Publiziert am: 06.10.2023

Noch verbesserungswürdig

NACHHALTIGKEIT – Der Ständerat hat in der vergangenen Session das neue CO2-Gesetz beraten. Es schwankt zwischen Klugheit und Mikro­manage­ment, ist aber besser als die einst vom Volk abgelehnte Vorlage. Allerdings enthält es ein paar Taschen­spieler­tricks.

Die Schweiz braucht ein CO2-Gesetz für die Zeit bis 2030. Nachdem die Bevölkerung den letzten Entwurf abgeschmettert hat, muss das Parlament ein klügeres machen. Ob das gelingt, bleibt offen.

Der Ständerat hat die Vorlage in der vergangenen Session als Erstrat bearbeitet. Zweifelsohne ist sie besser als das vom Volk verworfene Gesetz. Sie verzichtet weitgehend auf noch mehr Abgaben. Und trotzdem konnte sich die kleine Kammer nicht zurückhalten. Es wurde, wieder einmal, Mikromanagement betrieben. Hier eine bewertete Übersicht:

Ziele und Abgaben

Bis 2030 soll der Schweizer Treibhausgas-Ausstoss gegenüber 1990 um die Hälfte reduziert werden. Zu zwei Dritteln soll dies im Inland erfolgen und zu einem Drittel mit Klimaschutz-Projekten im Ausland. Während das Globalziel den einseitigen Verpflichtungen der Schweiz entspricht, ist die Zielaufteilung Mikromanagement. Sie schränkt die Breite und Flexibilität des Pariser Übereinkommens ohne Not ein. Die CO2-Abgabe bleibt bei 120 Franken pro Tonne. Der Ständerat will bis 2030 bis zu einem Drittel der Einnahmen aus der Abgabe dem Gebäudeprogramm, der Förderung von erneuerbarer Energie und von Technologien zur Verminderung der Treibhausgase zuwenden. Der Bundesrat hätte weniger als die Hälfte der Einnahmen dafür vorsehen und einen kleineren Restbetrag an die Wirtschaft und die Bevölkerung zurückgeben wollen.

Über die Wirkung des Gebäudeprogramms und der anderen Subventionen gehen die Meinungen auseinander. Finanzpolitisch ist die Haltung des Ständerates sauber. Trotzdem ist es ein Widerspruch, die Massnahmen ohne Not auf das Inland zu fokussieren und dann keine Mittel für Massnahmen im Inland bereitzustellen.

Auto- und Lastwagenflotte

Die CO2-Zielwerte für Fahrzeuge will der Ständerat verschärfen. Ab 2030 neu zugelassene Personenwagen sollen höchstens noch 45 Prozent der Emissionen von 2021 ausstossen. So hatte es auch der Bundesrat vorgeschlagen. Neu soll es auch für Nutzfahrzeuge CO2-Zielwerte geben: Neue leichte Sattelschlepper und Lieferwagen sollen ab 2030 noch bis 50 Prozent der Emissionen von 2021 ausstossen. Lastwagen, die mit Strom oder Wasserstoff fahren, werden weiterhin von der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) befreit. Das soll Transportfirmen einen Anreiz bieten, auf klimafreundliche Fahrzeuge umzusteigen.

Dieser Reduktionspfad ist zwar analog zur EU, aber doch ambitionierter. Denn die EU hat einen tieferen Anfangswert als die Schweiz. De facto muss also die Schweiz den CO2-Ausstoss der Flotte schneller und drastischer reduzieren. Die Unterstützung der fossilfreien Mobilität bildet eine Ausweichmöglichkeit für Flottenbetreiber. Das ist im Sinne der Flexibilität.

Im Übrigen: Der Bundesrat will Ladestationen für Elektroautos, zum Beispiel in Mehrfamilienhäusern, sechs Jahre lang und bis 2030 mit jährlich maximal 30 Millionen Franken aus der Mineralölsteuer fördern. Der Ständerat lehnte dies nun aber ab. Seine Mehrheit ist der Auffassung, dass das Einrichten von Ladeinfrastruktur Sache von Privaten sei.

