
Dynamisch – und nicht ohne Spannungen
Schweiz–China – Hat Washington mit seinen Zöllen die Schweiz in die offenen Arme Pekings weggestossen? Die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik ist auf der Suche nach einer Antwort.
FREIHANDEL – Der Merkantilismus mit seinen zerstörerischen Auswirkungen ist zurück. Er sieht vor, dass die inländische Wirtschaft – ausser bei der Beschaffung von Rohstoffen – möglichst autark zu funktionieren hat. Ein Blick auf diese alte Denkweise in neuer Verpackung.
In Zeiten globaler Unsicherheit, wirtschaftlicher Spannungen und politischer Polarisierung erlebt ein altes wirtschaftliches Denkmuster seine Renaissance: der Merkantilismus. Besonders in der Aussenwirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump zeigte sich eine Rückbesinnung auf nationalistisch geprägte ökonomische Strategien, die dem Freihandel und der internationalen Arbeitsteilung ablehnend gegenüberstehen. Ist der Merkantilismus tatsächlich ein Weg zu ökonomischer Stärke – oder nur ein Rückschritt in ein überholtes Denkmuster?
Der Merkantilismus (von lateinisch «mercari», «Handel treiben») entwickelte sich im Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts als eine wirtschaftspolitische Reaktion auf die sich herausbildenden Nationalstaaten. Als wichtigster Begründer wird Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) angesehen, der unter König Ludwig XIV. französischer Finanzminister war und entscheidenden Anteil daran hatte, dem chronisch defizitären Staat neue Geldquellen zu erschliessen. Dazu implementierte Colbert verschiedenste Massnahmen. Der Merkantilismus kann deshalb auch nicht als eine in sich schlüssige Wirtschaftstheorie bezeichnet werden.
Ein wichtiges Ziel des Merkantilismus ist, Geldabflüsse ins Ausland zu vermeiden. Je mehr Geld in ein Land strömt, umso besser. Im Aussenhandel bedeutete dies, dass konstant ein Überschuss zu erzielen ist. Staatliche Eingriffe werden dabei ausdrücklich erwünscht: Exporte werden durch Industriepolitik gefördert, Importe durch Kontingente und Zölle begrenzt. Die inländische Wirtschaft hat – ausser bei der Beschaffung von Rohstoffen – möglichst autark zu funktionieren. Im Merkantilismus wird internationaler Handel als Konkurrenzkampf zwischen Staaten angesehen, mit einem Handelsbilanzüberschuss gewinnt ein Land auf Kosten des anderen.
Gegen die Ideen des Merkantilismus argumentierte der schottische Philosoph Adam Smith (1723–1790). Er argumentierte, dass der Reichtum einer Nation nicht dadurch bestimmt wird, wie viel Geld sie besitzt, sondern dass offene Märkte und der Wettbewerb zu mehr Wohlstand für alle führen. Es soll deshalb den Bürgern erlaubt sein, nach eigenem Interesse zu handeln und Waren nach Belieben zu produzieren, zu verkaufen und zu kaufen. Zölle führten nur zur Reduktion des internationalen Handels und letztlich zu weniger Reichtum. Denn wenn Güter importiert werden, die im Ausland billiger hergestellt werden können, können im Inland Ressourcen freigesetzt werden, die in der inländischen Exportproduktion höhere Handelsprofite ermöglichen. So spezialisieren sich die Länder auf die Produktion jener Güter, bei denen sie über einen komparativen Kostenvorteil verfügen, sie also wettbewerbsfähiger als andere herstellen können. Dies führt zu einem konstanten Strukturwandel, der zeitweise schmerzhaft sein kann, letztlich aber zu höherem volkswirtschaftlichem Wohlstand führt.
Während Europa bereits im 19. Jahrhundert den Merkantilismus weitgehend überwand, greift die US-Regierung unter Trump willig in die wirtschaftspolitische Mottenkiste. Zölle sollen die heimische Industrie schützen, das Handelsbilanzdefizit der USA verringern, die Staatsfinanzen sanieren und die eigene Verhandlungsposition gegenüber den Handelspartnern stärken. Dabei wird das Handelsdefizit – getreu der merkantilistischen Interpretation – als Indikator wirtschaftlicher Schwäche interpretiert. Trump spricht gar davon, dass das Defizit Beleg für den Betrug sei, den die Handelspartner an den USA begingen. Dies ist Unsinn und steht im diametralen Widerspruch zu den Erkenntnissen moderner Ökonomie. Ein Handelsbilanzdefizit kann Ausdruck einer starken Inlandsnachfrage oder eines hohen Kapitalzuflusses sein, zum Beispiel infolge ausländischer Direktinvestitionen.
In der globalisierten Weltwirtschaft sind Importe keine Schwäche, sondern Ausdruck der Stärke. Sie ermöglichen Zugang zu günstigen oder spezialisierten Gütern, fördern die Wettbewerbsfähigkeit und erweitern das Konsumangebot. Unternehmen profitieren von Vorleistungen aus dem Ausland, die in der Produktion eingesetzt werden und oft die Basis für wettbewerbsfähige Exporte bilden. Für Konsumenten bedeuten Importe günstigere Preise und eine grössere Produktauswahl. Ökonomisch betrachtet sind Importe kein «Abfluss» von Wohlstand, sondern ein effektives Instrument zur Effizienzsteigerung.
Trotz dieser Erkenntnisse bleibt die Rückkehr zu protektionistischen Massnahmen aus politökonomischen Motiven attraktiv. Sie bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme, suggeriert Kontrolle in Zeiten globaler Unsicherheit und spricht nationale Identitäten an. Kurzfristig können die Massnah-men politisch in den USA als Erfolg verkauft werden: Mehrere Unternehmen, auch aus der Schweiz, erklärten, in den Vereinigten Staaten investieren zu wollen. Doch die Pläne dafür sind wohl lange vor der erneuten Präsidentschaft Trumps konkretisiert worden. Dass sie aber nun kommuniziert werden, ist kein Zufall.
Langfristig sind Zölle und weitere Importbeschränkungen nicht nachhaltig. Sie lösen in der Regel Gegenmassnahmen der betroffenen Handelspartner aus, schwächen internationale Lieferketten und führen zu höheren Preisen für Verbraucher und Produzenten im Inland. Der neue Merkantilismus – ob unter Trump oder in anderen Ländern – übersieht, dass Wohlstand nicht durch Abschottung, sondern durch Integration entsteht. Eine rationale Aussenwirtschaftspolitik erkennt die Vorteile des Handels an, schützt jedoch gleichzeitig vulnerable Sektoren und sorgt für faire Spielregeln.
Gefordert ist ein Freihandel mit Augenmass. Statt alte Denkweisen zu reanimieren, braucht es eine zukunftsorientierte Handelspolitik, die globale Interdependenz als Chance begreift und nicht als Bedrohung. Zumindest die Schweiz ist hier, im Vergleich zu den meisten anderen Ländern, vorbildlich unterwegs.
Patrick DĂĽmmler, Ressortleiter sgv
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