Publiziert am: 02.06.2023

«Völlig unverständlich»

ERBRECHT – Die Ständerätliche Kom­mission für Rechtsfragen lehnt Er­leich­terungen im Erbrecht für die familien­interne Nachfolge von Unternehmen ab. Sie manövriert sich damit ins Ab­seits. Denn Verbesserungen in diesem Bereich sind dringend nötig, wie Bei­spiele zeigen.

Man könnte den Entscheid als fahrlässig bezeichnen. Da präsentiert der Bundesrat endlich eine Vorlage, um die familieninterne Unternehmensnachfolge im Erbrecht zu erleichtern. Und dann will die Ständerätliche Kommission für Rechtsfragen (RK-SR) das Vorhaben gleich zu Beginn abschiessen, indem sie das Problem negiert und dem Ständerat für die laufende Sommersession empfiehlt, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten (siehe Artikel unten). Und dies, obwohl sich eine sehr grosse Mehrheit der an der Vernehmlassung beteiligten Kantone, Parteien und Organisationen und nicht zuletzt auch die praktisch einhellige Praxis und Lehre für die entsprechenden Änderungen ausgesprochen hat.

Ein Drittel scheitert

Die Vorlage will, dass Familienunternehmen, insbesondere KMU, nicht sehenden Auges aufgrund eines Erbstreits sterben, wenn ein Nachfolger aus der Familie bereit wäre, die Firma weiterzuführen. Die neue Regelung ist auch deshalb so wichtig, weil in den nächsten fünf Jahren über 90 000 Familienunternehmen vor dem Nachfolgeprozess stehen. «Davon wird erfahrungsgemäss etwa ein Drittel scheitern, unter anderem wegen Erbstreitigkeiten», erklärt Balz Hösly, Fachanwalt Erbrecht des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV).

Gibt die Politik in diesem Bereich also keine Gegensteuer, wird die Schweiz somit bald um mehrere Tausend Familien-KMU ärmer sein. Den Entscheid der RK-SR bezeichnet Hösly unter diesem Gesichtspunkt als «völlig unverständlich». Vor allem auch, weil die Zahl der KMU in Familienhand bereits seit Jahren – nicht zuletzt wegen Erbstreitigkeiten – abnimmt: Gemäss einer Studie der Credit Suisse waren im Jahr 2016 nur noch 75 Prozent der KMU Familienunternehmen – 1988 waren es noch 88 Prozent. Hösly weiss auch, dass die allermeisten führenden Erbrechtsexperten der Schweiz die Vorlage befürworten.

Die Kommission begründet ihre Ablehnung unter anderem damit, dass es die vorgeschlagene Regelung in den allermeisten Fällen nicht brauche, weil die Unternehmensnachfolge einvernehmlich geschehe. Doch genau um diese Fälle geht es gar nicht. «Bei der Vorlage handelt es sich um eine Auffangnorm, ein ‹Sicherheitsnetz›, das nur zum Zug kommt, wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden wird. Es handelt sich also um eine sehr liberale Lösung», erklärt Hösly, der auch Mitglied der Expertenkommission des Bundes bei der Revision des Erbrechts und der neuen Vorlage des Unternehmenserbrechts war. Da er sich täglich mit erbrechtlichen Fragen bei (Familien-)Unternehmen auseinandersetzt, kennt Hösly die Probleme. Und er macht dazu drei Beispiele, die ihm in ähnlicher Form in seinem beruflichen Alltag begegnet sind und erklärt, welche Verbesserungen die Vorlage des Bundesrats herbeiführen würde:

Beispiel 1 – der «Nonvaleur»

Vor rund 20 Jahren hat ein Patron mit seinen drei Söhnen einen Schenkungsvertrag über die Firma gemacht. Der älteste Sohn schien ihm geeignet, das Unternehmen einmal weiterzuführen, und er machte diesen zum Mehrheitsaktionär. Die anderen beiden Kinder sah er weniger in einer Leitungsfunktion; er machte sie zu Minderheitsaktionären. Der Schenkungsvertrag wurde unterzeichnet, als die beiden jüngeren Brüder knapp 20 Jahre alt waren. Heute, 20 Jahre später, nachdem der Patron vor Kurzem gestorben ist, halten die Minderheitsbeteiligten praktisch einen «Nonvaleur» in den Händen. Sie waren sich damals der Tragweite schlicht nicht bewusst und fügten sich der väterlichen Autorität. Der älteste Sohn wiederum beruft sich auf den Schenkungsvertrag und erhebt Anspruch auf die Führung der Firma. Die beiden Jüngeren müssen ihre Anteile jedoch übernehmen, sind unzufrieden, und können ihrerseits ihren ältesten Bruder in gewissen Entscheiden gar bremsen oder blockieren. Es kommt zu heftigen Streitereien. Die Spannungen werden so gross, dass das Familienunternehmen wohl nicht weiterbetrieben werden kann. Das Gesetz bietet heute für diesen Fall keinen Ausweg. Mit der neuen Regelung wäre es möglich, dass die Minderheitsaktionäre die Regelung, die ihre Pflichtteile «wertlos» macht, ablehnen könnten. Der Mehrheitsaktionär müsste so zwar die Minderheitsbeteiligungen seiner beiden Brüder übernehmen, aber könnte diese mit einer Frist von bis zu zehn Jahren ausbezahlen.

