ESG ist ein viel diskutiertes und emotionales Thema, das im Fall der Nachfolge auf eine ebenfalls emotionale Situation trifft: die Übergabe des eigenen Lebenswerkes. Für die Planung der eigenen Nachfolge stellt sich bei der konkreten Umsetzung die Frage, inwieweit ESG-Themen («Environmental, Social, Governance») bei einer – sinnvollerweise vorausgehenden – «Verkaufsoptimierung» des Unternehmens berücksichtigt werden sollten. Dies umso mehr, wenn ESG z. B. im Vorfeld inhaltlich nicht unbedingt mit der Grundeinstellung des Verkäufers «kompatibel» und als Trendthema deutlichen Schwankungen unterlegen ist, wie die aktuellen Entwicklungen deutlich aufzeigen.
Relevanz von ESG bei KMU-Nachfolge
Bei einer Unternehmensnachfolge kommt es generell weniger darauf an, ob vorhandene Trends den eigenen Einstellungen bzw. Weltanschauungen entsprechen. Es kommt darauf an, ob diese im geplanten Verkaufszeitfenster kaufpreisrelevant sind bzw. sein werden oder nicht. Und das gilt für ESG wie für jedes andere Nachfolgethema auch.
Die Umsetzung der Unternehmensnachfolge – als oft bedeutendste und einmalige Transaktion im Leben eines Unternehmers – beeinflusst mit der Höhe des vereinnahmten Kaufpreises signifikant den nachfolgenden Lebensabschnitt des Unternehmensverkäufers.
Kommt hinzu: Getroffene Fehleinschätzungen bzw. -entscheidungen sind im Gegensatz zu vielen ande-ren unternehmerischen Handlungen nicht mehr nachträglich korrigierbar.
Daher ist eine Beschäftigung mit potenziell (!) kaufpreisrelevanten Faktoren – und dazu gehört ESG – im Vorfeld sinnvoll und im Eigeninteresse sogar notwendig. Hier wird ein pragmatischer Ansatz zum Umgang mit ESG im Rahmen einer Unternehmensnachfolge aufgezeigt.
ESG-Rahmenbedingungen des KMU-Verkaufs
Die Rahmenbedingungen bzgl. ESG sind oft politisch gesetzt bzw. beeinflusst und können sich im Zeitablauf ändern. Aktuelle Beispiele sind die politischen Entwicklungen in den USA und die u. a. damit verbundene Kündigung des Pariser Klimaschutzabkommens oder die wieder aufgeflammte Diskussion in der EU über das Lieferkettengesetz.
Kurzfristige Änderungen der verpflichtenden Rahmenbedingungen stellen grundsätzlich eine Herausforderung für jede unternehmerische Planung bzw. Strategie dar. Erst recht aber für die Nachfolgeplanung, wo diese Änderungen Cashflows und Diskontierungszinssätze als entscheidende Komponenten der Unternehmenswertbildung verändern. Diese können sich sowohl in positive als auch negative Richtungen bewegen. Letzteres ist von besonderer Relevanz.
Eine weitere Herausforderung bei der Vorbereitung der Unternehmensnachfolge ist die vielfach mangelnde Operationalisierung von ESG-Tatbeständen, sodass diese dann schwer zu fassen und konkret in die Praxis einzubeziehen sind. Das kann das «Runterverhandeln» der Gegenseite erleichtern, wenn man unvorbereitet ist.
Unternehmenswert und ESG-Strategien
Auch wenn Due Diligences im KMU-Bereich im Regelfall unterhalb des Intensitätsniveaus grösserer Unternehmen liegen, so sind Cashflow beeinflussende Tatbestände dort ebenfalls immer von Relevanz.
Dieses lässt sich auf eine relativ einfache Formel reduzieren: Ergeben sich Investitionserfordernisse daraus, dass sich das zu verkaufende Unternehmen bisher noch nicht im akzeptierten Standard befindet, dann erfolgen Abschläge auf den zu erzielenden Kaufpreis. Dieses erfolgt bei marktüblichen Verfahren durch Anpassung der prognostizierten Cashflows oder des Diskontierungszinssatzes.
Man kann ebenfalls folgende Wechselbeziehungen zur Konjunktur unterstellen: In einem positiven wirtschaftlichen Umfeld ist die Bereitschaft höher, für ESG-Elemente Erhöhungen des Kaufpreises in Betracht zu ziehen. In einem schwierigen Umfeld wird das weniger der Fall sein.
Vorbereitung auf eine ESG-Due-Diligence
Ein essenzieller Punkt ist die strategische Einordnung der ESG-Bedeutung für den Käufer bzw. der erwarteten ESG-Einstellung des Verkäufers. Es sind verschiedene Strategien denkbar, die ein Gesellschafter bzw. Eigentümer schon vor einem Verkauf verfolgen kann. Kurzfristig vor der Nachfolge geänderte und noch nicht wirksame Strategien bergen immer die Gefahr mangelnder Glaubwürdigkeit.
