Publiziert am: 11.08.2023

Keine schleichende Amerikanisierung

SAMMELKLAGE – Seit 2013 wird in Bundesbern über die Sammelklage diskutiert. Das Missbrauchspotenzial zulasten der Wirtschaft ist gross. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv lehnt eine Verfremdung des Rechts ab und fordert deshalb, auf die Vorlage des Bundesrats gar nicht erst einzutreten.

Mit einer neuen Revision der Zivilprozessordnung (ZPO) will der Bundesrat die bestehende Verbandsklage ausbauen und künftig auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ermöglichen.

Bereits 2018 hat er im Rahmen einer Vernehmlassung eine kollektive Rechtsdurchsetzung gefordert. Damals war der Widerstand gegen die Verbandsklage gross. Der Bundesrat liess das Ansinnen fallen.

Neuer Anlauf

Seit anderthalb Jahren liegt nun eine neue Vorlage auf dem Tisch. Weil nach heutigem Recht in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen muss, auch wenn eine Vielzahl von Personen gleich oder gleichartig geschädigt ist, schlägt der Bundesrat erneut eine Ausweitung der Verbandsklage vor. Sie soll insbesondere der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei sogenannten Massen- und Streuschadensfällen dienen, da gemäss Bundesrat Geschädigte gerade bei geringem Schaden oft auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichten.

Beim sogenannten kollektiven Rechtsschutz geht es um zwei Schadens- bzw. Anspruchstypen. Streuschäden umfassen eine Vielzahl von in gleicher oder gleichartiger Weise betroffenen Personen, wobei das Individuum wertmässig einen beschränkten Schaden erleidet. Beim Massenschaden ist eine Vielzahl von Personen in gleicher oder ähnlicher Weise betroffen. Unter dem Titel eines «verbesserten Rechtszugangs» sollen neue zivilprozessuale Sammelklage-Instrumente eingeführt werden.

Tiefe Hürde für Klagerecht

Mit dem Gruppenvergleich wird es Geschädigten ermöglicht, über einen Verein eine Entschädigung mit Wirkung für eine Vielzahl von Geschädigten anzustreben. Mit der Verbandsklage soll Geschädigten auch ermöglicht werden, auf ein individuelles Gerichtsverfahren zu verzichten, in welchem sie das Kostenrisiko tragen müssten. Profitieren werden Konsumentenschutzorganisationen und NGO. Damit ein Verband klagen kann, darf er nicht gewinnorientiert sein und muss seit mindestens einem Jahr existieren. Bereits zehn natürliche oder juristische Personen können einen Verband zur Klage ermächtigen. Dem Missbrauch wird damit Tür und Tor geöffnet. Das Nachsehen haben die Gewerbetreibenden.

Beratungen in der Rechtskommission des Nationalrats

Immerhin hat die Rechtskommission des Nationalrats die Brisanz der Vorlage erkannt. Sie will vor dem Entscheid, ob sie überhaupt auf die Vorlage einzutreten gewillt ist, Prüfungen möglicher Sicherheitsmassnahmen zur Verhinderung missbräuchlicher Nutzung der Sammelklage-Instrumente vornehmen. Und sie will eine Regulierungsfolgeabschätzung vornehmen. Vor 2024 wird sich die Kommission voraussichtlich mit dem Geschäft nicht mehr auseinandersetzen. Es wird sich zeigen, wie sich die Kommission nach den Gesamterneuerungswahlen vom Oktober 2023 zusammensetzen wird.

Ein beispielloser Vorgang

Der Vorgang ist beispiellos. Erstens hat der Bundesrat auf ein neuerliches Vernehmlassungsverfahren verzichtet. Zweitens sind Gewerbeverband und KMU-Wirtschaft in keiner Weise in die Arbeiten der Regulierungsfolgeabschätzung einbezogen worden.

Der sgv fordert Nichteintreten

Wesentliches Erfolgselement des Wirtschaftsstandorts Schweiz ist die Rechtssicherheit. Stabile Rahmenbedingungen sind für unsere Unternehmen von zentraler Bedeutung.

Der Zivilprozess geht von der Individualität von Kläger und Beklagten aus. Der Einzelfall wird beurteilt, und eine gerechte Lösung gesucht.

Die vom Bundesrat vorgesehenen Sammelklagen würden im schweizerischen Recht einen Paradigmenwechsel bewirken.

Sammelklagen sind in unserem Rechtssystem sachfremd, sie schaffen eine Kultur des Misstrauens, werden zum Anziehungspunkt einer Klageindustrie und provozieren eine Verfahrensflut. Sie wirken sich kontraproduktiv aus.

Auf eine Amerikanisierung und Verpolitisierung des Schweizer Rechts zulasten der Unternehmen kann, ja muss verzichtet werden.

Der Schweizerische Gewerbeverband fordert deshalb, auf die Vorlage des Bundesrats gar nicht erst einzutreten.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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