Publiziert am: 25.04.2025

Strukturelle Reform ist unerlässlich

AHV – Die Altersvorsorge steht vor grossen demografischen Heraus­for­de­rungen. Die 13. AHV-Rente verschärft dieses Problem. Damit nicht genug: Die zuständige Ständeratskommission will nun auch noch die AHV-Ausbau-Ini­tia­tive der Mitte vorfinanzieren, obwohl diese noch gar nicht an der Urne war. KMU und Arbeitnehmer sollen geschröpft werden. Ein Überblick in sechs Punkten.

1. Einleitung: Das Schweizer Vorsorgesystem, das lange Zeit als Modell gefeiert wurde, steht heute vor grossen Herausforderungen. Die Alterung der Bevölkerung führt zu einem Anstieg des Abhängigkeitsquotienten: 2020 kamen noch 3,3 Erwerbstätige auf einen Rentner; bis 2050 könnte dieses Verhältnis auf 2,1 sinken. Diese Entwicklung schwächt unser AHV-System, das auf dem Umlageverfahren beruht: Die Beiträge der Erwerbstätigen finanzieren direkt die Renten. Andere Länder haben reagiert: Deutschland oder die Niederlande haben das Rentenalter angehoben. In der Schweiz hingegen häufen sich die nicht finanzierten Versprechungen. Und trotz wiederholter Warnungen lassen Strukturreformen immer noch auf sich warten.

Die Annahme der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente im März 2024, deren Umsetzung mit der ersten Rentenzahlung im Dezember 2026 erfolgen wird, wird nach den jüngsten Prognosen ab 2026 zu geschätzten zusätzlichen Ausgaben von 4,2 Milliarden Franken pro Jahr, 4,6 Milliarden Franken im Jahr 2030 und über 5,2 Milliarden Franken im Jahr 2036 führen. Die Demografie wirkt sich ebenfalls auf die 13. Rente aus! Der Bundesrat schlägt vor, dies durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte zu bewältigen, wodurch der Normalsatz von 8,1 auf 8,8 Prozent steigen würde. Diese Mehrwertsteuererhöhung reicht jedoch nicht aus, um die 13. Rente zu finanzieren, und es entsteht ein negativer Saldo, der zum erwarteten Defizit der AHV hinzukommt.

Parallel dazu wird die Initiative der Mitte diskutiert. Diese zielt darauf ab, die Obergrenze für AHV-Renten für Ehepaare aufzuheben, ohne die Vorteile anzutasten, welche die Ehepaare geniessen. Diese Initiative würde bis 2030 jährlich etwa 3,6 Milliarden Franken und bis 2036 mehr als 4 Milliarden Franken zusätzlich kosten. Der Bundesrat empfiehlt, diese Initiative abzulehnen, und weist zu Recht darauf hin, dass sie weder zielgerichtet noch finanziert ist.

Man spricht also von einem Anstieg der AHV-Ausgaben um fast 8,2 Milliarden Franken im Jahr 2030 und um mehr als 9 Milliarden Franken im Jahr 2036! Und dies – daran sei erinnert – in einer Zeit, in der die AHV ab 2030 grundsätzlich eine bedeutende strukturelle Sanierung benötigt, um den Renteneintritt der Babyboomer und die Verlängerung der Lebenserwartung auszugleichen.

Noch bevor ein umfassendes Reformprojekt auf dem Tisch liegt, erwägt ein Teil des Parlaments, zunächst die erwerbstätige Bevölkerung und die Unternehmen zur Kasse zu bitten, um diese spektakuläre Ausweitung der AHV-Ausgaben zu finanzieren.

2. Der Entwurf der SGK‑S

In ihrer Sitzung vom 4. April 2025 hat die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK‑S) ein besonders besorgniserregendes Massnahmenpaket verabschiedet. Mit diesem Paket sollen gleichzeitig die 13. AHV-Rente, die ab 2026 in Kraft treten soll, sowie die Mitte-Initiative für die Aufhebung des Höchstbetrags der Renten für verheiratete Paare finanziert werden – obwohl Letztere noch nicht einmal zur Volksabstimmung gelangt ist. Um diese Verpflichtungen zu decken, schlägt die Kommission eine Erhöhung der Lohnbeiträge um insgesamt bis zu 0,8 Prozentpunkte und der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt vor. Der Entwurf sieht ausserdem vor, die Mindesthöhe des AHV-Fonds von 100 auf 80 Prozent der Jahresausgaben zu senken. Um die Auswirkungen dieser Erhöhungen abzumildern, erwägt die SGK‑S eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,2 Prozentpunkte. Dieses «kompensatorische» Manöver ist reine Kosmetik, und ändert nichts an der Realität: Die Arbeitskosten werden steigen.

