Publiziert am: 28.02.2025

Kein Grund zur Zurückhaltung

E-Occasionen – Noch gibt es eine grosse Zurückhaltung gegenüber gebrauchten Elektroautos. Doch diese können bedenkenlos gekauft werden, wenn ein paar Punkte beachtet werden. Wichtig ist vor allem ein Batterie-Check.

Nur wenige Jahre nach dem Boom gerät die elektrische Revolution langsam ins Stocken. Nach Jahren des Wachstums gehen die Verkaufszahlen für neue E‑Autos in Europa vielerorts zurück: In Deutschland, dem grössten Automarkt Europas, sackten die Stromer-Verkaufszahlen 2024 dramatisch um 27 Prozent nach unten. Auch die Schweiz verzeichnete ein deutliches Minus von 12,5 Prozent. In der EU sanken die Neuzulassungen im vergangenen Jahr um 6 Prozent auf 1,45 Millionen Einheiten.

Ein ähnliches Phänomen zeigt sich im Gebrauchtwagenmarkt. Occasionen mit E‑Antrieb bleiben bei den Händlern lange auf dem Hof stehen – offensichtlich ist die Skepsis gegenüber Stromern mit einigen Kilometern auf dem Tacho noch gross. Aus der Schweiz gibt es dazu keine verlässlichen Zahlen, doch der Blick nach Deutschland zeigt eine klares Bild: Gemäss dem neuesten DAT-Report gaben nur 12 Prozent der Occasion-Käufer an, dass für sie ein gebrauchtes E‑Auto infrage käme. Die Umfrage eines deutschen Fachmagazins ergab, dass 68,7 Prozent der befragten Autohändler gar keine gebrauchten Stromer mehr in Zahlung nehmen. Für mehr als die Hälfte der Befragten seien E‑Occasionen «so gut wie unverkäuflich». Über 80 Prozent der Händler gaben ausserdem an, beim Verkauf von gebrauchten E‑Autos Verluste hinnehmen zu müssen.

Zwölf Prozent günstiger

Die Preise für gebrauchte E‑Autos sind also derzeit attraktiv – und sie dürften noch weiter fallen, wie der Onlinemarktplatz Autoscout24 analysiert. Während auf der Plattform die Preise für hierzulande inserierte Occasionen im vergangenen Jahr im Schnitt um rund 1 Prozent gestiegen sind, waren sie für Fahrzeuge mit batterieelektrischem Antrieb 12 Prozent günstiger. Das ist spannend für Occasionen-Käufer – bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Käufer eines neuen Elektroautos mit einem entsprechend tiefen Wiederverkaufswert rechnen müssen.

Noch ist die Skepsis gegenüber gebrauchten E‑Autos also gross. Joachim Bühler, Geschäftsführer des deutschen TÜV-Verbands, gibt aber Entwarnung: «Die Hauptuntersuchung zeigt: Elektrofahrzeuge sind technisch weder sicherer noch unsicherer als Fahrzeuge mit Verbrenner.» Im jährlich veröffentlichten TÜV-Report hält die technische Prüforganisation allerdings spezifische Mängel von Elektroautos fest: «Die Achsaufhängungen kommen bei vielen Elektroautos nicht mit dem hohen Gewicht der Antriebsbatterie zurecht und verschleissen vorzeitig.» Ausserdem würden die Bremsen von E‑Autos aufgrund der Rekuperation seltener genutzt. «Die Folge: Die Bremsscheiben weisen Mängel auf und die Bremsfunktion lässt nach.»

Zustand des Akkus ist entscheidend

Der Hauptgrund für die Zurückhaltung gegenüber gebrauchten Elektroautos ist bei vielen aber der Zustand der Traktionsbatterie. Dieser ist ausschlaggebend für die Reichweite und das Ladetempo eines E‑Autos und somit ein entscheidender Faktor beim Kauf eines Gebrauchtwagens. Tatsächlich altern Akkus und weisen mit der Zeit eine geringere nutzbare Kapazität auf – doch das hängt nicht nur von Alter und Laufleistung ab, sondern auch davon, wie die Batterie über die Jahre genutzt wurde.

