Publiziert am: 03.05.2024

«Teuerste Irreführung, die es je gab»

THOMAS DE COURTEN – Die Kos­ten­bremse-Initiative der «Mitte» führe zur Rationierung von medizinischen Leis­tungen, warnt der Baselbieter SVP-Nationalrat, der sich für ein doppeltes NEIN am 9. Juni an der Urne einsetzt. Hart geht er auch mit der Prämien­ent­lastungs-Initiative der SP ins Gericht: «Reinste Symptom­be­kämpfung und Umverteilung zulasten der arbeitenden Bürger.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Die Kostenbremse-Initiative der «Mitte» will, wie ihr Name sagt, die Kosten im Gesundheitswesen bremsen. Das tönt aufs Erste vernünftig. Trotzdem warnen Sie vor deren Annahme am 9. Juni an der Urne. Weshalb?

Thomas de Courten: Die Kostenbremse-Initiative bremst leider gar nichts. Sie gaukelt nur einen Lösungsansatz vor, ohne die Handlungsoptionen zu benennen. Sie ist viel zu ungefähr, führt zur Rationierung von medizinischen Leistungen und gefährdet die Qualität im Gesundheitswesen.

Für einen Laien: Wie genau will die Initiative die Kosten bremsen?

Die Initiative koppelt das Kostenwachstum im Gesundheitswesen an die Lohnentwicklung im Land. Steigen die Kosten wesentlich stärker als die Löhne, soll der Bundesrat in Zusammenarbeit mit den Kantonen Kostenbegrenzungsmassnahmen ergreifen. Damit soll angeblich erreicht werden, dass sich die Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickeln und die Prämien bezahlbar bleiben. Doch die Koppelung an die Lohnentwicklung ist absurd: Je schlechter die Wirtschaft läuft, desto schlechter würde die Gesundheitsversorgung.

«die Koppelung ist absurd: Je schlechter die Wirtschaft läuft, desto schlechter würde die Gesundheits-versorgung.»

Sie sprechen von Zweiklassenmedizin und Rationierung bei einer Annahme. Ist das nicht zu schwarzgemalt?

Keineswegs. Wenn das Bremspedal wegen gestiegener Kosten gedrückt würde, müssten Leistungen der obligatorischen Krankenversicherungen begrenzt oder gekürzt werden. Nur wer extra draufzahlt, bekäme noch das volle Leistungspaket. Und umgekehrt bleibt bei schwacher Lohnentwicklung noch weniger im Haushaltbudget für die steigenden Gesundheitskosten. Es geht gar nicht um die Kosten, sondern um die Kostenübernahme. Die Initiative will begrenzen, was von der Grundversicherung übernommen werden soll. Damit wird auch nicht erreicht, dass Versicherte weniger bezahlen müssten. Sie bekommen aber weniger.

Sie präsidieren Intergenerika, den Verband der führenden Generika- und Biosimilarsfirmen in der Schweiz. Welche Auswirkungen hätte die Initiative auf die Versorgung der Schweiz mit Medikamenten?

Zusätzliche staatliche Regulierungen, noch mehr Etatismus im Gesundheitswesen verschlechtern die Marktbedingungen in der Schweiz zusätzlich. Es wird für Hersteller und Händler zunehmend unattraktiv, auf dem Schweizer Markt zu investieren. Das führt zwangsläufig zu noch mehr Versorgungsknappheit und Medikamentenengpässen.

Haben Sie in Ihrer Verbands-funktion überhaupt ein Interesse an einer Kostenbremse?

Selbstverständlich. Generika sind, gesetzlich vorgeschrieben und je nach Umsatz, schon ab Markteintritt 20 bis 70 Prozent günstiger als Originalpräparate. Jedes Generikum, das anstelle eines Originals eingesetzt wird, leistet so einen relevanten Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten. Mit Intergenerika arbeiten wir darauf hin, dieses Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist, besser zu nutzen.

Die Kosten im Gesundheitswesen steigen seit Jahren. Was sind die Hauptgründe?

Die Demografie, die Zuwanderung und der medizinische Fortschritt sind die klassischen Kostentreiber. Dazu kommt eine massive Mengenausweitung auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite. Die Kantone, die für die Versorgungssicherheit verantwortlich sind, sind zudem in ihren Rollen als Planer der Versorgung, Zulassungsinstanz des Angebots, Eigentümer und Betreiber von Leistungserbringern, Kontrollinstanz und Schiedsrichter bei Streitigkeiten hoffnungslos in Interessenkonflikten verstrickt und damit handlungsunfähig.

«Die Prämien-Initiative der SP ist mindestens doppelt so teuer wie die 13. AHV-Rente.»

Welche Alternativen schlagen Sie vor, um beim Kostenwachstum Gegensteuer zu geben?

Mehr Markt, weniger Regulierung, mehr Qualitätswettbewerb und Transparenz. Konkret bedeutet das, die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit im System besser durchzusetzen. Das Angebot muss gestrafft, der Vertragszwang mit den Leistungserbringern angepasst und die Rollenkonflikte der Kantone aufgelöst werden.

Am 9. Juni kommt ebenso die Prämienentlastungs-Initiative der SP an die Urne. Warum ist auch dieses Anliegen in Ihren Augen die falsche Medizin?

Diese linke Initiative ist wohl die teuerste Irreführung der Bevölkerung, die es in der Schweiz je gegeben hat. Das Kostenwachstum im Gesundheitswesen wird einfach ignoriert und mit Steuergeldern zugeschüttet. Reinste Symptombekämpfung und Umverteilung zulasten der arbeitenden und steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.