Diese Vorschläge sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Doch etwas sei vorweggenommen: Indem die Kommission die Finanzierung der Aufhebung der Obergrenze für die Renten bereits jetzt in ihre Vorschläge aufnimmt, bringt sie de facto bereits ihre politische Unterstützung für diese Initiative zum Ausdruck und bestätigt deren finanzielle Folgen – ohne das Verdikt der Urne abzuwarten.

3. Die Lohnbeiträge

Die von der SGK‑S vorgeschlagenen Erhöhungen der Lohnbeiträge um 0,4 im Jahr 2028 und weitere 0,4 Prozentpunkte wahrscheinlich im Jahr 2036 wird dazu führen, dass die Belastung für Unternehmen und Erwerbstätige ein weiteres Mal steigt. Die Logik der AHV-Finanzierung über die Arbeit stösst heute an ihre Grenzen. In einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld – geprägt von einer Konjunkturabschwächung, einer zunehmend belastenden Regulierungsdichte und anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten – wäre es unverantwortlich, die Arbeitskosten weiter zu erhöhen. Die Schweizer Unternehmen – und insbesondere die KMU – sind bereits mit einem immer anspruchsvolleren Umfeld konfrontiert. Jede Erhöhung der Sozialabgaben erschwert es den Unternehmen, zu investieren, zu innovieren und Mitarbeiter einzustellen. Auf lange Sicht ist die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit die Beschäftigung gefährdet.

Die Situation ist umso besorgniserregender, als die Schweiz mit einem strukturellen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert ist, der die andere Seite der demografischen Herausforderung darstellt. Höhere Beiträge, die die Beschäftigung verteuern, könnten die Folgen dieses Mangels noch verschlimmern, indem sie die Schaffung von Arbeitsplätzen bremsen und die Einstellung von Personal erschweren.

4. Der Trick mit der Senkung der ALV-Beiträge

Die Kommission gibt vor, den Anstieg der AHV-Beiträge um 0,4 Prozentpunkte im Jahr 2028 zu begrenzen, indem sie damit die Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung um 0,2 Prozentpunkte (von 2,2 auf 2,0 Prozent) verbindet. Hierbei handelt es sich um einen buchhalterischen Taschenspielertrick. Die Sozialversicherungen haben weder die gleichen Ziele noch die gleiche wirtschaftliche Logik. Die Arbeitslosenversicherung könnte schnell unter Druck geraten, wenn sich die Konjunktur verschlechtert. Und das ist momentan der Fall, da die Aussichten insbesondere im Zusammenhang mit den globalen Handelsspannungen unsicher sind.

Wer temporäre Überschüsse der ALV nutzen will, um strukturelle Ausgaben der AHV auszugleichen, der treibt ein gefährliches Spiel mit der Stabilität des Systems. Der vorgeschlagene Transfer beseitigt den Anstieg der Arbeitskosten nicht: Er verschleiert ihn.

5. Die falsche «gute» Idee des Fonds

Die Senkung des Mindestniveaus des AHV-Fonds auf 80 Prozent kann in einigen Fällen als Übergangsmassnahme gerechtfertigt sein. In einer Phase eines raschen demografischen Übergangs, der einen starken Anstieg der AHV-Ausgaben zur Folge hat, kann eine solche Anpassung grundsätzlich unterstützt werden.

«Jede Erhöhung der Sozialabgaben erschwert es den Unternehmen, zu investieren, zu innovieren und Mitarbeiter einzustellen.»

Die Beibehaltung der derzeitigen Schwelle von 100 Prozent bedeutet nämlich, dass jeder Franken an zusätzlichen Ausgaben sofort durch eine entsprechende Erhöhung des Fonds gedeckt werden muss. Diese Regel erhöht automatisch den Druck auf die Erwerbstätigen und die Unternehmen, die den grössten Beitrag zum System leisten.

