Publiziert am: 16.06.2023

Lücke schliessen – nahtlos in die Lehre

ANFORDERUNGSPROFILE – Das Matching zwischen den schulischen Kompetenzen und den Anforderungen der Berufslehre soll verbessert werden. Dabei sind Instrumente wie die «Berner Kompetenzraster» oder die «Mindsteps» zentral, denn sie helfen den

Jugendlichen dabei, diese Lücken zu schliessen. Erste Teilprojekte in den Kantonen Bern und Solothurn zeigen positive Erfahrungen.

Die Berufswahl wie auch der Übertritt von der obligatorischen Schule in die Grundbildung sind individuelle Prozesse, bei dem viele Puzzlesteine zusammenpassen müssen: Die persönlichen Interessen und Motivation der Schülerinnen und Schüler, ihre schulischen und praktischen Fähigkeiten, ihre Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen wie auch ihr familiäres Umfeld prägen die Berufswahl. Mit Übungsinstrumenten wie den Kompetenzrastern können die Schülerinnen und Schüler erkennen, welche schulischen Anforderungen ihre Traumberufe haben, und noch vorhandene Lücken im Verlauf des neunten Schuljahres schliessen. «Wichtig ist, dass diese Lücken anschliessend auch erfolgreich geschlossen werden können. Denn so gelingt der erfolgreiche Einstieg in die berufliche Grundbildung besser und nahtloser. Und so kann schlussendlich die Lehre auch erfolgreicher abgeschlossen werden», erklärt Michèle Lisibach, Ressortleiterin sgv und Verantwortliche für die Berufsbildung. Damit die Schülerinnen und Schüler die heutigen unverzichtbaren Ressourcen und Kompetenzen erwerben und für die zukünftigen Anforderungen gerüstet sind, müssen auch die Volksschulen ein Verständnis für die aktuelle Arbeitswelt entwickeln. Die Lehrpersonen der Berufsfachschulen sollten sich ebenso mit der Bildungsarbeit der Volksschule vertraut machen und diese bei ihrer Planung berücksichtigen. Dazu Karin Rüfenacht, Fachleiterin Berufsbildung Generalsekretariat EDK: «Die Akteure beider Bildungsstufen müssen wissen, wo ihre Anknüpfungspunkte liegen.» Ein gemeinsamer Bezugspunkt für beide Bildungsbereiche ist die Kompetenzorientierung. Diese findet sich sowohl im Lehrplan 21 als auch in allen Bildungsverordnungen der beruflichen Grundbildungen. «Anforderungsprofile und Kompetenzraster bieten die Möglichkeit, Wissensvermittlung und die Zusammenarbeit über die Schulstufen hinweg neu auszurichten», so Rüfenacht.

Das Projekt «anforderungsprofile.ch: schulische Instrumente für die Berufswahl und -vorbereitung» der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren EDK setzt an der Schnittstelle zwischen den bestehenden Anforderungsprofilen der Berufswelt und den Kompetenzen der obligatorischen Schule an. Konkret geht es darum, den Übergang von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II der Berufsbildung zu optimieren. Denn es braucht eine Verbindung zwischen den eigenen schulischen Kompetenzen und den Anforderungen der Berufslehren. «Für Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, ihren persönlichen Leistungsstand zu kennen, damit sie ihre schulischen Entwicklungsmöglichkeiten im Hinblick auf ihren Wunschberuf eigenständig ausbauen können», sagt Rüfenacht. Grundlegender Treiber dieses «Brückenbaus» zwischen der Sek I sowie den Berufsschulen ist das bildungspolitische Ziel von Bund und Kantonen, dass 95 Prozent aller jungen Erwachsenen im Alter von 25 Jahre über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II verfügen.

«Es ist unerlässlich, dass die OdA mit ins Boot geholt werden.»

Für die Erreichung dieses Ziels hat die Berufswahlvorbereitung eine zentrale Bedeutung: Neben den Standortbestimmungen, Schnupperlehren, (nicht)kommerziellen Checks, Schulzeugnissen und Gesprächen braucht es ein weiteres Instrument: Die Verknüpfung der bestehenden und etablierten Anforderungsprofile mit der Wahl und Vorbereitung auf die berufliche Grundbildung. Dies bestätigt auch Lisibach: «Wichtig ist, dass eine Verknüpfung stattfindet zwischen den Fähigkeiten und dem Erlernten aus der obligatorischen Schule sowie den Anforderungen von Betrieb und Berufsfachschule.» Und hier kommen unterstützende Instrumente wie die «Berner Kompetenzraster» und die «Mindsteps» ins Spiel. «Sie sind eine grosse Hilfe, denn sie weisen den Jugendlichen den Weg zur Grundbildung, indem sie die Entwicklung der geforderten Kompetenzen unterstützen», konkretisiert Lisibach.

