«Der Staat nimmt uns die Leute weg»
ARBEITSMARKT – Eine Art Kurtaxe einführen? Mehr Teilzeitarbeit ermöglichen? Die Akademisierung bremsen? Um den Fachkräftemangel zu stoppen, kursieren diverse Lösungsvorschläge.
FACHKRÄFTEMANGEL – Die Babyboomer mit Jahrgängen bis 1964 scheiden demnächst aus dem Arbeitsmarkt aus, während die Generation Z ins Berufsleben eintritt. Entsprechend braucht es neue Methoden, um junge Mitarbeiter anzuziehen. Und es lohnt sich, den bestehenden Angestellten Sorge zu tragen.
Der Fachkräftemangel und die Suche nach den Fachkräften der Zukunft: Darum drehte sich die Diskussion am ersten ganzen Veranstaltungstag in Klosters. Yannick Blättler, Gründer und CEO der Krienser Unternehmungsberatungsfirma Neoviso AG, stellte zu Beginn die Herausforderungen im Umgang mit der Generation Z vor – Jahrgänge 1997 bis 2012, auch Gen Z genannt. Sie prägen den künftigen Arbeitsmarkt, während die Babyboomer mit Jahrgängen bis 1964 aus diesem bald grösstenteils ausscheiden werden. «Wohlstand ist normal für die Gen Z, Selbstverwirklichung und mentale Gesundheit ihr Ziel, Social Media ihr Antrieb», stellte Blättler fest. Vor allem Letztere bewirkten viel Druck auf die junge Generation, sowohl was das äussere Erscheinungsbild als auch die beruflichen Perspektiven betreffe.
«Sind wir relevant, genügend schnell, flexibel und klar?» sei die Frage, die sich Unternehmen bei der Rekrutierung der Gen Z stellen müssten. Firmen müssten sich überlegen, wie ihre Website, aber auch ihr Rekrutierungsprozess in dieser «neuen Welt» aussehe, denn es sei klar: «Wir brauchen neue Methoden, um junge Mitarbeitende anzuziehen.» Dazu gehörten eine gute Firmenkultur, klare Regeln betreffend Kommunikation – wann wird auf welchem Kanal zu welchem Thema informiert, und wie soll das konkret geschehen? – und klare Prinzipien in der Führung: «Gen Z braucht Sicherheit, und sie will Chancen, nicht Probleme aufgezeigt erhalten.» Klare, kurz gesteckte Zielvereinbarungen mit raschem Feedback statt Jahresgespräche seien gefragt, und es müsse geklärt werden, was «Flexibilität» für die Firma und ihre Angestellten ganz konkret bedeute.
Im Anschluss stellte Benjamin Hügli, Head of Sales bei ManpowerGroup, den Fachkräftemangel in seiner globalen Dimension dar. «Die Welt wird rasch älter, im Arbeitsmarkt gibt es mehr Aus- als Eintritte.» Auch in der Schweiz seien drei Viertel der Unternehmen von Personalmangel betroffen. Entsprechend mache es Sinn, dass Firmen sich auf den Erhalt bestehender Mitarbeiter konzentrierten. Flexible Arbeitsformen seien ein Muss, Weiterbildung ebenfalls. Firmenchefs müssten sich fragen, welche wichtigen Skills in den nächsten fünf Jahren wegfallen und wie diese ersetzt werden könnten.
Obwohl die akuten und die kommenden Probleme bekannt seien, stellte Hügli im Markt «eine gewisse Lethargie» fest, sich der Probleme anzunehmen. «Rekrutiert wird oft noch wie vor 20 Jahren – und dann wundert man sich, dass niemand anbeisst.»
Mit Moderator Markus Somm, Chefredaktor des Nebelspalters, diskutierten auf dem Podium danach zum Thema «Best Practice bei der Rekrutierung und Arbeit»: Dominic Staub, Inhaber bikeperfection AG und Berufsschul-Fachlehrer; Thomas Iten, Geschäftsführer Sigrist Rafz Holz + Bau AG und Zentralpräsident des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten VSSM; Reto Zbinden, CEO Swiss Infosec AG und René Schmid, Geschäftsführer EO Elektro Oberland GmbH.
Reto Zbinden plädierte dafür, den Wertewandel ernst zu nehmen, und auch neue Vorstellungen von Arbeit zu akzeptieren. «Wir brauchen mehr Flexibilität; ein Umdenken ist zwingend.» Intern rekrutierten sehr oft auch bestehende Angestellte neue Mitarbeitende – gegen eine stattliche Prämie. Die Politik könne kaum viel zum Thema beitragen, ausser – etwa in den Verbänden – das Verständnis für die Bedürfnisse der neuen Generation zu fördern.
René Schmid hat in seinem Betrieb die Vier-Tage-Woche eingeführt; in Bezug auf den Fachkräftemangel «ohne sichtbaren Erfolg». Dennoch: Junge seien weder faul noch arbeitsunwillig, «sie schauen nicht auf die Uhr und bringen ihre Arbeit zu Ende.» Wichtig seien Anpassungen im Schulsystem mit mehr Fokus darauf, was welchen Schülern Freude bereite, und vor allem ein wenig komplizierter Anstellungs- und Bewerbungsprozess.
Hier hängte Dominic Staub ein: «Ein Motivationsschreiben für eine Schnupperlehre braucht es nun wirklich nicht, das ist schon eine erste, völlig unnötige Hürde.» Helfen könnte auch «eine gewisse De-Akademisierung, indem man bei universitären Ausbildungen die Schraube etwas anzieht», meinte der Berufsschullehrer.
Thomas Iten schliesslich plädierte dafür, dass sich die Politik verstärkt für gleich lange Spiesse der beruflichen und der akademischen Laufbahnen einsetzt – wie dies übrigens die Verfassung längst vorsieht. Aber auch für Iten ist klar: «Ob Teilzeit, Weiterbildung oder Papi-Tag: Flexibilisierung ist unverzichtbar, auch wenn sie für die Betriebe zu mehr organisatorischem Aufwand führt.»
Gerhard Enggist
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