Es ist jedoch nicht akzeptabel, den AHV-Fonds anzapfen zu wollen, um zusätzliche Leistungen zu finanzieren oder eine unumgänglich gewordene Strukturreform aufzuschieben. Diese Finanzreserve soll nicht dazu dienen, fehlenden politischen Mut auszugleichen. Darüber hinaus müsste klar definiert werden, wie der Stand des AHV-Fonds berechnet wird, was die Kommission in ihrem Entwurf nicht klarstellt. Offiziell wird der Fonds im Jahr 2026 noch 100 Prozent der Ausgaben decken. In Wirklichkeit wird diese Deckung jedoch nur 83 Prozent betragen, was auf ein «Darlehen» von 10 Milliarden Franken von der AHV an die Invalidenversicherung (IV) zurückzuführen ist. Dieses «Darlehen» hat keine echte Aussicht auf Rückzahlung angesichts der sehr schlechten finanziellen Situation und Aussichten der IV.

Noch besorgniserregender ist, dass der Entwurf der SGK‑S eine automatische Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge um 0,4 Prozentpunkte vorsieht, sobald das Fondsniveau unter 80 Prozent der Jahresausgaben fällt. Eine solche starre Regel ist problematisch. Es müssen andere Massnahmen in Betracht gezogen werden können, insbesondere die schrittweise Anhebung des Rentenalters, die in vielen Ländern mit einer ähnlichen demografischen Herausforderung bereits umgesetzt wird. De facto ist die Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge bereits geplant und in den Finanzprojektionen ab 2036 enthalten.

6. Schlussfolgerung

Wenn man die 13. AHV-Rente und die Aufhebung der Rentenbegrenzung für verheiratete Paare kombiniert, würden die zusätzlichen Kosten für die AHV bis 2030 auf über 8 Milliarden Franken pro Jahr ansteigen. Und das, obwohl das System ab Ende dieses Jahrzehnts bereits ein strukturelles Defizit von 3 bis 5 Milliarden pro Jahr aufweist, ohne diese neuen Belastungen zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, die Leistungen durch die Unterstützung der Mitte-Initiative zur Aufhebung des Höchstbetrags der Ehepaarrenten noch weiter auszudehnen, obwohl Ehepaare bereits von erheblichen finanziellen Vorteilen profitieren.

Die aktuellen Vorschläge, die insbesondere von der SGK‑S getragen werden, haben eine kurzfristige politische Logik: Sie ketten die AHV an eine Spirale steigender Ausgaben, ohne die tatsächlichen Finanzierungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Der Rückgriff auf Teil- und Folgefinanzierungen ist keine Vor-sorgestrategie, sondern schwächt die Glaubwürdigkeit und die Stabilität des Systems. Dieser fragmentierte Ansatz ist abzulehnen.

Die Priorität muss sein, die AHV zu sanieren, um die bestehenden Leistungen langfristig zu sichern, und zwar auf eine Weise, die für die jüngeren Generationen gerecht und für unsere Wirtschaft nachhaltig ist. Dies erfordert eine umfassende Reform, die konsequent und verantwortungsvoll durchgeführt wird. Jede Erhöhung der Ressourcen muss unbedingt mit gezielten Sparmassnahmen und einer vernünftigen Neubewertung der Leistungen gekoppelt werden, um die Belastung für die Unternehmen und die Erwerbsbevölkerung zu begrenzen – insbesondere in einer bereits angespannten Konjunkturlage.

Eine strukturelle und nachhaltige Reform der AHV ist unerlässlich. Sie muss den demografischen Realitäten Rechnung tragen und in einen wirtschaftlichen Rahmen eingebettet sein, der Unternehmertum, Innovation und Beschäftigung fördert. Wege wie die schrittweise Erhöhung des Rentenalters müssen ohne Tabu diskutiert werden können. Der Bundesrat hat sich verpflichtet, bis 2026 eine Reform vorzulegen. Dieses Treffen muss einen Wendepunkt markieren, indem eine Grundsatzdebatte auf der Grundlage einer langfristigen Vision unseres Vorsorgesystems eröffnet wird. Es geht um den Fortbestand der AHV, aber auch um den Wohlstand und den sozialen Zusammenhalt des Landes.

Simon Schnyder, Ressortleiter sgv

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