Der sgv freut sich über das wuchtige Nein zur Verarmungsinitiative
Neue Fehlprognosen?
sozialpolitik – In der Altersvorsorge fährt man besser, wenn man anstatt auf die Zahlen in Milliardenhöhe zu schauen, zunächst den gesunden Menschenverstand walten lässt. Ist es realistisch, wenn bei längerer Lebenserwartung Leistungen ausgebaut werden?
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat sich verrechnet: Der AHV geht es besser als prognostiziert. Die 13. AHV-Rente ist finanziert, und eine Erhöhung des Rentenalters erübrigt sich. Die Linke jubelt und mokiert sich über die zweckpessimistische Rechte. Nach diesen vertrauensschädigenden Berechnungen des BSV im August, die AHV weise ein um vier Milliarden Franken tieferes Defizit aus, hat das Amt inzwischen seine neu berechneten Finanzperspektiven zur AHV mitgeteilt. Darin hat sich die angekündigte Differenz zur ursprünglichen Prognose halbiert. Der Jubel bleibt im Halse stecken, die Pessimisten atmen auf. Wie kommen solche Fehlprognosen zustande?
Es kommt auf die Annahmen an
Zu jeder AHV-Revision wurden und werden jeweilen Parlament und Ă–ffentlichkeit mit Tabellen zu Einnahmen und Ausgaben der AHV gefĂĽttert. Je nach politischer Sicht werden die Zahlen im Detail kommentiert. Richtig, denn man muss doch annehmen, dass die Ausgaben der AHV genau bekannt sind, leben die momentan und in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren zu pensionierenden Personen doch schon heute. Das stimmt, allerdings nur fĂĽr die bekannten, gestern ausgegebenen Rentenzahlungen.
Auch die Berechnungen der Renten in den kommenden Jahren hängen – wie jede Prognose – von den Annahmen ab, die hinter diesen Zahlen stecken. Allein schon diese Schätzungen sind nicht einfach, wie das BSV in seiner revidierten Darstellung der Finanzperspektiven festhält. Und in der Tat weichen die von der beigezogenen externen KOF-ETH gerechneten Kosten der laufenden und künftigen AHV-Renten von jenen des BSV um bis zu zwei Milliarden Franken ab. Zum Beispiel, weil die Annahmen, wie viele Ausländer, die einmal in der Schweiz gearbeitet haben, vor der Pensionierung sterben oder eine Abfindung erhalten oder ihre AHV-Rente nicht in Anspruch nehmen, unterschiedlich ausfallen.
Die alten Berechnungen des BSV zu den vergangenen AHV-Revisionen belegen die Problematik, die hinter den Annahmen liegen. Deshalb hat sich das BSV stets dagegen gewehrt, Prognosen über 15 Jahre hinaus zu berechnen. So hat der Bundesrat zur Vorlage AHV21 die Ausgaben per 2030 auf 58,6 Milliarden Franken geschätzt, die danach mit den Beschlüssen des Parlamentes laufend angepasst wurden. Gemäss definitiven Abrechnungen per Ende 2022 liegen die Ausgaben nun eine Milliarde höher.
Vor der Abstimmung zur 13. AHV-Rente rechnete das BSV mit geschätzten Ausgaben inklusive dieser zusätzlichen Rente – immer per 2030 – von etwas über 64 Milliarden. Nach den neuesten Berechnungen sind es noch rund 63 Milliarden.
Bestehen alleine zur Schätzung der Ausgaben je nach Ausgangsjahr grosse Differenzen, nehmen diese mit den Annahmen zu den Einnahmen noch deutlicher zu. Denn dahinter stecken Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinlandproduktes (BIP), zur Inflation, zum Lohnwachstum, zur Beschäftigung und damit zur Einwanderung. Hinzu kommen Annahmen zur Längerlebigkeit.
Treffen die Annahmen auch zu?
Gemäss den revidierten Finanzperspektiven rechnet das BSV nun mit einem BIP-Wachstum bis 2030 von 2,5 Prozent, bei einer Inflation von einem Prozent. Die Löhne sollen bis 2030 real von heute 0,6 auf 0,9 Prozent anwachsen. Und das bei einem Rückgang der Beschäftigung von 1,2 auf 0,4 Prozent. Wegen der Einführung der 13. AHV-Rente und mit diesen Annahmen wächst nun das Defizit in der AHV mit der Erhöhung des Frauenrentenalters im Jahre 2030 von Null auf 2,8 Milliarden Franken. Wachsen allerdings die Einnahmen nicht um über 60 Milliarden, wird das Umlageergebnis – Einnahmen minus Ausgaben – noch grösser. Werden die Prognosen bis 2040 gerechnet, wächst nach den neuen Berechnungen das Defizit auf sechs Milliarden.
