Publiziert am: 16.06.2023

Wahlkampf auf Kosten der AHV

SOZIALPOLITIK – Die AHV-Renten sollen für Bedürftige erhöht werden. Das ist Unsinn, denn mit Ergänzungsleistungen kann viel gezielter und wirksamer geholfen werden.

Am 22. Oktober wird gewählt. National- und Ständerat werden turnusgemäss neu besetzt. Zwar wird erst in gut vier Monaten tatsächlich gewählt. Doch der Wahlkampf hat längst begonnen. Bisherige haben den Vorteil, dass sie auch mit ihren Aktivitäten im Parlament auf sich aufmerksam machen können. Dazu zählen unter anderem auch parlamentarische Vorstösse, mit denen man etwas für seine potenziellen Wähler herausholen oder zumindest die Aufmerksamkeit auf sich lenken will. Naturgemäss gibt es dabei gescheitere und weniger gescheite Forderungen. Zur zweiten Kategorie gehört die Motion, die verlangt, dass die AHV für bedürftige Rentnerinnen und Rentner erhöht wird.

Das System ist sauber austariert

Die Höhe der heutigen AHV-Renten stützt sich massgeblich auf die Beiträge ab, die jemand während seines gesamten Erwerbslebens einbezahlt hat. Bei Ehepaaren werden die Einkommen aufsummiert und je zur Hälfte beiden Eheleuten gutgeschrieben. Wer Erziehungs- und Betreuungsarbeit leistet, erhält ein fiktives Einkommen gutgeschrieben. Rentenkürzungen gibt es bei fehlenden Beitragsjahren. Das ganze System ist so ausgestaltet, dass es zu einem starken sozialen Ausgleich kommt und der Einkommensmillionär bloss das Doppelte an AHV-Rente erhält wie die Person, die bloss minimale Beiträge einbezahlt hat.

Die Berner glp-Nationalrätin Melanie Mettler und der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder verlangen nun, dass die AHV-Rentenformel angepasst wird. Wie sie das korrekt bewerkstelligen wollen, wissen sie offenbar selbst nicht so genau. Denn sie sprechen einerseits von bedürftigen Rentnerinnen und Rentnern, andererseits von tiefen Einkommen. Und das ist längst nicht deckungsgleich.

Wer sein Leben lang ein tiefes Einkommen erzielt hat und dann plötzlich viel Geld erbt, ist alles andere als bedürftig. Das gleiche gilt für die Künstlerin, die ihr Leben lang wenig verdiente, aber in fortgeschrittenem Alter reich heiratet. Der Beispiele gäbe es viele mehr. Zudem ist ein hohes vergangenes Einkommen keine Garantie dafür, dass man nicht bedürftig wird. Je nach Umsetzung der Motionen würde man die AHV zwingen, mehr Geld auszugeben, das zu einem ordentlichen Teil zu den falschen Empfängern gelangt.

Ergänzungsleistungen präziser

Unser Drei-Säulen-System kennt ein Instrument, mit dem den wirklich Bedürftigen viel gezielter geholfen werden kann: die Ergänzungsleistungen. Bei den Ergänzungsleistungen wird präzise ermittelt, wie viel Einkommen jemand erzielt und welche Kosten abzudecken sind. Gibt es eine Lücke, wird diese geschlossen. Mit diesem System kann sichergestellt werden, dass niemand zu kurz kommt und dass pro eingesetztem Franken der maximale Nutzen erzielt werden kann. Zudem haben Ergänzungsleistungen den Vorteil, dass sie nicht ins Ausland ausgezahlt werden müssen, was die Wirkung zusätzlich erhöht.

«Die AHV ist und bleibt ein Sanierungsfall. Jede nicht zwingende Ausgabenerhöhung ist daher tunlichst zu vermeiden.»

Wenn man daher die Situation der bedürftigen Rentnerinnen und Rentner gezielt verbessern will, tut man dies am gescheitesten mittels eines gezielten Ausbaus der Ergänzungsleistungen.

Die AHV bleibt ein Sanierungsfall

Nicht ganz ausser Acht lassen darf man auch die Finanzlage der AHV. Die AHV hat im letzten Jahr statt eines prognostizierten Gewinns von zwei Milliarden einen Verlust von 2,6 Milliarden Franken erlitten. Noch vor Ende dieses Jahrzehnts wird das Umlageergebnis dauerhaft negativ ausfallen. Die AHV ist und bleibt ein Sanierungsfall. Jede nicht zwingende Ausgabenerhöhung ist daher tunlichst zu vermeiden.

Zum Glück war der Vorstoss auch dem Ständerat nicht geheuer. Er hat ihn zur näheren Prüfung an die zuständige Kommission zurückgewiesen. Gut so. Denn in den Kommissionen kommt – gerade vor Wahlen – der Sachverstand meist stärker zum Tragen als das politische Kalkül. Und der Sachverstand gibt eine klare Antwort auf die beiden gleichlautenden Motionen: Sie sind abzulehnen.

Kurt Gfeller, Vizedirektor sgv

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