Publiziert am: 04.04.2025

«Nuggi wieder ausspucken»

URS FURRER – «Der Staat mit all seinen Verboten wird immer übergriffiger und behandelt die Bürgerinnen und Bürger wie Babys», sagt der sgv-Direktor. Die neue Kam­pagne gegen den Nanny State gibt hier Gegensteuer – und will, dass sich die Menschen wehren. «Sonst geht es am Schluss auch noch dem Cervelat an den Kragen.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Der Schweizerische Gewerbeverband sgv lanciert zusammen mit GastroSuisse, dem Schweizerischen Konsumentenforum und der Swiss Retail Federation, die das Ganze koordiniert, eine Kampagne gegen den Nanny State. Weshalb ist das nötig?

Urs Furrer: Weil der Staat seinen Bürgern stets mehr Verantwortung entreisst und mit seinen Vorschriften und Verboten immer übergriffiger wird. Er sagt uns zunehmend, wie wir uns ernähren sollen, was wir noch konsumieren dürfen, was gut und was schlecht für uns ist. Das ist anmassend – und eine höchst bedenkliche Entwicklung.

BefĂĽrworter dieser Eingriffe wĂĽrden argumentieren, der Staat wolle doch nur, dass es uns gut geht. Was ist daran falsch?

Die Denkweise dahinter ist falsch. Sie geht von einem betreuungsbedürftigen Bürger aus, der von der Wiege bis zur Bahre an der Hand genommen und geführt werden muss. Aber unsere direkte Demokratie basiert auf der Annahme eines eigenverantwortlichen, selbstbestimmten und -bewussten Bürgers, der am besten weiss, was gut für ihn ist – und der an der Urne über sehr komplexe Sachgeschäfte abstimmen darf, kann und soll. Es ist erschreckend, dass der Staat den Menschen im Gegenzug nicht einmal eine richtige Ernährungsweise zutraut – zumal das sowieso Privatsache ist.

Ich gehe deshalb noch einen Schritt weiter: Der stets weiter um sich greifende Nanny State widerspricht unserem Staatsverständnis und ist letztlich ein Angriff auf unsere direkte Demokratie, indem er eine deren wichtigsten Grundannahmen in Frage stellt. Nämlich diejenige des mündigen, erwachsenen Bürgers.

Deshalb auch der Nuggi als Symbol der Kampagne?

Genau. Nannys werden von den Eltern für die Kinderbetreuung angestellt. Und der Nanny State behandelt die Bürger letztlich wie kleine, unmündige Kinder. Unser Ziel ist, dass die Menschen sich wehren. Sie sollen den Nuggi wieder ausspucken. Schliesslich sind wir keine Babys. Freiheit ist eine unserer wichtigsten Errungenschaften. Sie bedeutet Verantwortung – nicht staatlichen Zwang.

Wann haben Sie sich persönlich das letzte Mal über den Nanny State geärgert?

Ich rauche zum Genuss gerne ab und an eine feine Zigarre. Auf der Zigarrenschachtel prangt der grosse Warnhinweis «Rauchen ist tödlich». Da fühle ich mich als Bürger für dumm verkauft: Ich weiss, dass Rauchen nicht gesund ist. Ich brauche deshalb auch keine staatliche Belehrung. Zumal es mein freier Entscheid ist, ob ich eine Zigarre geniesse oder nicht.

Können Sie weitere Beispiele aus dem Alltag nennen?

Da gibt es viele. In der Stadt Zürich ist geplant, dass bald nur noch 300 Gramm Fleisch pro Woche auf dem Teller landen dürfen. Es gibt immer wieder Vorstösse, um Zucker und Salz in Nahrungsmitteln zu reduzieren und zu besteuern. Eine Initiative fordert, dass Feuerwerk schweizweit verboten werden soll. Bald wird es dann noch verboten sein, dass Kuhglocken läuten oder der Laubbläser zum Einsatz kommt. Am Schluss geht es auch noch dem Cervelat an den Kragen.

Besonders heimtückisch ist das sogenannte Nudging – also das Anstupsen der Bürger in die vermeintlich richtige Richtung. Da ist die Verwaltung beinahe allmächtig. Über harte Verbote können die Bürger – allem Übel zum Trotz – wenigstens in vielen Fällen noch demokratisch befinden.

Hinzu kommen Werbebeschränkungen.

Ja – und teilweise sehr umfassende. Mehrere Gemeinden in der Schweiz, zum Beispiel das genferische Vernier, haben ein Werbeverbot für den gesamten öffentlichen Raum beschlossen. Dieses gilt auch für Werbung auf Privatgrund, wenn diese öffentlich sichtbar ist. Das ist nicht nur ein massiver Eingriff in die Eigentumsfreiheit. Für KMU bedeutet es vor allem, dass sie für ihre Produkte nicht mehr werben können, obwohl sie auf Sichtbarkeit angewiesen wären.

Besonders absurd in Vernier ist, dass sportliche und kulturelle Veranstaltungen davon ausgenommen sind – selbst Konzerte von Taylor Swift. Ein weltweiter Mega-Star darf dort also weiterhin für seine Konzerte werben, während lokale KMU auf der Strecke bleiben. Das ist zu allem auch noch höchst ungerecht.

Vorstösse für rigide und komplizierte Werbeverbote sind auch in den Städten Bern und kürzlich Zürich angenommen worden. Der Kanton Waadt hat eine Autowerbung mit einem weiblichen Model wegen sexistischen Charakters verboten, weil dessen Schlankheit Stereotype fördere. Das geht in Richtung Talibanisierung.