Das hängt allerdings davon ab, ob die dahinter steckenden Annahmen zutreffen. Wie gross ist angesichts der Erfahrungen seit dem Jahr 2000 die Wahrscheinlichkeit, dass allein schon bis 2030 die Inflation höher und das BIP schwächer ausfallen? Die AHV-Renten werden gemäss Mischindex – Anpassung an den Lohn- und Konsumentenpreisindex – alle zwei Jahre erhöht. Steigt die Teuerung, wachsen die Ausgaben. Die Einnahmen nehmen in diesem Szenario dann wohl eher schwächer zu, ebenso die Einwanderung und die Beschäftigung von Grenzgängern. Gleichzeitig kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter, und parallel dazu werden die bereits Pensionierten immer älter. Somit dürfte unter diesen Annahmen das Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben eher zunehmen. Wer Recht hat, wird erst die Zukunft zeigen.
Bandbreiten statt Excel-Tabellen
Es ist daher wohl weise, wenn in Zukunft Parlament und Öffentlichkeit nicht mehr mit Excel-Tabellen und genauen Zahlen zum Defizit der AHV im Jahre 2040 operieren, sondern mit Bandbreiten der Entwicklung bis in maximal 15 Jahren. Konjunkturprognosen über ein Jahr sind bereits schwierig. Wie können dann Voraussagen von Ausgaben und Einnahmen der AHV bis ins Jahr 2040 glaubwürdiger sein?
«Für den Mathematiker Ergibt eins plus eins zwei. Der Aktuar aber fragt: wie viel soll es geben?»
Die Grafiken des BSV und der beigezogenen Institute KOF-ETH und Demografik sprechen bereits jetzt Klartext: Bis 2030 variieren die Zahlen zu den prognostizierten Ausgaben noch zwischen 60 und 64 Milliarden. Danach wachsen sie stetig an. Die Prognosen zu den Umlageergebnissen bis 2040 fallen noch prägnanter aus. Die drei Schätzungen der AHV-Defizite schwanken zwischen drei und sieben Milliarden, sind allerdings immer noch weniger negativ als die ursprüngliche Prognose des BSV von elf Milliarden.
KOF-ETH rechnet allerdings mit einem Wachstum der Ausgaben, das von heute 50 auf über 90 Milliarden im Jahre 2040 anwachsen kann. Denn je nach Annahmen allein zur Einwanderung – hohe oder tiefe Quoten – variieren die Ausgaben zwischen plus/minus 2,5 Milliarden per Ende 2040. Die ETH-Studie weist denn auch zu Recht darauf hin, dass mit Aussagen bis 2040 die Streuung überproportional verstärkt wird.
Je nach dem Ziel
Gibt eins plus eins für den Mathematiker klar zwei, fragt der Aktuar: Wie viel soll es geben? Je nach den Werturteilen des Betrachters ergeben dieselben Ausgangszahlen für Prognosen jeweilen das, was man erzielen will. So fährt der pessimistische Finanzminister gut, erlebt er doch nur positive Überraschungen. Auch der Anlageberater sorgt für hohe Umsätze, wenn er seinem Klienten das Blaue vom Börsenhimmel verspricht.
Wenn Politiker wie die sparsame Hausfrau dafür sorgen, dass die Zukunft der Familie, des Staates zu ihrem Wohle gesichert ist, dann fahren alle gut. Zu einem guten Kompromiss – er entsteht jeweilen dann, wenn jeder meint, der andere habe nachgegeben – kommt es, wenn Optimisten und Pessimisten sich aneinander reiben und danach zusammen eine Lösung finden.
Gesunder Menschenverstand
Gerade in der Altersvorsorge fährt man besser, wenn man anstatt auf die Zahlen in Milliardenhöhe zu schauen, zunächst den gesunden Menschenverstand walten lässt. Ist es realistisch, wenn bei längerer Lebenserwartung Leistungen ausgebaut werden, ohne dass gleichzeitig für Mehreinnahmen gesorgt wird? Soll der Staat bei zunehmendem Wohlstand noch für zusätzliche Leistungen sorgen? Oder gilt insbesondere in der Altersvorsorge nicht auch die Aussage von Kennedy: «Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frage, was du für den Staat tun kannst.»
Werner C. Hug
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