Die Sozialpartnerschaft ist unbestritten ein wichtiges Element der Schweizer Wirtschaftskultur. Ohne grosses staatliches Zutun werden die Arbeitsbedingungen einer Branche oder eines Unternehmens bilateral oder regional vereinbart. Die beschlossenen Kompromisse werden in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) festgehalten. Diese GAV können auch allgemeinverbindlich erklärt werden und gelten dann für eine gesamte Branche.
«Diese Praxis setzt falsche Anreize und bestraft Unternehmen, deren Löhne über dem im Rahmen des allgemeinverbindlichen GAV definierten Mindestlohn liegen.»
Solche allgemeinverbindlich erklärten GAV haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Damit ein GAV allgemeinverbindlich erklärt werden kann, müssen gemäss Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen mehr als die Hälfte aller Arbeitgeber und mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer, auf die der Geltungsbereich des GAV ausgedehnt werden soll, beteiligt sein. Die beteiligten Arbeitgeber müssen zudem mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer beschäftigen. Dieses Quorum dient dazu, dass keine Minderheit einer ganzen Branche Arbeitsregeln diktieren kann.
Minderheit diktiert Mehrheit die Regeln
Für das Quorum sieht das Gesetz eine Ausnahmeregelung vor. So kann bei besonderen Verhältnissen von der Erfordernis der Mehrheit der beteiligten Arbeitnehmer abgesehen werden. In der Praxis wurde jedoch bei 51 von insgesamt 79 allgemeinverbindlich erklärten GAV eine Ausnahme vom Arbeitnehmerquorum bei der Erteilung der Allgemeinverbindlicherklärung gewährt. Dies entspricht 64,5 Prozent.
Oftmals wird das per Gesetz verlangte Quorum dabei um ein Vielfaches unterschritten. «In 64,5 Prozent der Fälle diktiert de facto eine teilweise krasse Minderheit der Mehrheit die Arbeitsregeln. Dies ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders», sagt die Baselbieter FDP-Nationalrätin und sgv-Vizepräsidentin Daniela Schneeberger.
Negative Auswirkung auf Wettbewerbsfähigkeit
Gerade vor dem Hintergrund, dass zahlreichen Unternehmen Arbeitsregeln diktiert werden, ohne dass sich diese in den Verhandlungen einbringen können, muss sichergestellt werden, dass diese Bedingungen möglichst wenig unnötige negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen haben. So führen gerade die im Rahmen der allgemeinverbindlichen GAV vorgegebenen Lohnerhöhungen in der Praxis teilweise zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen von Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Mitbewerbern. Schweizer Unternehmen bezahlen im Vergleich zu ausländischen Wettbewerbern bereits hohe Löhne. Und ausgerechnet die Schweizer Unternehmen, die auch im nationalen Vergleich hohe Löhne bezahlen, werden durch die vom GAV vorgeschriebenen periodischen Lohnerhöhungen zusätzlich benachteiligt, da die vorgeschriebenen Lohnerhöhungen nicht auf dem Mindestlohn, sondern auf dem tatsächlichen Lohn basieren. «Diese Praxis setzt falsche Anreize und bestraft Unternehmen, deren Löhne über dem im Rahmen des allgemeinverbindlichen GAV definierten Mindestlohn liegen», so Schneeberger.
Vertiefte Abklärungen sollen Status quo kritisch hinterfragen
Mit vertieften Abklärungen und einer allfälligen Interpellation will Daniela Schneeberger in der laufenden Herbstsession im Nationalrat den Status quo kritisch hinterfragen und eine Lösungsfindung anstossen. «Es muss sichergestellt werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen durch die allgemeinverbindlichen GAV nicht zusätzlich unnötig belastet wird», sagt die Nationalrätin.sgz