Publiziert am: 04.10.2024

Im Prinzip Ja – aber mit Vorbehalten

Individualbesteuerung – Die zivilstandsunabhängige Besteuerung hat Vor- und Nachteile. Der sgv unterstützt das Prinzip der Individualbesteuerung. In der Wirtschaft gibt es allerdings grosse Vorbehalte, was die Umsetzung und die Auswirkungen auf die Steuerbelastung der KMU anbelangt.

Die Individualbesteuerung ähnelt einem Paar, das beschliesst, in getrennten Zimmern zu schlafen. Jeder hat dann zwar seinen eigenen Raum und mehr Platz. Doch umgekehrt hat jeder auch mehr Verpflichtungen, und am Ende leiden wahrscheinlich die Finanzen darunter.

Die Diskussionen über die Individualbesteuerung dauern im Parlament auch deshalb so lange an, weil die Kräfteverhältnisse derart knapp sind. Auf der einen Seite unterstützen die FDP, die SP, die Grünen und die Grünliberalen eine Reform, während die Mitte und die SVP dagegen sind. Aufseiten der Wirtschaft haben praktische Aspekte häufig Vorrang vor ideologischen Erwägungen. Deshalb hält sich die Begeisterung für die Individualbesteuerung aufgrund der vielen Unsicherheiten bei den Details in Grenzen.

Die potenziellen Verlierer dieser Reform wären vor allem traditionelle Familien, deren Steuern steigen würden, da die Abzüge nur zur Hälfte für das Haupteinkommen möglich wären. Die Vorteile beschränken sich auf einige zehntausend Personen, vor allem Frauen, die aufgrund der neuen Steueranreize wahrscheinlich mehr arbeiten würden. Laut dem Bundesamt für Statistik gab es im zweiten Quartal 2024 in der Schweiz 5,327 Millionen Erwerbstätige.

Pros und Kontras

Die Initiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)» und der indirekte Gegenvorschlag zielen darauf ab, eine Besteuerung natürlicher Personen unabhängig von ihrem Zivilstand einzuführen. Damit sollen die sogenannte Heiratsstrafe abgeschafft und die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt gefördert werden. Die Initiative schlägt eine grundlegende Reform des Steuersystems vor, die zu etwa 1,7 Millionen zusätzlichen Steuererklärungen pro Jahr führt. Das würde den Verwaltungsaufwand der Kantone erhöhen.

«Frauen würden aufgrund der neuen Steueranreize wahrscheinlich mehr arbeiten.»

Die Initiative zielt auf die Abschaffung der Strafsteuer für verheiratete Paare ab. Doch könnte sie Paare mit nur einem hohen Einkommen oder mit zwei ungleichen Einkommen benachteiligen. Das gilt insbesondere für Paare, die über 100 000 Franken pro Jahr verdienen. Umgekehrt könnte die Reform bis zu 50 000 Personen dazu ermutigen, in den Arbeitsmarkt einzutreten oder ihre Erwerbsquote zu erhöhen, was den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften verringern würde.

Anpassung der Steuertarife

Mit dem indirekten Gegenvorschlag, der eine Umsetzung auf dem Gesetzesweg ohne Verfassungsänderung vorsieht, könnten die gleichen Ziele schneller erreicht werden. Er würde zu Mindereinnahmen bei den Steuern von rund einer Milliarde Franken pro Jahr führen – 800 Millionen beim Bund, 200 Millionen bei den Kantonen. Um die Auswirkungen dieser Reform abzumildern, sieht der Gegenentwurf eine Erhöhung des Kinderabzugs auf 12 000 Franken und eine Anpassung der Steuertarife vor. Das käme insbesondere Familien mit zwei ähnlichen Einkommen zugute, und die Auswirkungen auf niedrige und mittlere Einkommen würden verringert.

Für Familien mit nur einem hohen Einkommen könnte sich die Steuerlast jedoch erhöhen. Durch die Stimulierung von Arbeitsanreizen für Zweitverdiener, hauptsächlich Frauen, fördert der Gegenentwurf eine höhere Beteiligung am Arbeitsmarkt und trägt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Gleichstellung von Männern und Frauen bei. Beide Vorschläge versuchen – was in Wirtschaftskreisen nicht wirklich überzeugt – die zivilstandsbedingten, steuerlichen Ungleichheiten zu korrigieren und dabei die finanziellen und administrativen Auswirkungen für die Behörden und Steuerzahler zu berücksichtigen.

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv wie auch die kleinen und mittleren Unternehmen stehen dieser Reform sehr skeptisch gegenüber. Das Prinzip der Individualbesteuerung wird dabei nicht unbedingt bestritten, auch der sgv unterstützt dieses Prinzip. Vielmehr sind es die praktischen steuerlichen Implikationen und die Bedingungen der Umsetzung, die bei den Unternehmen grosse Vorbehalte hervorrufen – insbesondere die Auswirkungen auf die Steuerbelastung der KMU und auf den Arbeitsmarkt.

Mikael Huber, Ressortleiter sgv

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