Wird ein Auto oft an Schnellladesäulen mit hoher Gleichstrom-Leistung geladen, setzt das dem Akku zu, genauso wie starke Temperaturschwankungen. Lädt man das Auto oft komplett auf und lässt es dann ungenutzt in der Garage stehen, hat dies ebenfalls eine schlechte Auswirkung auf den Zustand der Batterie. Der TÜV schätzt, dass die Batterien in gebrauchten E‑Autos im Schnitt nach acht bis zehn Jahren nur noch 70 Prozent der ursprünglichen Kapazität aufweisen – in diesem Rahmen geben auch die meisten Hersteller beim Neuwagenkauf eine Garantie auf die Traktionsbatterie.

«Es lassen sich zahlreiche Leasing-Rückläufer mit wenig Laufleistung zu guten Preisen finden.»

Was viele aber noch nicht wissen: Inzwischen lässt sich der Gesundheitszustand einer Batterie, der sogenannte State of Health (SoH), ganz einfach überprüfen. Denn: Das Auto selber weiss genau Bescheid, wie es der Traktionsbatterie geht – man muss dieses Wissen also nur entsprechend auslesen. Inzwischen bieten TCS und ACS solche Batteriechecks an, auch bei vielen Garagisten lässt sich dieser Gesundheitscheck durchführen. Das geht sogar bequem per Onlinedienst: Der österreichische Anbieter Aviloo schickt einem dazu ein Gerät nach Hause, das man an den Diagnose-Stecker des Autos anschliesst und nach dem Batterietest wieder an Aviloo retourniert. Der Kunde erhält im Anschluss ein entsprechendes Zertifikat über den Zustand der Batterie.

Nach acht Jahren geht es bergab

Autozulieferer wie Mahle haben hierzu einfache Diagnosegeräte entwickelt, die bereits wenige Minuten nach Einstecken einen genauen Gesundheitsrapport der Batterie ausspucken. Gemäss Mahle-Geschäftsführer Arnd Franz sind die inzwischen gesammelten Erfahrungswerte eindeutig: «Die bisher gesammelten Daten zeigen: In den ersten Jahren verlieren Antriebsbatterien sehr langsam an Kapazität. Nach acht Jahren aber kann es schnell bergab gehen.» Deshalb sei es vor allem bei älteren Elektroautos wichtig zu wissen, in welchem Zustand der Akku noch ist.

Lässt die Kapazität der Traktionsbatterie nach, bedeutet das aber nicht das Ende eines Elektroautos. Zwar lohnt sich der Austausch eines Akkus kaum – die grossen Stromspeicher sind viel zu teuer. Allerdings können inzwischen einzelne schadhafte Batteriezellen einfach ausgetauscht werden, was in den meisten Fällen ausreicht, um den SoH einer Traktionsbatterie wieder auf Vordermann zu bringen. Viele Autohersteller bieten diese Batteriereparatur an. Inzwischen verfügen aber auch immer mehr Garagisten über entsprechende Hochvolt-Kompetenz und können defekte Zellen direkt vor Ort austauschen.

Gelegenheit für Schnäppchen

Gebrauchte Elektroautos sind also weder pannenanfälliger als Autos mit Verbrennungsmotor, noch sollte einem der Zustand der Batterie Sorgen bereiten, sofern der Verkäufer ein SoH-Zertifikat vorweisen kann. Als Käufer eines gebrauchten Stromers sollte man unbedingt auf ein solches bestehen – notfalls lässt es sich während der Probefahrt aber auch selbst einholen. Und das kostet nicht die Welt: Beim TCS etwa kostet ein Batterie-Check inklusive Zertifikat für Mitglieder 75 Franken – bis Ende März gilt sogar noch ein Spezialpreis von 50 Franken.

Dem Kauf eines gebrauchten E‑Autos steht also nichts im Weg. Die Gelegenheit, am Occasion-Markt ein Schnäppchen zu finden, ist derzeit gross – auch, weil viele Händler praktisch neue E‑Autos auf dem Hof stehen haben. Denn um die drohenden CO2-Strafzahlungen zu vermeiden, immatrikulieren viele Autoimporteure kurz vor Jahresende noch zahlreiche neue Elektroautos, die dann bei den Garagisten als junge Occasionen in den Gebrauchtwagenhandel gelangen. Und auch zahlreiche Leasing-Rückläufer mit wenig Laufleistung lassen sich zu guten Preisen finden.

Dave Schneider

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