Publiziert am: 25.04.2025

«Bürokratie abbauen»

PATRICK DÜMMLER – «Es gab wohl kaum jemals eine Entscheidung, die in so kurzer Zeit so viel an Wert vernichtet hat», sagt der Ressortleiter Wirt­schafts­politik des sgv über die Zölle von US-Präsident Donald Trump. Es gelte nun, noch mehr Frei­handels­ab­kommen ab­zu­schliessen und im Inland die Haus­aufgaben zu machen.

Schweizerische Gewerbezeitung: US-Präsident Donald Trump hat massive Zölle gegen sehr viele Länder angekündigt, darunter die Schweiz. Welche Folgen hat das für die Weltwirtschaft – kurz- und langfristig?

Patrick Dümmler: Es gab in der Weltgeschichte wohl kaum jemals eine Entscheidung, die in so kurzer Zeit so viel an Wert vernichtet hat, wie die Börsentalfahrten der letzten Wochen gezeigt haben. Kurzfristig herrscht eine sehr grosse Verwirrung. Die Firmen füllen nun die Lager in den USA, solange die Zusatzzölle pausiert sind.

Langfristig herrscht eine sehr grosse Unsicherheit. Die KMU werden Investitionsentscheide zurückstellen und abwarten – auch in der Schweiz. Die Konsumenten werden sich zurückhalten, was wiederum die Unternehmen trifft. Generell hat Trump mit seinem Entscheid sehr viel Vertrauen zerstört. Alle Länder leiden unter diesen Zöllen – auch die USA selbst. Das alles ist Gift für das wirtschaftliche Wachstum.

Zurzeit herrscht ein Basiszoll von zehn Prozent für Güter, welche in die USA geliefert werden. Für die darüber hinausgehenden Zölle herrscht eine 90-tägige Pause bis etwa Anfang Juli – ausser für China. Welche Güter sind davon betroffen?

In der Schweiz sind vor allem «Swiss Made»-Güter betroffen. Also Qualitätsprodukte, welche einen hohen Wertschöpfungsanteil in der Schweiz haben und die nicht einfach in den USA hergestellt werden können. Ich denke da zum Beispiel an die Uhrenindustrie und ihre feinteilige Zuliefererbranche, welche oft aus KMU besteht. Das Uhrwerk wird bei uns hergestellt, weil hier die Fachkräfte vorhanden sind und «Swiss Made» für Qualität steht, welche die Kunden dieser Produkte sehr schätzen. In den USA würde man entsprechende Facharbeiter wohl gar nicht finden. Überproportional betroffen sind auch unsere Käseprodukte, die Maschinenindustrie und generell Unternehmen, die keinen Standort in den USA haben und nicht ausweichen können.

Neben diesen direkten gibt es auch indirekte Effekte. Wir haben KMU, welche Bauteile für Autos nach Kanada zuliefern – zollfrei, dank unserem gemeinsamen Freihandelsabkommen. Dort werden die Fahrzeuge für den US-Markt zusammengebaut. Aufgrund der von den USA gegenüber Kanada verhängten Zölle dürfte die Nachfrage nach diesen Bauteilen zurückgehen.

Schweizer Unternehmen wiederum, die in den USA für den gesamten nordamerikanischen Kontinent produzieren, werden Kanada und Mexiko aufgrund von deren Gegenzöllen wieder vermehrt aus der Schweiz beliefern.

Diese zwei kleinen Beispiele zeigen: Die Unternehmen werden ihre gesamten Wertschöpfungs- und Lieferketten neu ordnen und die Absatzmärkte stärker diversifizieren müssen. Diese Umwälzungen haben enorme Auswirkungen auf den Welthandel und die Warenflüsse.

Die Zölle für die Schweiz könnten nach der Zoll-Pause 31 Prozent betragen – mehr als die EU. Was würde das bedeuten?

Die Zölle wären sehr schädlich für uns, und wir hätten einen grossen Wettbewerbsnachteil. Die USA sind unser zweitwichtigster Handelspartner. Rund 20 Prozent unserer Exporte gehen dorthin. Dienstleistungen sind von den Zöllen ausgenommen und Medikamente ebenfalls – zumindest bis jetzt. Das muss unbedingt so bleiben, weil rund 40 Prozent all unserer Exporte Pharmaprodukte sind – ihr Anteil am Export in die USA beträgt sogar etwa 50 Prozent.

«wir können unser Know-how im Bereich der Berufsbildung exportieren.»

Erschwerend kommt für die Schweizer Unternehmen der Wechselkurs hinzu. Der Franken ist nochmals stärker geworden, was unsere Exporte ein weiteres Mal verteuert.

Ganz grundsätzlich: Weshalb ist Freihandel ohne Zölle ein Gewinn?

Freihandel basiert auf der Annahme, dass jeder das verkauft, was er besser als andere herstellen kann. Worin man also komparative Vorteile gegenĂĽber anderen besitzt. Diese Arbeitsteilung fĂĽhrt zu einem raschen Erreichen der Lernkurve, ist effizient und schafft letztlich Wohlstand.

Stellen Sie sich vor, sie müssten ein Sandwich selbst herstellen – von Grund auf mit dem Anbau von Getreide etc. Vor rund zehn Jahren dokumentierte genau dies ein Journalist und Filmemacher. Die Kosten beliefen sich auf 1500 Dollar, und es dauerte sechs Monate, bis er sein Sandwich hatte. Zum Vergleich: Der Preis im Supermarkt ist vier Dollar.

Trump will die Industrie wieder zurück in sein Land holen. Er wirft anderen Ländern Unfairness vor, zum Beispiel durch Exportsubventionen, staatliche Unternehmen usw. Hat er da nicht einen Punkt?