«Die Kosten explodieren weiter, und die Löcher im Staatshaushalt müssen andere stopfen.»

Bei einem Ja gäbe es für den Einzelnen weniger Anreize, sich kostenbewusst zu verhalten. Zudem würden die Gesundheitskosten verdeckt steigen, weil die Menschen dies aufgrund der Prämienverbilligung nicht oder weniger merkten. Mit welchen Folgen?

Die Kosten explodieren weiter, die Profiteure garnieren ungeniert ab, und die Löcher im Staatshaushalt müssen andere stopfen. Andere müssten leiden, weil man sich der Problemlösung im Gesundheitswesen verweigert.

Die Initiative will, dass niemand mehr als zehn Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämie aufwenden muss. Was kostet das, und wer muss das bezahlen?

Die Kosten sind horrend: Die Prämieninitiative ist mindestens doppelt so teuer wie die 13. AHV-Rente. Der Bundesrat schätzt die zusätzlichen Kosten im Jahr 2030 auf bis zu 11,7 Milliarden Franken. Davon muss der Bund zwei Drittel, die Kantone einen Drittel übernehmen.

Von den linken Initianten hört man – einmal mehr – sehr wenig über die konkrete Umsetzung ihres Anliegens. Wer alles wird von verbilligten Prämien profitieren: Auch Personen mit tiefem Einkommen, aber grossem Vermögen; oder Leute, die freiwillig nur Teilzeit arbeiten?

Gemäss Initiativtext soll das «verfügbare Einkommen» relevant sein. Das lässt Gestaltungsraum offen. In der konkreten Umsetzung wären die Kantone verantwortlich, dass auch Vermögensverhältnisse und Beschäftigungsgrad berücksichtigt werden. Ob die Initianten für eine pragmatische Umsetzung Hand bieten, lassen sie bis heute offen. Der Ansatz der Initiative spricht eher für das Gegenteil: Dogmatische Umverteilung steht vor sozialer Gerechtigkeit.

Million-Franken-Frage: Wie könnten die Prämien nachhaltig gesenkt werden?

Indem die obligatorische Krankenversicherung auf ihren ursprünglichen Kern einer für jedermann zugänglichen, medizinischen und qualitativ hochstehenden Grundversorgung zurückgeführt wird. Anstelle der heutigen eierlegenden Wollmilchsau mit unbeschränkten Wahlmöglichkeiten für alle. Es braucht eine konsequente Prüfung des Leistungskatalogs, eine an Transparenz und Qualität gebundene Neuregelung des Vertragszwangs der Versicherungen mit den Leistungserbringern, und weniger Staat – inklusive weniger Rollenkonflikte der Kantone und ebenso weniger staatliche Administration und Bürokratie.

Für beide Initiativen gibt es einen Gegenvorschlag. Was ist deren Inhalt, und treten diese bei einer Ablehnung der Initiativen automatisch in Kraft?

Beim Gegenvorschlag zur Prämien-Initiative werden die Kantone stärker in die Pflicht genommen. Sie müssen einen fixen Anteil der Brutto-Gesundheitskosten als Prämienverbilligung übernehmen. Die Mehrkosten betragen aber statt Milliarden «nur» rund 360 Millionen Franken.

Auch beim Gegenvorschlag zur Kostenbremse werden die Kantone besser eingebunden. Sie reden – ebenso wie Leistungserbringer, Versicherer und Versicherte – bei der Festlegung von vierjährigen Kosten- und Qualitätszielen mit. Die Kostenentwicklung wird begrenzt, ohne eine Zweiklassen-Medizin einzuläuten. Beide Gegenvorschläge treten bei einer Ablehnung der Initiativen in Kraft.

«Es braucht eine konsequente Prüfung des Leistungskatalogs.»

Die Bundesfinanzen laufen völlig aus dem Ruder. Welche finanziellen Auswirkungen hätte eine Annahme des SP-Begehrens auf die Bundeskasse?

Sie wären verheerend. Schon jetzt ist die Politik völlig zerstritten, wie die fünf Milliarden Franken für die 13. AHV-Rente finanziert werden sollen. Der Bundesrat hat massiv höhere Lohnabzüge vorgeschlagen. Damit würden einseitig die arbeitende Bevölkerung und die jüngeren Generationen bestraft.

Es wäre deshalb völlig fahrlässig, jetzt noch einer Krankenkassen-Initiative zuzustimmen, die nochmals Milliarden Franken Mehrkosten pro Jahr auslöst. Wie genau der Bund und die Kantone dieses Geld aufbringen würden, ist völlig offen. Die Erfahrung zeigt, dass Einsparungen bei anderen Staatsaufgaben kaum mehrheitsfähig sind. Damit bleiben nur zusätzliche Schulden und/oder höhere Steuern.

Wie kann der Haushalt wieder ins Lot gebracht werden – Armee ausgenommen?

Mit einer konsequenten und mutigen Prüfung sämtlicher staatlichen Aufgaben und Ausgaben. Was ist wirklich Bundes-, Kantons- oder Gemeindesache? Was können Private und Unternehmen besser und effizienter erledigen? Und es braucht wieder mehr Bescheidenheit und Eigenverantwortung, statt der sich immer mehr ausbreitenden Anspruchshaltung und Versicherungsmentalität gegenüber dem Staat.

Interview: Rolf Hug

www.nein-zur-kostenbremse.ch

www.gesundheitsinitiativen-nein.ch

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