Erste positive Erfahrungen in den Kantonen Bern und Solothurn

Fünf Pilotkantone wurden angefragt, an diesem Teilprojekt der weiterführenden Instrumente zu den Anforderungsprofilen teilzunehmen. Nebst dem Kanton Bern beteiligt sich noch der Kanton Solothurn daran. Das Echo am Berufsbildungszentrum BBZ Olten darauf ist positiv. «Unsere Erfahrungen zeigen, dass das Kompetenzraster ein sinnvolles Instrument ist», so Daniel Hofer, Rektor der Gesundheitlich-Sozialen Berufsfachschule des BBZ Olten. Und er ergänzt: «Das Kompetenzraster bietet eine umfassende Übersicht über die Anforderungen Mathematik und die Erstsprache Deutsch. Es enthält auch spezielle Musteraufgaben, um diese beiden Kompetenzen zu verbessern.» In diesem Zusammenhang werden im Kanton Solothurn auch die sogenannten «Mindsteps» ausgerollt. Dieses Instrument ist eine digitale Aufgabensammlung mit rund 25 000 Aufgaben für die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch. Das Konzept und die Testtheorie von «Mindsteps» bauen auf den «Checks» des Bildungsraums Nordwestschweiz auf und entwickeln sie weiter. Die Plattform orientiert sich am Grundsatz von «Lernen sichtbar machen», wie vom neuseeländischen Pädagoge John Hattie postuliert. Dazu Hofer: «Die Aufgaben in «Mindsteps» decken die Kompetenzen bis zum Ende der Volksschule ab und sind mit dem Lehrplan 21 verknüpft. Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen können so Aufgaben zusammenstellen, die unabhängig vom Standort am Computer gelöst werden können.» Die Rückmeldungen zu den Lernfortschritten unterstützen die Schülerinnen und Schüler bei ihrem Lernprozess und ermöglichen den Lehrpersonen gezielte Interventionen.

Organisationen der Arbeitswelt OdA ins Boot holen

Das Instrument «Berner Kompetenzraster» wird im Rahmen des EDK-Projektes allen interessierten Kantonen zur Verfügung gestellt und schweizweit ausgerollt. Voraussetzung ist eine Zusammenarbeit des Volksschul- und Berufsbildungsamts innerhalb eines Kantons. «Mit diesem Projekt stellen wir den Kantonen, Schulen und Schülerinnen und Schülern schweizweit ein kostenfreies und nicht-kommerzielles Instrument zur Verfügung, das die Lehrplan-Kompetenzen der obligatorischen Schule optimal mit den schulischen Anforderungen der Berufslehren verknüpft», sagt Rüfenacht. Und mit Blick auf die langjährigen kommerziellen Angebote wie «Multicheck» und «Basic Check», meint die Bildungsfachfrau: «Letztlich steht es den Kantonen frei, ob und wie eigene Leistungstests oder Standortbestimmungen angeboten werden.» Und Hofer doppelt nach: «Der Markt bestimmt, welche Checks als Instrumente zur Leistungsmessung verwendet werden. Ich bin der Meinung, dass unsere Konzeption sehr überzeugend ist.» Es ist allerdings unerlässlich, dass die regionalen Organisationen der Arbeitswelt OdA mit ins Boot geholt werden. «Die Partner verständigen sich auf eine gemeinsame Sprache, indem sie das Instrument gemeinsam tragen. Die regionalen Ausbildungsbetriebe sind in den Prozess integriert und erkennen die Sinnhaftigkeit des Instruments», erklärt Rüfenacht.

Für die Ausrollung der «Berner Kompetenzraster» werden weitere interessierte Kantone gesucht – ganz nach dem Motto «je mehr Schülerinnen und Schüler dieses Instrument anwenden, desto besser». Und wie geht es mit dem Projekt des Kantons Solothurn unter dem Namen «Anforderungsprofile – Kompetenzraster – Mindsteps», kurz AKM, weiter? Als nächster Schritt wird AKM an den beiden Berufsbildungszentren – BBZ Olten und BBZ Solothurn-Grenchen – breit getestet und evaluiert, wobei 700 Lernende aus verschiedenen Berufsausbildungen einbezogen werden. «Darüber hinaus ist eine gemeinsame Veranstaltung der beiden BBZ mit den Lehrpersonen der Volksschule geplant, um das Projekt vorzustellen und die Kooperation zu verankern», so Hofer.

Corinne Remund

www.anfoderungsprofile.ch

«BERNER KOMPETENZenraster» IN LATEINISCHEr SCHWEIZ

Überarbeitung und keine Übersetzung

Die «Berner Kompetenzraster» sollen auch in der lateinischen Schweiz ausgerollt werden. Dies geschieht unter der Schirmherrschaft des frankophonen Teils des Kantons Bern und in Zusammenarbeit mit der Regionalkonferenz CIIP. Herausfordernd ist dabei, dass die Kompetenzraster nicht einfach von Deutsch auf Französisch übersetzt werden können; sie verwenden als Grundlage den Plan d’études romand (PER) und nicht den Lehrplan 21. «Es braucht deshalb eine grundsätzliche Überarbeitung des Inhalts und keine reine Übersetzung», stellt Karin Rüfenacht, Fachleiterin Berufsbildung Generalsekretariat EDK, fest. Und sie ergänzt: «In der lateinischen Schweiz sind Instrumente zur individuellen Förderung und Lückenschliessung gefragt und weniger Testinstrumente.» Die Bescheinigung der überfachlichen Kompetenzen, ein Instrument, das die persönlichen Softskills der Schülerinnen und Schüler aufzeigt, wird momentan von der CIIP für eine schweizweite Ausrollung überarbeitet. Es zielt darauf ab, ein «Gegengewicht» zu den schulischen Noten zu geben. CR

www.ciip.ch

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