Publiziert am: 06.10.2023

Die Chinesen sind da

E-Autos – Nach vielen Ankündigungen etablieren sich die chinesischen Autohersteller nun nach und nach in Europa. Manche davon sind eine ernste Konkurrenz für die westlichen Marken.

Die IAA Mobility in München Anfang September hat es eindrücklich gezeigt: Die chinesischen Autohersteller drängen nun mit Macht nach Europa. Wo früher vor allem die deutschen Marken ihre wichtigen Neuheiten präsentierten, standen dieses Jahr vor allem die chinesischen Autohersteller im Rampenlicht. Dass man von einigen dieser Marken noch nie etwas gehört hat, zeigt, wie gross das Reservoir im Reich der Mitte ist. Dass es sich bei den Produkten fast ausschliesslich um topmoderne Elektroautos handelt, sollte den westlichen Herstellern Kopfschmerzen bereiten.

Tatsächlich sind bereits seit einigen Jahren chinesische Hersteller in Europa aktiv. In der Elektro-Hochburg Norwegen sind es aktuell sieben: BYD, Nio, Hongqi, MG, Maxus, Voyah und Xpeng sind dort offiziell vertreten, weitere Marken wie HiPhi stehen kurz vor dem Markteintritt. Doch auch hierzulande werden chinesische Autos angeboten, seit Jahren schon von den Marken DFSK und Maxus, die in erster Linie kleine Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor anbieten, und seit Kurzem auch von den Elektro-Start-ups Aiways, Nio und Voyah. Via Direktimport sind zudem schon länger die Produkte von JAC erhältlich.

RĂĽckstand aufgeholt

Ausserdem sind bei uns chinesische Autos auf den Strassen unterwegs, deren Herkunft viele gar nicht kennen. Polestar etwa: Der Elektroautohersteller wird als skandinavisch wahrgenommen, weil er ein Volvo-Spin-off ist. Doch beide Marken gehören dem chinesischen Konzern Geely, und der hat noch eine weitere Marke bei uns im Rennen: Smart gehört nämlich seit 2020 zur Hälfte dem chinesischen Autoriesen. Der bereits erhältliche Smart #1 sowie der kürzlich vorgestellte #3 basieren komplett auf Geely-Technik und werden auch in China produziert, nur das Design stammt noch von Mercedes. Wer in der neuen Interpretation des auf einer Schweizer Idee basierenden Kleinwagens eine Runde dreht, verliert bald alle allfälligen Zweifel an chinesischen Autos: Der Smart ist nicht nur digital in Topform und sehr umfangreich ausgestattet, er ist zudem auch hochwertig verarbeitet und fährt sich gut. In diesen Punkten hinkten die Chinesen noch vor wenigen Jahren deutlich hinterher.

Das nächste Geely-Produkt steht bereits in der Startlöchern: der Volvo EX30. Denn auch wenn der schwedische Hersteller es nicht gerne hören mag: Der neue Elektro-Kleinwagen ist technisch identisch mit dem Smart #1 und läuft ebenfalls ausschliesslich in China vom Band. Der 4,23 Meter lange EX30 lockt mit ansprechenden technischen Daten, mit bis zu 315 kW/428 PS Leistung, einem Beschleunigungswert von 3,6 Sekunden auf 100 km/h und Reichweiten bis 480 Kilometer. Der Expansionshunger von Geely ist damit aber noch nicht gestillt: Der Autoriese hat 18 Marken in seinem Portfolio – und mit Zeekr dürfte bald eine weitere davon bei uns lanciert werden. Die elektrische Premiummarke soll eine junge und solvente Zielgruppe ansprechen. Erstes Modell in Europa dürfte der Zeekr X werden, der ein weiterer Ableger des Smart #1 und damit ein enger Verwandter des Volvo EX30 ist.

Das Elektro-Start-up Aiways ist ebenfalls schon in der Schweiz. Während das erste Modell, der SUV U5, schon seit einigen Jahren via Direktimport erhältlich ist, will das chinesische Start-up nun mit dem U6 offiziell bei uns durchstarten. Das 4,8 Meter lange SUV-Coupé ist ein Hingucker – technisch spielt das Modell aber nicht in der obersten Liga. Der E-Antrieb mit 160 kW/218 PS reicht zwar locker aus, doch seine Batteriekapazität von 63 kWh sowie die Normreichweite von 405 Kilometern sind allenfalls Mittelmass. Und bei der Ladeleistung hinkt der Chinese mit maximal 90 kW (DC) der Konkurrenz hinterher. Denn besonders günstig ist der Aiways U6 mit einem Basispreis ab 48 990 Franken nicht.

Einige Neue stehen vor der TĂĽr

Spannender ist die bei uns bisher völlig unbekannte Marke Voyah des grossen chinesischen Herstellers Dongfeng. Voyah drängt mit spannenden Produkten nach Europa – und das mit einem Importeur mit Sitz in Rotkreuz ZG. Als erstes Modell rollt bei uns der Free vor, ein 4,9 Meter langer SUV mit elektrischem Allradantrieb, der dank einer Systemleistung von 360 kW/489 PS in 4,4 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt und dank eines Akkus mit 106,7 kWh Kapazität eine WLTP-Normreichweite von 500 Kilometern schafft. Der Free ist erstaunlich luxuriös und topmodern ausgestattet und kann fahrerisch durchaus mit der westlichen Konkurrenz mithalten – und das alles zu einem Preis ab 69 900 Franken in Vollausstattung. Die nächsten Modelle von Voyah sind bereits in der Pipeline: Die Chinesen werden bald einen grossen Edel-Van mit sieben Sitzen sowie eine schicke Business-Limousine zu uns bringen.

Ein weiterer spannender Kandidat für die Schweiz ist Nio. Bis 2025 will der 2014 gegründete Hersteller aus Shanghai in 25 europäischen Märkten präsent sein, auch bei uns – eine Niederlassung in der Westschweiz wurde bereits gegründet. Die Marke setzt auf ein vollautomatisches Akku-Austauschsystem an strategisch verteilten Batterietauschstationen, wo in nur fünf Minuten ein leerer Akku gegen einen vollen getauscht werden kann. Steht einmal keine solche Austauschstation zur Verfügung, kann dennoch an einer Schnellladesäule mit 130 kW (DC) geladen werden. In Norwegen, Dänemark, Schweden, Deutschland und in den Niederlanden ist Nio bereits mit den drei Modellen ET7, ET5 und EL7 gestartet. Wann die Marke zu uns kommt, ist noch nicht bekannt.

Es ist absehbar, dass bald noch weitere chinesische Marken ihr Glück in Europa und auch in der Schweiz versuchen werden – das hat die IAA in München gezeigt, wo weitere hierzulande völlig unbekannte Namen wie Forthing, Jiayuan oder Leapmotor ihre Europa-Pläne bekundeten. In Deutschland sind zudem bereits Marken wie BYD, Chery oder Link & Co. präsent – auch die dürften bald bei uns antreten. Emil Frey importiert ausserdem bereits die Great-Wall-Marken Wey und Ora offiziell nach Europa – da dürfte auch die Einführung in die Schweiz naheliegen, auch wenn der zweitgrösste Importeur der Schweiz dazu noch nichts sagen will. Voraussetzung für den Erfolg ist aber ein funktionierendes Servicenetz, daran sind schon verschiedene Projekte gescheitert.

Dave Schneider

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