Die USA sind auch nicht die industriepolitischen Musterknaben. Aber Trump hat in einigen Punkten recht: Die Zölle vieler Länder sind für US-Produkte höher als umgekehrt. Leider zieht er daraus den falschen Schluss. Mehr Freihandel müsste die Lösung lauten – nicht weniger. Für ein kleines Land wie die Schweiz wäre eine multilaterale Freihandelslösung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) am besten, doch diese wird unter anderem von den USA seit Jahren geschwächt.

Im etwa 400-seitigen amerikanischen «Zoll-Bericht» sind der Schweiz «nur» drei Seiten gewidmet. Kritisiert werden die Zölle und Importquoten bei Agrarprodukten, das Gentech-Moratorium und die «Lex Netflix». Gäbe es in diesen Bereichen Spielraum?

Das muss letztlich die Politik entscheiden. Der sgv setzte und setzt sich weiterhin gegen die ständige Verlängerung des Moratoriums für gentechnisch veränderte Organismen und gegen die Sonderabgabe für Online-Streamingdienste zur Förderung des Schweizer Films ein. Bei den Agrarprodukten liessen sich wohl mehr Produkte als heute zollfrei importieren – mit geringem Schaden für unsere Landwirtschaft.

Ich denke hier an Orangen oder bestimmte NĂĽsse, die in den USA produziert werden und hier nicht wachsen.

Die Schweiz hat besonnen auf die ZollankĂĽndigungen reagiert. War das richtig, und was muss der Bundesrat weiter tun?

Zum Glück hat unsere Regierung besonnen reagiert und nicht mit maximalem Krawall, wie es linke Parteien in pubertärer Art und Weise gefordert haben.

Es gilt weiterhin, kühlen Kopf zu bewahren und keine Gegenzölle einzuführen. Wir würden uns damit zusätzlich zu den US-Zöllen bestrafen, weil die Importe dadurch teurer würden.

Im Vordergrund steht, die bereits heute geplanten Investitionen von Schweizer Firmen in den USA gebündelt vorzutragen. Es handelt sich um ein Investitionsversprechen im Umfang von rund 150 Milliarden Dollar. In diesem Zusammenhang können wir auch unser Know-how im Bereich der Berufsbildung exportieren. Trump will Erfolge für die Bühne. Ob sie in Tat und Wahrheit seiner Politik zu verdanken sind, ist dabei zweitrangig.

Mittelfristig sollte der Schwung genutzt werden, um ein Freihandelsabkommen mit den USA abzuschliessen, das auf wahrer Reziprozität beruht. Die Schweiz hat alle Zölle auf Industriegüter bereits abgeschafft.

Was kann und soll die Schweiz weiter tun, um den Schaden zu mindern?

Wir verfĂĽgen zum GlĂĽck bereits heute ĂĽber ein dichtes Netz an Freihandelsabkommen (FHA). Es gilt, noch mehr FHA abzuschliessen, bestehende aufzudatieren und auszuweiten. Dasjenige mit Malaysia ist fertig verhandelt, das FHA mit dem Mercosur folgt hoffentlich bald. All diese Verhandlungen dĂĽrfen nicht an links-ideologischen, weltfremden Forderungen in den Bereichen Umweltschutz und Menschenrechte scheitern. Hier ist ein gesunder Pragmatismus gefragt.

Ausserdem müssen wir unsere Beziehungen zur EU auf eine weiterhin stabile Basis stellen – mit gegenseitig punktuellen wirtschaftlichen Öffnungen im Interesse der Schweiz.

Was muss im Inland geschehen, damit unsere KMU weiterhin erfolgreich sind?

Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und die Rahmenbedingungen verbessern. Das heisst: Bürokratie und administrative Vorschriften abbauen und Abgaben und Steuern senken. Das haben wir selbst in der Hand, und der sgv wird weiterhin hierfür kämpfen. Ausserdem gilt es, zusätzliche Einschränkungen abzuwehren wie beim Investitionsprüf- oder dem Kriegsmaterialgesetz.

Der sgv muss zudem der Politik den Spiegel vorhalten – auch den bürgerlichen Politikern, die am Sonntag die freie Wirtschaft predigen, aber am Montag schädlichen protektionistischen Vorstössen zustimmen. So geschehen bei der Industriepolitik für Stahl und Aluminium.

Die Linke kann man für bessere Rahmenbedingungen hingegen vergessen. Sie wollen stets mehr Einschränkungen und Umverteilungen, was das Unternehmertum langfristig lähmt und kaputtmacht.

Wir haben den Ukraine-Krieg, und nun droht aufgrund von Trumps Zöllen möglicherweise eine weltweite Rezession. Trotzdem meinen Politiker links der Mitte immer noch, wir könnten unseren Sozialstaat schier ins Unendliche weiter ausbauen. Stichworte Elternurlaub, «Gratis»-Kitas, 13. AHV- und IV-Rente ... Was sagen Sie dazu?

Das ist verantwortungslos. Wir befinden uns im Übergang von einer Leistungs- zu einer totalen Anspruchsgesellschaft. Linke verteilen lieber den Kuchen um, bis keiner mehr da ist – statt neuen zu schaffen. Leistung lohnt sich so immer weniger. Der Wirtschaft misstraut man aus Prinzip. Das Geld scheint bei gewissen Politikern vom Himmel zu fallen.

Eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik darf nachfolgenden Generationen jedoch nicht ein Land hinterlassen, das massive Schulden hat und kaum noch Unternehmen. Vielmehr gilt: Je gesünder unsere Staatsfinanzen sind, desto besser können wir auf zukünftige Krisen reagieren.

Interview: Rolf Hug

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