Publiziert am: 08.11.2024

Orientierungslose Strompolitik

Am 9. Juni hat das Volk das neue Stromgesetz mit 69 Prozent Zustimmung klar angenommen. Damit wurden ambitionierte Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien beschlossen, zusätzliche 45 Terawattstunden (TWh) bis 2050. Die Solarenergie mit einem Produktionspotenzial von 100 TWh soll am meisten beitragen. Auch bei der Effizienz wurden mit dem Gesetz ambitionierte Ziele beschlossen.

Weniger als drei Monate nach der Annahme des Gesetzes will der Bundesrat den beschlossenen Pfad wieder verlassen. Bundesrat Albert Rösti kündigt an, das vom Volk angenommene Neubauverbot für Kernkraftwerke aufheben zu wollen. Diesen orientierungslosen Pfad sollten wir nicht einschlagen, sondern unsere politische Energie auf das Machbare konzentrieren.

Allen Unkenrufen und sämtlichem Kleinreden der Energiewende zum Trotz zeigen die Fakten folgendes Bild:

Die Schweiz produziert 2024 so viel Strom wie noch nie.

Die Schweiz exportierte selbst im Winter 2023/2024 viel Strom (eine Stromlücke ist in weiter Ferne)

Solarstrom liefert 2024 bereits 10 % des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz. Sein Anteil ist stark wachsend.

Allein die in den Jahren 2023 und 2024 erstellten Solaranlagen produzieren jährlich mehr Strom, als das AKW Mühleberg lieferte.

Solaranlagen produzieren einen Drittel der Jahresproduktion im Winterhalbjahr, davon wesentliche Anteile in den versorgungskritischen Monaten Februar und März.

Der gesamte Energieverbrauch der Schweiz sinkt seit 2010 kontinuierlich. Dies, obwohl die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Mobilität stark gewachsen sind.

Der Stromverbrauch ist trotz diesem Wachstum und einer halben Million Wärmepumpen und 200 000 Elektroautos stabil und sinkt pro Kopf stark. Dies dank immer effizienteren Geräten und Systemen.

Die Energie- und die Stromeffizienz haben noch immer ein grosses zusätzliches Potenzial und übertreffen die gesteckten Zwischenziele.

Wenn die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin zügig vorwärtsmachen mit den Erneuerbaren und der Steigerung der Effizienz, erreichen wir die vom Volk beschlossenen Ziele bis 2050.

Es liegt auf der Hand: Nur wer neue AKWs bauen will, versucht das Neubauverbot aufzuheben. Was aber würden neue Atomkraftwerke bringen? Will man neue Kraftwerke bauen, sollte deren Stromproduktion zum beschlossenen Strommix 2050 aus Wasser, Solar, Wind und Biomasse passen. Das tut Atomstrom nicht. Ist ein AKW in Betrieb, liefert es ständig Strom, egal, ob es ihn braucht oder nicht. Da diese starre Bandenergie unser System überlasten würde, müssten die AKWs mindestens acht Monate im Jahr abgestellt werden. Dies, weil der produzierte Strom nicht gebraucht wird. Damit ist die Rentabilität nicht gegeben. Schon reden AKW-Befürworter davon, dass die Atomkraftwerke subventioniert werden sollen. Am Schluss sollen also die Unternehmen und die Gesellschaft, ob als Strombezüger oder Steuerzahler, für die AKWs zur Kasse gebeten werden.

Bundesrat Albert Rösti plant mit der Atomkraft am Kundenbedürfnis vorbei. Gemäss Bericht der Elektrizitätskommission Elcom kaufen die Wirtschaft und die privaten Strombezüger heute zu 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen. In den vergangenen Jahren haben AKWs gut 30 Prozent zur Schweizer Stromproduktion beigetragen. Da es schon in der Vergangenheit zu wenig Abnehmer für Atomstrom gab, musste mindestens ein Drittel des Schweizer AKW-Stroms exportiert werden. Inzwischen wollen immer mehr Unternehmen zu 100 Prozent auf erneuerbaren Strom setzen.

Auch politisch sind neue AKWs eine Risikostrategie. Mindestens drei Volksabstimmungen und ein jahrelanges Hin und Her wären zu überstehen. Dazu kommen die hohen finanziellen und bautechnischen Risiken. Vom Risiko eines nuklearen Unfalls – irgendwo auf der Welt – im Verlaufe der Entscheidungs-, Planungs- und Bauzeit mit einer erneuten politischen Kehrtwende ist noch überhaupt nicht die Rede.

Orientieren wir uns deshalb am Machbaren und realisieren wir die Energiewende mit Schweizer Verlässlichkeit erneuerbar. Dies zum Wohle unserer KMU, der gesamten Wirtschaft und unserer Gesellschaft.

*Nationalrat Jürg Grossen ist Parteipräsident der GLP Schweiz und Präsident Swissolar und Swiss eMobility

www.grunliberale.ch

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