Vor einiger Zeit traf ich an einem Anlass im Glarnerland auf einen Caterer, der die für Events typischen Apéros riches organisiert. Er klagte darüber, dass er keine Fachkräfte mehr finde. Auf meine Frage nach Lösungen kam die lapidare Antwort: «Meine Leute und ich machen Überzeit, um unsere Kunden zufriedenstellen zu können.»
Szenenwechsel in eine Zürcher Landgemeinde. Die Stadt Affoltern am Albis leidet am Fachkräftemangel. Laut Medienmitteilung sei insbesondere in der Pflege und in der Verwaltung die Stellenbesetzung zunehmend schwieriger. Das erstaunt nicht, Fachkräftemangel steht ganz oben auf dem Sorgenbarometer der Wirtschaft.
Erstaunlich ist allerdings der Vorschlag des Stadtrates. Man gibt sich fortschrittlich und reduziert die Arbeitszeit von 42 auf 38 Stunden pro Woche. Selbstverständlich bei gleichem Lohn. Man will attraktiv sein und damit die fehlenden Fachleute anziehen. Und natürlich fehlt dabei weder der Hinweis auf eine «bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf» noch jener bezüglich der «Attraktivität auch bei der jungen Generation».
Gleich mehrfach problematisch
Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zunächst führt das zu einer Zunahme des Personalaufwands von +9,5 Prozent. Die jährlich wiederkehrenden Kosten werden vom Stadtrat auf 2,3 Millionen Franken geschätzt. Wie fundiert diese Schätzung ist, bleibt offen.
Ebenso störend ist die Tatsache, dass diese massiven Kosten vom Steuerzahler zu berappen sind. Dies notabene in einer Gemeinde, die im Kanton Zürich einen der höchsten Steuerfüsse kennt. Eine Strategie zur Steuersenkung sieht anders aus, als die Bevölkerung mit Zusatzlasten zu beglücken.
Krasser Gegensatz zu KMU
Offen bleibt der Erfolg. 350 Angestellte, laut Stadtrat «von der Pflege bis zur Feuerwehr», werden sich ob des unerwarteten Reibachs die Hände reiben. Weniger arbeiten bei gleichem Lohn, wer will das nicht? Allerdings verschärft der Stadtrat damit den eigenen Fachkräftemangel gleich selber. Eine Arbeitszeitreduktion muss durch zusätzliche Arbeitnehmende kompensiert werden. Ein Widerspruch per se angesichts des beklagten Fachkräftemangels. Und im krassen Gegensatz zum einleitend geschilderten KMU.
Grobe Arbeitsmarktverzerrung
Auch Unternehmungen reduzieren ihre Arbeitszeit, mag man nun einwenden. Das ist in Einzelfällen richtig; von einem generellen Trend zu sprechen, ist hingegen weit verfehlt. Kommt hinzu, dass – im Unterschied zur öffentlichen Hand – die daraus resultierenden Mehrkosten von den Unternehmungen selber zu verdienen sind. Sie können nicht einfach auf die Steuerzahler verschoben werden. Nur schon hier zeigt sich, wie einfach sich der Stadtrat die Sache macht.
Noch gravierender ist die Arbeitsmarktverzerrung, die die KMU in der Region ganz direkt und unmittelbar trifft. Durch die Vorreiterrolle der Stadt mit ihren feudalen Arbeitsbedingungen kommen Unternehmungen unfair unter Druck. Für sie wird es noch schwerer als heute schon, gutes Personal zu rekrutieren. Schlimmer noch: Es sind genau diese KMU, welche die steigenden Kosten der Verwaltung weitgehend mit ihren Steuergeldern finanzieren müssen. Da vermag es nicht zu erstaunen, dass der Gewerbeverein beim Stadtrat geharnischt interveniert und mächtig Druck gemacht hat, auf diese Massnahme zu verzichten.
Korrektur dringend nötig
Es bleibt zu hoffen, dass es sich schliesslich um eine Anekdote für das mediale Sommerloch handelt. Politikern, die in erster Linie das Geld der anderen verteilen wollen, gehört die rote Karte verteilt. Es kann nicht angehen, dass man auf dem Buckel der Steuerzahler Probleme der Verwaltung lösen will und gleichzeitig die KMU durch unfaire Arbeitsmarktkonkurrenz massiv unter Druck setzt. Der Stadtrat hat unter dem politischen Druck in der Zwischenzeit eine Abstimmung anberaumt. Gelegenheit zur Korrektur durch die Stimmbürger.
Hans-Ulrich Bigler, ehemaliger
Direktor Schweizerischer
Gewerbeverband sgv