Publiziert am: 02.02.2024

«Die Einbussen sind enorm»

THIERRY BURKART – «Wir müssen uns von den energiepolitischen Traum­tän­zer­eien verabschieden», sagt der FDP-Parteipräsident. Zudem sei die Eng­pass­be­seitigung auf den National­stras­sen wichtig: «Staus verursachen Kosten in der Höhe von schätzungsweise drei bis vier Milliarden Franken jährlich.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Das Referendum gegen den Energie-Mantelerlass ist zustande gekommen. In ein paar wenigen Sätzen: Worum geht es da?

Thierry Burkart: Dieses umfangreiche Gesetz ist ein wichtiger Teil für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz. Es legt Ausbauziele fest und bringt 16 Wasserkraftprojekte wie die Erhöhung der Grimselstaumauer voran, die seit Langem auf eine Baubewilligung warten und von Natur- und Umweltverbänden blockiert werden. Der Mantelerlass bringt zusätzlichen Winterstrom, den wir dringend benötigen.

Weshalb braucht es zum Mantelerlass ein Ja an der Urne?

Wir müssen uns im Klaren sein: Wer glaubt, mit dem Mantelerlass seien alle Probleme gelöst, welche die energiepolitischen Fehlplanungen der letzten Jahre verursacht haben, den muss ich enttäuschen. Aber das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um die Schweiz aus der energiepolitischen Sackgasse herauszuführen.

Neben diesem Mantelerlass gibt es noch den Windexpress, den Solarexpress und den Beschleunigungserlass – glauben Sie, dass die Stimmbürger hier überhaupt noch den Durchblick haben?

Nicht zu vergessen die Blackout-Initiative, das CO2-Gesetz und die Winterreserve. Die Flut der Vorlagen zeigt, wie falsch die Einschätzungen der Politik in den vergangenen Jahren waren, und dass die Versorgungssicherheit fälschlicherweise als gegeben hingenommen wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen uns von den energiepolitischen Traumtänzereien der letzten Jahre verabschieden. Andernfalls nehmen wir ein unverantwortbares Risiko für die Menschen, Gewerbebetriebe und Unternehmen in diesem Land in Kauf.

Grundlage für all diese Vorlagen bildet die Energiestrategie 2050, welche das Volk 2017 an der Urne angenommen hat. Sie haben unlängst gefordert, dass der Bundesrat diese Energiestrategie überarbeitet. Weshalb?

Die Energiestrategie basiert auf falschen Annahmen. Sie negiert den massiven zusätzlichen Strombedarf von heute 60 auf rund 90 Terawattstunden im 2050, überschätzt die Spareffekte deutlich und setzt auf schier unendliche Stromimportmöglichkeiten, die in der Realität in diesem Ausmass aber nicht vorhanden sind und die Schweiz in eine gefährliche Abhängigkeit bringen.

Zudem hat die Energiestrategie vorgesehen, dass trotz all dieser Fehlannahmen Gaskraftwerke gebaut werden müssten. Das kontrastiert mit dem Entscheid des Schweizer Volkes vom Juni 2023, das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Wenn wir diesem Volkswillen Rechnung tragen und trotzdem die für Wirtschaft und Gesellschaft unerlässliche Stromversorgungssicherheit zu moderaten Preisen garantieren wollen, müssen wir dringend unsere technologischen Scheuklappen ablegen.

Teil der Energiestrategie ist das Neubauverbot fĂĽr Kernkraftwerke (KKW). Die kritischen Stimmen zu diesem Verbot werden jedoch lauter, und sie werden mehr: Weshalb braucht die Schweiz neue KKW?

Wichtig ist zunächst, dass die bestehenden Kernkraftwerke länger weiterlaufen können. Das bedingt, dass die Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass sich Investitionen in die Kraftwerke lohnen und damit Sicherheit und Wirtschaftlichkeit – die beiden massgebenden Kriterien – länger aufrechterhalten werden können. Ohne den Bandstrom aus Kernkraftwerken wird es kaum möglich sein, die Stromversorgung verlässlich und zu akzeptablen Preisen zu sichern.

«Ohne den Bandstrom aus Kernkraftwerken wird es kaum möglich sein, die Stromversorgung verlässlich zu sichern.»

Klar ist aber auch: Wenn wir in Zukunft nicht auf neue Gaskraftwerke setzen und damit die CO2-Ziele kontrastieren wollen, dann kommen wir nicht um den Ersatzneubau von Kernkraftwerken vorbei.

Themenwechsel: In diesem Jahr stimmt das Volk ĂĽber den Ausbau der Nationalstrassen ab. Weshalb ist ein Ja zu diesen Engpassbeseitigungen wichtig?

Wirtschaft und Gesellschaft – wir alle – sind auf eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und damit auch funktionierende Strassen angewiesen. Die Erreichbarkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kundinnen und Kunden sowie für Güter ist einer der zentralen Standortfaktoren. Das Nationalstrassennetz wurde für sechs Millionen Menschen konzipiert, und die Schweiz zählt bald neun Millionen Einwohner. Jedes Jahr verursachen Staus auf den Nationalstrassen Kosten in der Höhe von schätzungsweise drei bis vier Milliarden Franken. Tatsächlich haben sich die Staus auf den Nationalstrassen seit etwa 20 Jahren vervierfacht. Dies zeigt deutlich, dass die Autobahnen ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben.

