Im Sommer beginnen in der Schweiz jeweils Zehntausende Jugendliche ihre Lehre. Die Schweizer Berufsbildung gilt dabei weltweit als Erfolgsmodell und ist ein zentraler Bestandteil des Schweizer Bildungssystems. Kleine und mittlere Unternehmen übernehmen dabei als Ausbildungsstätten für die Fachkräfte von morgen eine Schlüsselrolle.
Eine Win-win-Situation, können KMU doch auf diesem Weg gut vorbereitete Arbeitskräfte ausbilden und junge Menschen ans Unternehmen binden. Doch Ende Juli waren auf Yousty – dem grössten Lehrstellenportal der Schweiz – immer noch rund 10 000 Lehrstellen für 2024 ausgeschrieben.
Fachkräfte binden
Diese Zahl passt zu den Ergebnissen der jüngsten KMU-Arbeitsmarktstudie der AXA, die Ende Juli präsentiert wurde, und welche 300 Schweizer KMU mit fünf und mehr Beschäftigten aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz befragt hat. Gemäss dieser Studie begründen zwei Drittel (67 %) derjenigen Unternehmen mit einem Lehrstellenangebot den Schritt damit, besser vorbereitete Fachkräfte direkt im eigenen Unternehmen auszubilden und diese ans Unternehmen binden zu können (51 %). Immerhin 37 Prozent der befragten Unternehmen wollen damit einen Dienst an der Gesellschaft tun, rund ein Fünftel (22 %) erhofft sich dadurch einen Image-Vorteil.
Deutlich mehr Lehrstellen im produzierenden Gewerbe
Doch trotz dieser Vorteile geben 60 Prozent der befragten KMU an, keine Lehrstellen anzubieten. Als Gründe dagegen nennen zwei Drittel davon fehlende Voraussetzungen, weil es beispielsweise innerhalb des Unternehmens nicht genügend Tätigkeitsfelder gibt, in denen die Lernenden eingesetzt werden können. Auf dem zweiten Platz rangieren die fehlenden Ressourcen innerhalb des Betriebs; rund einem Drittel der Befragten fehlt die Zeit oder Qualifikation, um Lernende auszubilden. Knapp jedes siebte Unternehmen erklärt, zwar schon einmal Lehrstellen angeboten, aber keine Interessenten gefunden zu haben.
Auffällig ist, dass KMU aus dem produzierenden Gewerbe deutlich häufiger Lernende ausbilden als Firmen aus dem Dienstleistungssektor. Der Grund: Das produzierende Gewerbe sei historisch stärker mit der Lehre verbunden und die dortigen Berufe beruhten häufiger auf einer Berufsbildung als im Dienstleistungssektor, kommen die Autoren der Studie zum Schluss.
Als weniger attraktiv wahrgenommen
Rund die Hälfte aller KMU, die gemäss der Studie Lehrstellen anbietet, hat Schwierigkeiten damit, diese zu besetzen. Das Paradoxe: Vor allem Firmen im produzierenden Gewerbe bekunden deutlich mehr Mühe, Lernende zu finden als KMU im Dienstleistungssektor, obwohl sie in der Grundgesamtheit deutlich mehr Lehrstellen anbieten. Die Lehrstellen im produzierenden Sektor würden von Berufseinsteigern wohl als weniger attraktiv wahrgenommen, da sie oft körperliche Arbeit voraussetzten, Schichtbetrieb beinhalteten und niedriger bezahlt seien als im Dienstleistungssektor, so das Fazit.
Grössere Flexibilität wichtig
Um im Arbeitskräftewettbewerb zu bestehen, setzten Unternehmen vermehrt auf Lösungen wie grössere Flexibilität beim Arbeitspensum und der Arbeitszeit. Rund die Hälfte aller befragten Unternehmen (48 %) gab an, 2024 mehr Teilzeitstellen anzubieten, um genügend Mitarbeiter rekrutieren zu können. 47 Prozent bieten mehr Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung wie Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit. Rund ein Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen setzt darüber hinaus auf zusätzliche Benefits wie Ferien oder Weiterbildung und ein Fünftel (21 %) aller Befragten erklärte, neuen Mitarbeitern deutlich höhere Löhne anzubieten.
32 Prozent der Unternehmen gaben zudem an, auch bestehenden Mitarbeitern substanzielle Lohnerhöhungen zu gewähren, um diese an das Unternehmen zu binden.
Grundsätzlich kommt die Studie zum Schluss, dass für KMU der Arbeitskräftemangel mit Abstand die grösste Herausforderung bleibt – trotz des Abwärtstrends im Schweizer Stellenmarkt. Über die Hälfte der Schweizer KMU (51 %) – insbesondere Firmen aus dem Baugewerbe und im Gesundheits- und Sozialwesen – sieht sich bei der Besetzung offener Stellen mit systematischen Problemen konfrontiert. Und zwei von fünf Unternehmen haben mit hoher Fluktuation bei den Mitarbeitern zu kämpfen.
pd/sgz