Machen wir uns nichts vor: Das alles ist erst der Anfang. Was derzeit geschieht, ĂĽberschreitet die Grenzen der Vernunft.

Als ehemaliger Geschäftsführer der Verbände Choco- und Biscosuisse sind Sie mit dem Nahrungsmittelsektor besonders gut vertraut. Wie macht sich der Nanny State dort bemerkbar?

Konsumgüter, Nahrungsmittel und der gesamte Genussbereich sind speziell stark vom übergriffigen Staat betroffen. Das erklärt auch, weshalb sich gerade die eingangs erwähnten vier Organisationen für diese Kampagne zusammengeschlossen haben.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Der Bundesrat plant eine Revision des Lebensmittelgesetzes. In einer ersten Fassung wollte er Werbung für Nahrungsmittel mit hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt – sogenannte HFSS-Produkte (high in fat, sugar and salt) – verbieten, welche für Kinder und Jugendliche zugänglich ist. Und zwar auf allen Kanälen – Print, TV, Audio und Internet. Von dieser schädlichen Massnahme betroffen gewesen wären zuckerhaltige Getränke, Süssigkeiten wie Bonbons oder Biscuits, Joghurts, Glacés, Frühstückscerealien, salzige Snacks usw. Mehr noch: Sogar künstlich gesüsste Getränke sollten erfasst werden, was völlig absurd ist.

Das bei dieser Revision federführende Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schiesst völlig übers Ziel hinaus. Nur so nebenbei: Dieses Amt betreibt – entgegen seinen Aufgaben – einen halben Shop auf seiner Internetseite, wo man Bücher bestellen kann, die unter anderem Tipps zur Hundehaltung geben – vom Fressen übers Spielen bis hin zur Fellpflege. Das sagt doch alles.

Wie hätte sich dieses Werbeverbot auf die KMU ausgewirkt?

Einerseits leidet die lokale Werbewirtschaft. Andererseits die KMU, die produzieren und verkaufen.

Nehmen wir einen Confiseur, der beispielsweise mit Kindern ein Osterhasen-Giessen veranstalten will. Bewerben dürfte er diesen Anlass nicht mehr. Noch gravierender wäre: Er dürfte wahrscheinlich auch den Anlass selbst nicht mehr durchführen, weil dieser ebenfalls einen Werbecharakter aufweisen und unter das Verbot fallen könnte. Die Details sind zwar noch nicht ganz klar; das Amt verhält sich nach der Entrüstung, welche die Ankündigung der Gesetzesrevision ausgelöst hat, zögerlich. Doch zeigt bereits dieses kleine Beispiel, wie all diese Vorschriften und Regeln den Geschäftsalltag der KMU bis ins Detail verkomplizieren. Zig Abklärungen werden nötig. Führt der Confiseur den Anlass in dieser rechtlichen Grauzone durch, muss er im Nachgang eventuell mit einer Busse rechnen. Im schlimmsten Fall gibt es noch negative Schlagzeilen in der Zeitung.

Das wahrscheinlichste Szenario dĂĽrfte sein: Der Confiseur verzichtet kĂĽnftig auf ein Osterhasen-Giessen, weil es schlicht zu kompliziert und zu unsicher ist.

Das ist das Gefährliche an all diesen Verboten und Vorschriften: Sie ruinieren die Eigeninitiative, von der dieses Land lebt und profitiert. Die Bürger verlieren diese auch weitgehend aufgrund der steten Angewöhnung an die immer tiefer greifende staatliche Betreuungsmaschinerie. Die Freiheit wird scheibchenweise eingeschränkt. Bis es zu spät ist und diese beinahe vollständig abgeschafft ist. Wie bei dem berühmten Frosch im sich erhitzenden Wasser, der plötzlich nicht mehr herausspringen kann.

Wie steht es um die Revision des Lebensmittelgesetzes?

Nach einem ersten Entwurf wurde es still, weil der Widerstand gross ist. Es kann sein, dass die Vernehmlassungsvorlage bald auf den Tisch kommt.

Ein Aspekt scheint mir noch wichtig: Beim erwähnten Werbeverbot stützte sich das BLV auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Internationales Soft Law in Form von Richtlinien und Empfehlungen wird verstärkt in nationales Hard Law eingegossen und dadurch verbindlich. Das ist gefährlich, und hier gilt es, wachsam zu sein.

Ein Kernziel des sgv ist der Abbau von Regulierungskosten. Wie hängen diese mit dem Nanny State zusammen?

Der Nanny State ist ein grosser Regulierungstreiber, und er führt zu einem immer grösseren Staats- und Verwaltungswachstum. All diese Einschränkungen und Verbote benötigen viel Papier. Sie müssen ausgearbeitet, überwacht und kontrolliert werden. Das freut die Angestellten in der Verwaltung. Die Gelackmeierten dieser Entwicklung sind die KMU, die Steuerzahler und die normalen Menschen in diesem Land.

Was erhoffen Sie sich von der Kampagne?

Wir wollen die Menschen zum Nachdenken bewegen, und im weiteren Sinne auch eine Wertediskussion anstossen. Zudem wollen wir damit ein sichtbares Gegengewicht zur Verwaltung und all den NGO schaffen, die ständig und überall nach immer weiteren Staatseingriffen rufen.

Interview: Rolf Hug

www.bin-kein-baby.ch

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