Ă–ffentlicher Verkehr

Im Bus- und Bahnverkehr soll das Steuerprivileg für Dieselbusse per 2026 fallen. Das verfügbare Geld will der Bundesrat in Busse mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb investieren. Auch soll der Bund in ein besseres internationales Bahn-Angebot investieren können. Dazu gehören Nachtzüge.

Anbieter von Flugzeug-Treibstoffen will der Bund verpflichten, dem in der Schweiz getankten Kerosin erneuerbare Flugtreibstoffe beizumischen. Der Ständerat hat ergänzt, dass das Beimischen physisch erfolgen kann oder auch über eine Anrechenmethode, über Zertifikate für erneuerbare Flugtreibstoffe. Der Ständerat will zusätzlich, dass auf Flugtickets die Emissionen in CO2-Äquivalenten für den jeweiligen Flug vermerkt werden. Aus dem Erlös der Versteigerung von Emissionsrechten für Luftfahrzeuge will der Ständerat zusätzlich Massnahmen zur Verminderung der Treibhausgas-Emissionen im Luftverkehr fördern.

Treibstoffe: realitätsfremd

Importeure von Benzin und Diesel müssen, wie bisher, einen Teil der CO2-Emissionen dieser Treibstoffe mit Klimamassnahmen ausgleichen, neu mit einem Maximalsatz von bis zu 90 Prozent. Dafür dürfen die Importeure an den Zapfsäulen wie heute bis zu fünf Rappen pro Liter Diesel oder Benzin verlangen. Ein solcher Entscheid ist realitätsfremd. Entweder gibt man den Satz vor, den man kompensieren will, und nimmt den daraus resultierenden Preis entgegen – egal, wie hoch er ist. Oder man gibt einen Höchstpreis vor und lebt mit dem daraus resultierenden Kompensationssatz. Der Entscheid des Ständerates, basierend auf dem Bundesratsvorschlag, ist ein Taschenspielertrick. Er geht schon allein deshalb nicht auf, weil heute schon der Preis auf acht Rappen pro Liter ansteigen wird.

Als neues Instrument soll dann eine Überführungspflicht für erneuerbare Treibstoffe hinzukommen. Nach Ansicht des Ständerates soll der Bundesrat den Mindestanteil erneuerbarer Treibstoffe so festlegen, dass die damit verbundenen Kosten nicht mehr als fünf Rappen pro Liter Treibstoff betragen. Das soll für Transparenz bei den Aufpreisen an der Zapfsäule sorgen. Das ist dann bereits der nächste Taschenspielertrick. Wenn man solche Massnahmen will, darf man ihre Kostenfolge nicht scheuen. Vorausgesetzt natürlich, man will eine redliche Klimapolitik machen.

Wirtschaft: Befreiung noch bis 2040

Grundsätzlich alle Unternehmen – und nicht wie bis heute bestimmte Branchen – sollen sich von der CO2-Abgabe befreien können, wenn sie im Gegenzug eine Verpflichtung zur Verminderung ihres CO2-Ausstosses eingehen. Die Verminderungsverpflichtungen sind bis 2040 befristet, danach ist keine Befreiung mehr möglich. Drei Jahre nach dem Beginn einer Verminderungsverpflichtung müssen die Unternehmen einen Dekarbonisierungsplan einreichen und danach regelmässig aktualisieren. Unternehmen mit sehr hohem CO2-Ausstoss zahlen wie bisher keine CO2-Abgabe, nehmen aber am Emissionshandelssystem teil, das seit 2020 mit dem System der EU verknüpft ist.

Die Finanzmarktaufsicht Finma und die Nationalbank müssen regelmässig Bericht erstatten über Risiken, die vom Klimawandel ausgehen. Dabei geht es vor allem um finanzielle Risiken durch häufigere Unwetter oder Dürren.

Während die Öffnung des Befreiungsprogramms für alle Unternehmen zu begrüssen ist, ist seine gleichzeitige Einschränkung wieder ein Fall von Mikromanagement. Hier herrscht beim Gesetzgeber offenbar Angst. Die neuen Aufgaben der Finma werden kein Gramm CO2 reduzieren, dafür aber zu einem Ausbau der Verwaltung führen.

Wie geht es nun weiter? Nach der Beratung im Ständerat geht die Vorlage in den Nationalrat. Schon im vierten Quartal 2023 will die Umweltkommission die Vorlage vorbereiten.

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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