Publiziert am: 02.06.2023

Wo bleibt hier der Nutzen?

SRG-INITIATIVE – Es gibt mehr als genügend gute Gründe, die Initiative «200 Franken sind genug» zu unter­stützen. Der ehemalige Journalist und heutige Unternehmer Christian Jacot-Descombes zählt einige davon auf, aus der Sicht eines Romands. Eine lesenswerte Polemik.

Was vertraut man in der Westschweiz am Wochenende hĂĽbschen Kinderbetreuerinnen und unter der Woche einem grossen Melancholiker an? Die Tagesschau (TJ).

In den Nachrichten von Radio Télévision Suisse (RTS) spricht man samstags und sonntags mit Ihnen wie mit einem Fünfjährigen, und unter der Woche wie mit einem Zellengenossen. Wenn man um 20 Uhr endlich auf das französische TF1 umschaltet, wird einem bewusst, dass man von der Version der Nachrichten für Kinder und Missverstandene zu jener für Erwachsene übergegangen ist. Was die Form betrifft, so gibt es zwischen den Nachrichten des «Service public» in der Schweiz und denen von TF1 inzwischen denselben Unterschied wie zwischen der Schweizer Werbung und der unserer Nachbarn.

Ungenügend in Bezug auf die Form, das mag sein. Aber wie sieht es mit dem Inhalt aus? Seit jeher, und noch mehr, seit ihre Finanzierung durch Steuern in Frage gestellt wird, behauptet die SRG, unentbehrlich zu sein, plädiert für die hohe Qualität ihrer Nachrichten und eine einzigartige Nähe, für die sie sich selbst als Garant bezeichnet: «Wenn wir nicht da sind, wer erzählt Ihnen dann vom Bundesrat und den Hintergründen aus dem ‹Palais›?». Ist das noch Information oder schon Rausch?

Im Herzen des Bösen

Lassen Sie uns auf die Woche der angekĂĽndigten Fusion der beiden Schweizer Grossbanken zurĂĽckblicken, auf das TJ vom Sonntag und die Krise der Credit Suisse (CS).

19. März, 19.30 Uhr: Man spürt, dass unser Kleinkindspezialist am Rande der Panik steht. Die Übernahme der CS durch die UBS ist ein doppelt abstossendes Thema: Wirtschaft mit einem Hauch von Finanzen. Das ist das Herz des Bösen in dieser Redaktion, die von Thomas Piketty und Greta Thunberg geprägt wurde. Und dann auch noch eine Live-Schaltung zu Bundesräten, die zwei Fremdsprachen sprechen, Englisch und Finanzen: ein Albtraum. Aargh, schnell! Zurück ins Studio!

Zwei Gäste werden eingeladen, um zu erklären und zu kommentieren: ein Banker – das klingt logisch – und eine Journalistin der Printmedien, brilliant und ausgezeichnete Analystin (obwohl sie das Ende des Dollars schon vor zwölf Jahren vorausgesagt hat, was sie nicht gerade als Greenback-Expertin auszeichnet).

Hat RTS also keine Inhouse-Journalistin, die uns den CS-Schiffbruch erklären kann? Offensichtlich nicht. Es gibt zwar eine Chefin der Wirtschaftsrubrik, die in Eco-techno-conso umbenannt wurde (es ist klar, dass die Wirtschaft ein zu einfacher und enger Bereich ist, um eine eigene Behandlung zu erhalten), aber sie geht in ihren Notizen unter. Es ist immer noch unklar, ob sie wieder aufgetaucht ist.

Sie teilen denselben Spin Doctor

Nach einer langen Zeit der Einsamkeit, die schmerzhaft mit einem breiten Publikum geteilt wurde, beim Jonglieren zwischen der unhörbaren Pressekonferenz des Bundesrats und technischen Erklärungen, die für die diensthabende Lehrerin etwas zu komplex waren, kommt endlich der Moment der Erleichterung: der Kommentar der Politiker. Uff! Zurück in bekanntes (und beherrschtes) Terrain, jenes der Emotionen und der Moral.

Es sind deren zwei, einer von jeder Seite. Der eine und der andere ist lässig gekleidet und gleichermassen empört. Sie teilen wahrscheinlich auch denselben Spin Doctor, der ihnen gesagt hat: «Es ist Sonntag, Coco: kein Rasierer, keine Krawatte wie der Neo-Spiesser, der für dich gestimmt hat und seine Jogginghose den ganzen Tag nicht ablegt.» Der Linke kleidet sich offensichtlich bei Obdachlosen in der Katerabteilung ein. Er lässt seine Empörung lautstark in einem breiigen Röcheln heraus. Er ist ein Mélenchon ohne Eloquenz, der Gipfel der Nutzlosigkeit.Von einem vagen Gefühl der Dringlichkeit durchströmt, aber auch von der Aussicht auf ein gutes Sozialthema, wie man es bei RTS liebt (der Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen), beseelt, geht es weiter mit einer Sonderausgabe. Ein halber Chefredaktor (eine RTS-Spezialität) übernimmt die Aufgabe der Freundin der ganz Kleinen, aber der Inhalt bleibt unverändert.

