Publiziert am: 28.04.2023

«Weder zielführend noch angemessen»

STRASSENVERKEHR – Flächen­decken­des Tempo 30 ist bei Städtern nicht mehrheitsfähig. Trotzdem wollen links-grüne Politiker diese Massnahme in ihren Hochburgen auf Teufel komm raus durchdrücken. Die Gewerbe­ver­bände vor Ort wehren sich.

Wer wissen will, wie der ideologische Kampf gegen den motorisierten Individualverkehr derzeit auf die Spitze getrieben wird, der muss in die Stadt Zürich gehen. Massiver Parkplatzabbau, die Umfunktionierung von normalen Strassen zu – nur Velos vorbehaltenen – Routen, die zeitweise Umwandlung von Strassen in Spielplätze, der geplante testweise Spurabbau zugunsten von Velofahrern bei bereits heute überlasteten Hauptverkehrsachsen (wie der Bellerivestrasse im Zürcher Seefeld): Das sind nur einige der «Häppchen» aus der grössten Schweizer Stadt, die zeigen, wie verfehlte Verkehrspolitik «funktioniert», wo Rot-Grün an der Macht ist und fast nach Belieben schalten und walten kann.

«Feuerwehr und Krankenwagen würden länger brauchen, bis sie bei einem Grossbrand oder bei einem Herzstillstand vor Ort wären.»

Unlängst hat das Stadtparlament einen Vorstoss angenommen, wonach Kleingewerbler künftig einen Bonus erhalten sollen, wenn sie Lasten mit dem E-Cargo-Bike statt mit dem Benzinauto befördern. Wenn der Zimmermann seine langen Holzbalken also künftig bei Schneeregen mit dem Velo transportiert, darf er sich über finanzielle Segnungen freuen. Segnungen, die er mit seinen Steuern notabene selbst bezahlt hat. Absurder gehts kaum.

Nachteile beiseite gewischt

Ein besonders beliebtes und grosses Puzzlestuck der rot-grünen, ideologischen Verbannungsstrategie des Autos ist die Einführung von flächendeckendem Tempo 30. Neben Zürich wollen beispielsweise Winterthur und die Stadt St. Gallen diese Massnahme durchdrücken.

Argumentiert wird dabei überall ähnlich: Lärmreduktion, Erhöhung der Verkehrssicherheit, bessere Lebensqualität usw. Dass eine Mehrheit der Städter das gar nicht will – wie eine repräsentative Studie des TCS kürzlich zeigte (vgl. Kasten) – ist den Verantwortlichen egal.

Dazu passt, dass gewichtige Nachteile einfach beiseite gewischt werden: Zum Beispiel, dass diese undifferenzierte Massnahme den Bürgern, dem Gewerbe und seinen Angestellten unter anderem aufgrund längerer Fahrzeiten massiv schadet und sie viel kostet. Da ist der Schichtarbeiter, der gerne zügig nach Hause möchte, oder der Handwerker, der zu einem Piketteinsatz gerufen wird: Sie sollen künftig zur verkehrslosen Randzeit also nur noch mit Tempo 30 vor sich hin tuckern, selbst wenn sie auf einer breiten, langen Hauptverkehrsachse freie Fahrt hätten.

Schleichverkehr im Quartier

Besonders störend ist das bei Rettungskräften: Auch Feuerwehr und Krankenwagen würden länger brauchen, bis sie bei einem Grossbrand oder bei einem Herzstillstand vor Ort wären – insbesondere wenn auch noch bauliche Massnahmen ins Spiel kommen. Denn Blaulichtorganisationen dürfen laut Gesetz die Verkehrsregeln im Ernstfall nur mit der gebotenen Vorsicht missachten, also nur in einem beschränkten Mass schneller fahren als signalisiert. Das bestätigte auch eine Antwort des Zürcher Regierungsrats auf eine Anfrage von FDP-Kantonsrat und sgv-Ressortleiter Dieter Kläy.

Doch nicht nur das: Der ÖV müsste mehr Verkehrsmittel einsetzen, um die Vorgaben einzuhalten. Die Folge: Noch höhere Kosten und mehr Personal. Schliesslich würde flächendeckendes Tempo 30 das austarierte Verkehrssystem aus dem Gleichgewicht bringen, indem die Hierarchie und die Funktionalität des Strassennetzes nicht respektiert würden. Mit der schädlichen Folge, dass der Verkehr in den Quartieren zunimmt – also dort, wo man ihn gerade nicht haben will – anstatt, dass er auf den dafür vorgesehenen Hauptachsen kanalisiert wird.