Beispiel 2 – der Schicksalsschlag

Drei Geschwister sind massiv verkracht. Ein Erbvertrag zu schliessen, war schlicht unmöglich. Plötzlich stirbt der Vater unerwartet, ohne dass er eine Nachfolge für sein KMU aufgegleist hat. Eines der Kinder würde das etablierte Unternehmen gerne weiterführen. Die anderen beiden Geschwister wehren sich jedoch dagegen. Die Firma ist der grösste Vermögenswert im Nachlass.

Heute sieht das Gesetz vor, dass der Richter in einem Erbstreit den Verkauf oder sogar die Versteigerung der Firma anordnen muss. Es kommt deshalb zu einem «Zwangsverkauf». Der Preis ist in solchen Fällen rund ein Viertel tiefer als der eigentliche Verkehrswert des Unternehmens. Das heisst: Die Erbmasse wird viel kleiner. Was die neuen Eigentümer mit der Firma machen werden, ist zudem unklar – vorausgesetzt, man findet überhaupt einen Käufer.

Mit der neuen Vorlage wäre es möglich, dass der Richter das Unternehmen demjenigen Kind zuteilt, welches es weiterführen möchte, oder – wenn mehrere es wollen – die Firma dem dafür geeignetsten zuteilen kann. Der Nachfolger könnte seine anderen beiden Geschwister wiederum mit einer Frist von bis zu zehn Jahren ausbezahlen. Übrigens: Etwa vier Prozent aller Unternehmensnachfolgen – also rund 700 pro Jahr – finden aufgrund eines Schicksalsschlags wie in diesem Beispiel statt.

Beispiel 3 – der teure «Rabatt»

Der Patron macht mit seiner ältesten Tochter zu Lebzeiten einen Übernahmevertrag für die Firma und gewährt ihr – wie in solchen Fällen üblich – einen «Rabatt» von 40 Prozent auf den Verkehrswert. Die Tochter zahlt rund 600 000 Franken für das KMU anstatt einer Million. 400 000 Franken (40%) sind rechtlich gesehen eine Schenkung. Die Tochter führt ab Vertragsabschluss den Betrieb selbständig. 15 Jahre später stirbt der Patron. Die Tochter muss nun den beiden Geschwistern den 40-Prozent-Rabatt ausgleichen.

Das Gesetz sieht heute aber vor, dass für die Ausgleichszahlung der Firmenwert zum Todeszeitpunkt des Erblassers herangezogen wird. Da die Tochter das KMU sehr erfolgreich geführt hat, ist es heute drei Millionen Franken wert. Das heisst: Sie muss ihre Geschwister mit 1,2 Millionen Franken ausgleichen (40 Prozent) anstatt mit 400 000 Franken. Das führt zu Streit, und das Unternehmen gerät in Liquiditätsschwierigkeiten, weil der Ausgleich sofort erfolgen muss.

Mit der neuen Regelung müsste die Tochter «nur» die 400 000 Franken ausgleichen – also den Schenkungsbetrag bei Vertragsabschluss. Werterhöhungen oder -minderungen der Firma im Verlaufe der Zeit spielten keine Rolle. Ausserdem könnte der Ausgleich wiederum mit einer Frist von bis zu zehn Jahren ausbezahlt werden.

Sensibilität walten lassen

Erbrechtsexperte Hösly betont: «Der Vorschlag des Bundesrats will nicht primär den Nachfolger schützen, sondern er stellt das Unternehmen und sein Weiterbestehen als volkswirtschaftlichen Wert in den Vordergrund. Dieses soll nicht einem Erbstreit zum Opfer fallen.»

Es ist sehr zu hoffen, dass der Ständerat in dieser Frage die nötige Sensibilität walten lässt und dem völlig unverständlichen Entscheid seiner Kommission für Rechtsfragen nicht folgt. Schliesslich schaffen Unternehmen Wertschöpfung, bringen Menschen in Lohn und Brot und sorgen unter anderem mit ihren Steuern dafür, die Schweiz wirtschaftlich am Laufen zu halten.

Rolf Hug

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