Sie sind Präsident des Nutz-fahrzeugverbands Astag, welcher sich für die Interessen und Anliegen des Strassentransports und des Transportgewerbes einsetzt. Wie schlimm ist die Stausituation auf der Autobahn? Was hören Sie von Ihren Mitgliedern?

Die Stauproblematik erreicht jedes Jahr neue Rekordwerte. Mittlerweile verzeichnen wir 40 000 Staustunden, das sind umgerechnet 4,5 Jahre Stau pro Jahr! Die Produktivitätseinbussen für Unternehmen sind enorm. Das Einhalten der Zeitvorgaben der Kundinnen und Kunden wird immer schwieriger und verursacht Stress für die Chauffeurinnen und Chauffeure. Damit verliert dieser schöne Beruf an Attraktivität. Dieser Fachkräftemangel kann, wenn er noch schlimmer wird, ernsthafte Versorgungsprobleme für unser Land zur Folge haben.

Kürzlich hat das Bundesamt für Strassen Astra über den Ausbau des Gubrist-Tunnels auf drei Spuren in Richtung Bern eine sehr positive Bilanz gezogen: Deutlich weniger Stau, massiv gesunkene Unfallzahlen und eine Abnahme des (Ausweich-)Verkehrs in den umliegenden Dörfern. Wie erleben Sie das, als Aargauer?

Die Analyse des Astra bestätigt unsere jahrelangen Prognosen. Wir müssen zudem wissen, dass die Nationalstrasse die effizienteste Strasse ist. Die Nationalstrassen nehmen nur rund 2,5 Prozent der gesamten Strassenfläche in Anspruch, ermöglichen aber derzeit, 41 Prozent der Autofahrten und 74 Prozent des Strassengüterverkehrs auf einer einzigen Achse ausserhalb von Städten und Ortschaften zu konzentrieren.

Stau auf der Nationalstrasse hat entsprechend erheblichen Ausweichverkehr auf das untergeordnete Strassennetz zur Folge. Die Verkehrsbelastung nimmt in den Städten und Dörfern zulasten der Siedlungsqualität und Sicherheit zu. Dadurch müssen die Kantone und Gemeinden umso mehr in ihren Strassenausbau investieren, ohne Nutzen für das Gesamtsystem.

Die Gegner würden das Geld für den Ausbau lieber dem öffentlichen Verkehr zukommen lassen. Wäre es überhaupt möglich, den Personen- und Güterverkehr viel stärker auf die Bahn zu verlagern?

Die Züge sind heute schon voll, auf dem Schienennetz gibt es kaum noch Kapazitäten. Die Bahn ist zwischen Städten und Agglomerationen eine gute Ergänzung – nicht aber für den Verkehr in der Fläche: Die Feinverteilung der Güter muss auf den letzten Metern immer auf der Strasse stattfinden. Zudem gilt es zu beachten, dass pro Quadratmeter Bodenfläche die Autobahnen 2,5-mal mehr Personen-Kilometer und 1,5-mal mehr Tonnen-Kilometer aufnehmen als die Eisenbahn.

Schliesslich wird der Strassenverkehr immer sauberer und sicherer. In den letzten 20 Jahren sind die Nettoemissionen pro Fahrzeugkilometer um rund 35 Prozent gesunken und die CO2-Emissionen von Neuwagen um 50 Prozent zurückgegangen. Die Realisierung der Ausbauprojekte gibt auch wichtige Möglichkeiten zur Verringerung der Verkehrsbelastungen, zum Beispiel durch einen verstärkten Lärmschutz oder die unterirdische Verlegung eines Teils von Autobahnabschnitten.

Werfen wir noch kurz einen Blick auf die Abstimmungen im kommenden März: Weshalb ist ein Ja zur 13. AHV-Rente der falsche Weg? Und warum braucht es hingegen ein Ja zur Renteninitiative Ihrer Jungpartei?

Die 13. AHV-Rente ist eine gefährliche Mogelpackung. Sie bietet eine grosszügige Leistung an, ohne zu sagen, wer sie bezahlen soll. Bezahlen müssen aber alle, vor allem diejenigen, die schon heute überproportional belastet sind. Bei Annahme der Vorlage benötigen wir eine Gegenfinanzierung. Die wird voraussichtlich über höhere Lohnabzüge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgenommen. Denn frei nach Margaret Thatcher: Das Problem des Sozialismus ist, dass am Ende das Geld der anderen ausgeht.

Nüchtern betrachtet hat die AHV aufgrund der Demografie bereits heute ein Finanzierungsproblem. Hier setzt unsere Renteninitiative an und sichert die Renten langfristig, indem sie das Rentenalter an die Lebenserwartung koppelt. Damit wirkt sie auch dem Fachkräftemangel entgegen und senkt die Zuwanderung nachweislich um über 20 Prozent.

Interview: Rolf Hug

www.fdp.ch

www.thierry-burkart.ch

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