Ein «Service public» ohne Stolz

Man sieht also, dass RTS in Sachen Qualität eher mittelmässig abschneidet. Was ihre selbsternannte Nähe und ihre unvergleichliche Fähigkeit zur Infiltration der Macht betrifft, so hat die gleiche Affäre, die nicht schweizerischer sein könnte, eine grausame Wahrheit enthüllt. Der Infiltrator arbeitete nicht für die SRG, sondern für die Financial Times (FT). Zwischen der britischen Zeitung und der SRG bestand ein Zeitunterschied von rund vier Zeitzonen. Das ging so weit, dass der Service public nicht mehr über aktuelle Ereignisse berichtete, sondern über die Nachrichten der FT: «Laut FT wird die CS von der UBS aufgekauft.»

Es war bereits bekannt, dass der «Service public» in den Medien ohne Stolz ausgeübt wird: Man nimmt es gerne in Kauf, von Leuten bezahlt zu werden, die einen nicht mögen. Aber hier wurde ein neuer Höhepunkt erreicht.

Die «Affäre» Dittli

Im gleichen Zeitraum suchten die RTS-Ermittler, getreu ihrer politischen Neigung und ihrer verpassten Berufung als Steuerbeamte, in den Steuererklärungen der neuen Waadtländer Mitte-Staatsrätin und Finanzdirektorin Valérie Dittli nach Schlupflöchern, die es ihnen erlaubten, den Mehrheitswechsel von links nach rechts in der Waadtländer Regierung zu rächen oder sogar rückgängig zu machen. So machten sie sich ohne jede Scham zum bewaffneten Arm des Lagers des Guten, der schlechten Verlierer und rachsüchtigen Linken. Eine unabhängige Untersuchung hat inzwischen gezeigt, dass es sich um einen Rohrkrepierer handelte. Der Betrag der Steueroptimierung (die aus dem Kanton Zug stammende Dittli hatte noch in ihrem Heimatkanton Steuern bezahlt) belief sich auf gerade einmal 187 Franken – also viel weniger als die Kosten der staatlichen Untersuchung, die von den feinen Spürnasen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erzwungen wurde.

Systematischer politischer Bias

Moralisch gesehen, privatisiert man bei RTS den (falschen) Scoop und sozialisiert die Kosten (seiner eigenen Fehler). Dieser systematische politische Bias, der seit Langem bekannt ist, aber von der Rechten noch immer zu wenig in Frage gestellt wird, hängt hauptsächlich mit der Monokultur des Personals zusammen. Meist kommen die Mitarbeitenden beim «Service public» aus den Bereichen Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie oder Literaturwissenschaft – wenig anspruchsvollen Fächern, in denen man seinem Lehrer nur nachplappern muss, was er hören will, um die Prüfungen zu bestehen. Dies im Gegensatz zu den exakten Wissenschaften, in denen man beweisen muss, dass man eine Argumentation beherrscht. Ich kannte nur einen einzigen Journalisten bei der SRG, der eine Ausbildung als Physiker hatte ... er landete beim Wetterbericht.

Der Fall der Sportabteilung

Seit einigen Jahren hat die Sportabteilung von RTS viel an ihrem Casting gearbeitet. Von einer sympathischen Bande weisser, schwerfälliger, gerne beschwipster, aber hochkompetenter Männer, die in den Jahren vor «mee too» ihr Unwesen trieben, sind wir zu einer Versammlung von Arbeitern übergegangen, die einem Seminar über «Diversity» an der Universität Genf gerecht würden: süsse Bodybuilder, die mit Avocado-Toast gepimpt werden, Quasi-Stotterer, Frauen, farbige Frauen, auch farbige Männer, Fettleibige, bussfertige Männchen, kurzum: Alles, nur keinen Sport.

«Die SRG hat Mühe, ihren Nutzen anhand der Kriterien zu beweisen, die sie selbst geltend macht.»