ESG-Minimumstrategie – Chancen und Risiken
Die Einhaltung der gesetzlichen ESG-Standards stellt kein autonomes Entscheidungsfeld des verkaufenden Unternehmers dar. Denn dieses ist der einzuhaltende Minimumstandard jeder ESG-Strategie. Das umso mehr, je stärker die Einhaltung strafbewehrt bzw. sanktioniert ist.
Denn Strafzahlungen führen als Belastungen des Cashflows unweigerlich zu entsprechenden Abzügen vom Kaufpreis. Gleiches gilt für unterlassene ESG-Investitionen oder sonstige nachzuholende ESG-Massnahmen, sofern diese obligatorisch sind. Jeder rationale Unternehmenskäufer prüft im Rahmen einer rechtlichen Due Diligence die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen, auch im ESG-Bereich.
Eine faktische Untergrenze der Minimumstrategie stellen auch ESG-bezogene Mindeststandards der Kunden dar. Volatilitäten bei diesen Anforderungen im Zeitablauf stellen gerade bei der Minimumstrategie ein Risiko dar.
Je nach Market-Sentiment kann vorgenannter Minimumstandard aber schon als ausreichend angesehen werden. Die Chancenseite dieser Strategie liegt in diesem Fall in der Vermeidung kaufpreissenkender «unnötiger» Aufwände.
ESG-Medianstrategie – Chancen und Risiken
Die Medianstrategie stellt zwar ebenfalls eine eher risikovermeidende ESG-Strategie dar. Sie orientiert sich aber nicht mehr an dem absoluten Minimum, sondern bezieht relevante Wettbewerber in die Betrachtung ein, insbesondere auch evtl. zum Verkauf stehende Konkurrenten. Ziel ist es vereinfacht gesprochen, nicht «negativ im Wettbewerbsumfeld aufzufallen».
Existieren vergleichbare Unternehmen, die einen höheren ESG-Standard bei gleichen Preiserwartungen haben, so würde sonst ggf. ein Nachteil im Verkaufsprozess entstehen, der wiederum in einer Kaufpreissenkung enden könnte. Dieser Nachteil lässt sich mit dieser Strategie vermeiden. Die Strategie setzt eine entsprechende Konkurrenzbeobachtung voraus. Das Risiko liegt in Aufwendungen, die der spätere Käufer ggf. nicht bereit ist zu entgelten.
ESG-Offensivstrategie – Chancen und Risiken
Bei einer Offensivstrategie sieht das Unternehmen ESG als Teil der eigenen DNA an, der auch explizit vermarktet wird. Eine solche Strategie bietet sich an, wenn eine ESG-Orientierung entweder der eigenen Überzeugung des Verkäufers oder eben dem Käufer- und Kundensentiment zu dem geplanten Verkaufszeitpunkt entspricht.
Das Risiko einer Offensivstrategie besteht darin, dass Cashflow-belastende ESG-Massnahmen den Unternehmenswert senken, wenn die Kunden diese Massnahmen z. B. in Zeiten niedrigeren Wirtschaftswachstums nicht honorieren. Auf der Chancenseite steht dagegen: Sind in positiven wirtschaftlichen Zeiten Kunden bereit, durch höhere Preise für positive Cashflow-Salden (aus Preiszuschlägen vs. höheren ESG-Ausgaben) zu sorgen, dann ist ein höherer Verkaufspreis erzielbar. Ebenso, wenn aufgrund der ESG-Orientierung niedrigere Risiko-aufschläge erfolgen. Hier gilt es, individuelle Abschätzungen für das Verkaufsobjekt vorzunehmen.
Fazit für Unternehmensverkäufer
Was Sie von ESG halten, entscheiden Sie selbst. Welche Auswirkung ESG auf den Verkaufspreis Ihres Unternehmens hat, entscheiden dagegen Ihre Kunden, potenzielle Käufer und durch Festlegung der Rahmenbedingungen auch der Standortstaat.
Entscheidend ist in einem volatilen Umfeld eine klare und glaubwürdige Strategie mit entsprechender Vorbereitung von Q+As für ESG-orientierte Käufer. Es gilt, weder eine Überhöhung noch eine Unterschätzung von ESG vorzunehmen.
Grundsätzlich sollte auch bei zurückhaltenden Strategien immer systematisch geprüft werden, ob im ESG-Bereich die «low hanging fruits» nicht vom Verkäufer schon selbst «geerntet» werden können – mit dem Resultat einer Kaufpreiserhöhung. Offensichtliches und plumpes Greenwashing reduziert dagegen die Glaubwürdigkeit des Verkäufers auch in anderen Feldern.
Jörg Richard