Mildere Massnahmennicht geprĂĽft

Damit es gar nicht erst so weit kommt, leisten die Gewerbeverbände vor Ort Widerstand. Zum Beispiel der Kantonale Gewerbeverband St. Gallen und Gewerbe Stadt St. Gallen. Sie fordern, auf die Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 in der Stadt St. Gallen zu verzichten und die beabsichtigten Massnahmen in dem dafür vorgelegten Konzept ersatzlos zu streichen.

«Das Konzept zu flächendeckendem Tempo 30 verletzt ganz klar den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.»

Die beiden Verbände weisen in ihrer Vernehmlassungsantwort unter anderem darauf hin, dass in diesem Konzept einseitig auf den Lärmschutz fokussiert werde und es an Sorgfalt bei der Prüfung der gegebenen Lärmsituation fehlte. Unklar sei ausserdem, welchen konkreten Einfluss die vorgesehene flächendeckende Temporeduktion auf die Lärmbelastung habe. Und auch nicht geprüft wurde, ob die Ziele nicht mit milderen Massnahmen erreicht werden könnten als mit flächendeckendem Tempo 30. «Das Konzept verletzt deshalb ganz klar den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, wie ihn die Bundesverfassung vorgibt», sagt Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbands St. Gallen.

Zwei Initiativen

Im Kanton Zürich tut sich ebenfalls viel: So haben FDP und SVP mithilfe des KMU- und Gewerbeverbands Kanton Zürich eine kantonale ÖV-Initiative zustande gebracht, worüber das Volk dereinst abstimmen wird. Gemeinden, die Tempo 30 verordnen, sollen gemäss der Initiative selbst für die Mehrkosten beim ÖV aufkommen. Sie sollen zudem verpflichtet werden, den ÖV so zu fördern, dass er nicht durch bauliche Massnahmen oder Verordnungen behindert werden kann.

Ausserdem doppeln SVP und FDP mit einer Mobilitätsinitiative nach, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Damit fordern sie unter anderem, dass auf den Hauptstrassen innerorts wie bis anhin grundsätzlich Tempo 50 gilt, damit der Verkehr fliessen kann und kein Ausweichverkehr ins Quartier stattfindet. Für den Zürcher FDP-Kantonsrat Martin Farner ist klar, dass es beide Initiativen braucht: «Der Verkehr auf den Hauptstrassen darf nicht zusätzlich behindert werden. Das ist für die Bevölkerung und die Wirtschaft zentral.»

Widerstand auch auf dem Land

Nicht nur in den Städten ist Tempo 30 ein grosses Thema, sondern vermehrt auch auf dem Land. Zum Beispiel im Kanton Bern. So will der Gemeinderat von Lützelflüh, einem Dorf im Emmental, generell Tempo 30 einführen. Dagegen hat eine Interessengemeinschaft 600 Unterschriften gesammelt und das Konzept wird nun überarbeitet. In Brienz wiederum wollte man die Geschwindigkeit auf der Hauptstrasse von 40 auf 30 km/h reduzieren. Das Vorhaben scheiterte kürzlich überdeutlich an der Urne.

«Der Verkehr auf den Hauptstrassen darf nicht zusätzlich behindert werden. Das ist für die Bevölkerung und die Wirtschaft zentral.»

Für Lars Guggisberg, Direktor des Gewerbeverbands Berner KMU und SVP-Nationalrat, steht fest: «Die Einführung von Tempo 30 ergibt punktuell Sinn, zum Beispiel in den Quartieren. Flächendeckend ist es hingegen weder zielführend noch angemessen.»Rolf Hug

Umfrage

Städter klar gegen generelles Tempo 30

Zwei von drei Städtern lehnen ein generelles Tempo 30 innerorts klar ab. Das zeigt eine repräsentative, Anfang Februar durchgeführte Umfrage von LINK im Auftrag des Touringclubs Schweiz (TCS), die in den Städten Basel, Bern, Freiburg, Genf, Lausanne, Luzern, Lugano, Sion, St. Gallen und Zürich durchgeführt wurde. 54 Prozent der Befragten hielten auch ein generelles Tempo 30 während der Nacht für keine gute Idee. Zu den befürchteten Folgen gehört die Verlagerung des Verkehrs in die Wohnquartiere und die Verlangsamung der Notdienste. Gemäss der Umfrage ist eine grosse Mehrheit mit dem aktuellen, differenzierten Geschwindigkeitssystem – je nach Situation 50 beziehungsweise 30 km/h – zufrieden.Red

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