Ja, denn die SRG findet schon lange keinen Weg mehr, die Steuergelder für die Übertragungsrechte der beliebtesten nationalen Sportarten (Fussball, Hockey) zu verwenden. Zu teuer, heisst es. Okay, aber wo wir gerade beim Thema sind: Hat man uns den Anteil der Rundfunkgebühren, der bislang für die Bezahlung dieser Rechte verwendet wurde, zurückerstattet? Ohne die Bilder, die im Sport doch von einiger Bedeutung sind (oder haben Sie schon einmal versucht, einen Spielbericht im Newsfeed einer Printmedien-Website zu verfolgen?), machen unsere Seminarteilnehmer einen auf alternativ. Wir wissen jetzt alles über die Feinheiten des Synchronschwimmens bei Einbeinigen, des Bogenschiessens bei Sehbehinderten, des CrossFit bei Herzkranken und der Hormonzyklen bei Transgender-Gewichthebern. Wenn hingegen in einem hochklassigen Derby zwischen dem FC Servette und dem FC Sion sechs Tore fallen, werden davon bestenfalls zwei oder drei zu sehen sein. «Sportberichterstattung», jeden Sonntagabend gegen 18 Uhr.

Wiederkäuen ideologischer Litanei

Viel Inhalt und wenig Mittel, das war die Regel der Debatten zu Zeiten von Table Ouverte (1966–1996). Ein einfacher Tisch, um den herum mit einer gewissen intellektuellen Strenge debattiert wurde. Die Journalisten Gaston Nicole, eher rechts, und Claude Torracinta, eher sehr links, wechselten sich ab und machten der offenen und direkten Demokratie alle Ehre, indem sie mit Intelligenz und Respekt die Konfrontation der Ideen provozierten.

Die politische Debatte des heutigen RTS hat die Parameter umgekehrt. Die Mittel, die der Form gewidmet werden, sind sehr wichtig: Dekor und Moderator glitzern wie ein Modekatalog von PKZ, aber der Inhalt wird einer Aneinanderreihung von ideologischen Litaneien ohne Überraschungen geopfert, die von den Teilnehmern, die gekommen sind, um zu verurteilen und nicht zu debattieren, wiedergekäut werden.

Verstoss gegen den Wettbewerb

Weder unverzichtbar noch besser, glaubwürdiger oder näher dran – die SRG hat Mühe, ihren Nutzen anhand der Kriterien zu beweisen, die sie selbst geltend macht. Sie wurde mit der Geburt des Radios zu Beginn des letzten Jahrhunderts erfunden und hat all ihre Qualitäten vereint, als die Information enorme Mittel erforderte (noch in den 90er-Jahren wog ein Studiorekorder eine halbe Tonne, und riesige Sendemasten schmückten die Gipfel von La Dôle bis zum Monte Ceneri). Das ist heute nicht mehr der Fall. Es gibt eine Fülle von Nachrichtenproduzenten mit vergleichbarer Qualität und ähnlichem Inhalt, und unter diesen Bedingungen einen subventionierten Akteur aufrechtzuerhalten, ist schlichtweg ein Verstoss gegen den Wettbewerb.

Was also tun mit der SRG? Die Initiative «200 Franken sind genug» sollte ohne zu zögern mit Ja beantwortet werden, um einen tiefgreifenden Wandel einzuleiten. Eine andere Lösung wäre, die SRG für einen symbolischen Franken an die SP zu verkaufen, der sie auf Kosten aller Steuerzahler heute schon als Pressedienst dient. Zu diesem Preis müssten die Genossinnen und Genossen immerhin keine neue Steuer erfinden, um sich zu finanzieren.

Christian Jacot-Descombes

www.srg-initiative.ch

SRF BALD WENIGER LINKS?

Ausgerechnet er ...

«Ich tanze auf vielen Hoch-zeiten.»Der das von sich sagt, ist Marko Kovi´c. «Ich interessiere mich schwerpunktmässig für Gesellschaftskritik: Ich mach mir Gedanken darüber, wie die Gesellschaft funktioniert und, wie sie funktionieren sollte», schreibt Kovi´c auf seiner Website. Der Herr Kovi´c – er lässt sich als «Verschwörungsexperte» bezeichnen und liebt es insbesondere, die Medien zu belehren – weiss offenbar mehr als wir alle (ausser vielleicht, wo die Kommas zu setzen sind). Chapeau!

Der Bock wird zum Gärtner

Ausgerechnet dieser Mann also, 38-jährig und laut Eigenwahrnehmung «Sozialist», soll nun SRF-Journalisten lehren, wie eine ausgewogene Berichterstattung auszusehen hat – genauer: hätte. Im Juni bietet SRF seinen Mitarbeitenden den Kurs «Politisch objektiv berichten» an, geleitet von ... Kovi´c . Offenbar will der Staatssender hier den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Oder netter ausgedrückt: SRF macht den Bock zum Gärtner – und sich lächerlich.

Wir alle, die auch diesen Unfug mit unseren als «Gebühren» schöngeredeten Mediensteuergeldern zu berappen haben, dürfen gespannt sein, was bei dem kruden Experiment herausschaut. Wer erwartet, SRF habe bald weniger Schlagseite nach links, glaubt wohl auch an den Storch.En

www.kovic.ch

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