können wir nicht wirklich über den Preis spielen. Unsere Strategie läuft daher eher über die Kundenbindung, indem wir uns auf Projekte mit ihnen einlassen und unseren Mehrwert langfristig unter Beweis stellen.»

Neben dem Sport an sich betreffen die Entwicklungen von Dartfish auch die Welt des Gesundheitswesens mit Programmen und Apps, die die Leistungsanalyse und Rehabilitation von Sportlern ermöglichen. Aber auch im Bildungsbereich ist Dartfish aktiv: «Wir helfen Studenten, Referenten und Lehrern, von internationalen Standards in den Bereichen Sporttraining, Leistungsanalyse, Kinesiologie, Biomechanik, Ganganalyse, Sportunterricht und Physiotherapie zu profitieren.»

Die Zukunft liegt in noch mehr Coaching auf der Grundlage von künstlicher Intelligenz. «Wenn wir etwa zehn Jahre vorausschauen, werden wir sehen, wie Coaching-Tools zunehmend erfahrungsbasierte Empfehlungen aussprechen werden. Das Erkennen von Strukturen (‹Patterns›) oder wiederkehrenden Merkmalen wird Fortschritte ermöglichen – oder Fehler vermeiden, was dem menschlichen Coach seine volle Rolle lässt. Das wird ein spannendes Kapitel», freut sich Jean-Sébastien Mérieux. «Wir werden sehen, inwiefern es zum Wohle des Sports ist.»

François Othenin-Girard

www.dartfish.com

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