Die Schweiz ist eine kleine, offene Volkswirtschaft. Das bringt Vor- und Nachteile mit sich, und zwar wirtschaftlicher und politischer Art, denn der Aussenhandel ist damit für uns von vitaler Bedeutung. Der Aussenhandel macht über 11% des Bruttoinlandprodukts aus. Damit gehört die Schweiz zu den offensten Volkswirtschaften der Welt.
Die Schweiz verfügt über ein Netz von 33 Freihandelsabkommen mit 43 Partnern – zusätzlich zum EFTA-Übereinkommen und zum Freihandelsabkommen mit der EU. Die Schweiz ist Mitglied der WTO und hat in der Geschichte der Welthandelsorganisation immer eine wichtige Rolle gespielt. Freihandel muss man der Schweiz nicht erklären.
Die Hochzeiten der Globalisierung sind allerdings seit einigen Jahren vorbei. Und das spürt die Schweiz – im Moment weniger wirtschaftlich als vielmehr politisch. Zum Beispiel die Nadelstiche der EU in der jüngeren Vergangenheit. Der Rauswurf aus dem Forschungsprogramm, die Aberkennung der Schweizer Börse und die Weigerung, das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen bei der Medizinaltechnik zu aktualisieren. Das alles sind Handelshemmnisse, die an Schutzgelderpressung erinnern und nicht an den Freihandelsgeist früher Tage der EU. Und ob ein neuer Rahmenvertrag im Konfliktfall mehr Rechtssicherheit und Verlässlichkeit bringen würde, darüber kann man höchst trefflich streiten.
Man darf an Mario Draghis Beitrag in der «Financial Times» erinnern, in dem der frühere EZB-Chef und italienische Premierminister am 14. Februar 2025 schrieb: «Forget the US – Europe has successfully put tariffs on itself». Der IWF schätzt, dass die internen Schranken in Europa einem Zollsatz von 45% für das verarbeitende Gewerbe und 110% für Dienstleistungen entsprechen. Das ist auch für die Schweiz und ihren Aussenhandel mit der EU von Bedeutung.
Und die USA? «Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt!», rief Vizepräsident J. D. Vance einer verblüfften Öffentlichkeit während der Münchner Sicherheitskonferenz vor ein paar Wochen zu. Und dieser neue Sheriff hat bereits einiges an Staub aufgewirbelt. Jüngst mit seiner Ankündigung reziproker Zölle. Das ist zweitens für die Schweiz eine Gefahr. Das hört sich nicht nach Freihandel an – im Gegenteil!
Dabei sollten wir den Einstieg von J. D. Vances Rede in München aber nicht überhören: «Wir spielen für das gleiche Team», sagte er zu Beginn seiner Rede. Das gilt auch für die Schweiz. Die Exporte der Schweiz in die USA verzeichneten zwischen 2015 und 2024 ein bemerkenswertes Wachstum von über 9% pro Jahr und erzielten 2024 einen Exportanteil von 16,5%. Damit sind die USA für den Export relevanter als die Nachbarn Deutschland, Frankreich oder Italien.
Freihandel ist eine gute Richtschnur in der Wirtschaftspolitik. Und das haben die USA eigentlich immer vertreten – trotz der aktuell im Raum stehenden reziproken Zölle. Während der durchschnittliche US-Zollsatz zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch bei knapp 30% lag, sank er bis zum Ersten Weltkrieg auf knapp 5%. Und die verhängnisvolle Ära der Schutzzollpolitik während Präsident Herbert Hoover mit dem Smoot-Hawley Tariff Act vom 17. Juni 1930 zeigte den USA nur allzu deutlich, wie wichtig und dringlich eine Welthandelsliberalisierung ist. Die von den USA verhängten Zölle sanken seit dem Zweiten Weltkrieg auf bis vor kurzem unter 5%. Freihandel gehört zu den USA.
Diesen Faden sollte die Schweiz aufnehmen. Das IWP hat zusammen mit dem IfW in Kiel und dem Wifo in Wien eine Studie publiziert, die die möglichen Wachstumseffekte eines auszuhandelnden Freihandelsabkommens mit den USA quantifiziert. Da zeichnen sich am Horizont verschiedene mögliche Deals zwischen der Schweiz und den USA ab.
Nehmen wir doch die Radioansprache von Präsident Ronald Reagan vom 25. April 1987 zum Vorbild: «Wenn jemand sagt: ‹Lasst uns Zölle auf ausländische Importe erheben›, sieht es zunächst so aus, als würde er patriotisch handeln und amerikanische Produkte und Arbeitsplätze schützen. Und manchmal funktioniert das auch für eine kurze Zeit – aber nur für eine kurze Zeit. Was letztendlich passiert, ist Folgendes: Erstens verlassen sich die einheimischen Industrien auf den staatlichen Schutz in Form von hohen Zöllen. Sie hören auf zu konkurrieren und nehmen nicht mehr die innovativen Management- und Technologieänderungen vor, die sie brauchen, um auf den Weltmärkten erfolgreich zu sein. Und dann, während all dies geschieht, passiert etwas noch Schlimmeres. Hohe Zölle führen unweigerlich zu Vergeltungsmassnahmen ausländischer Länder und zum Ausbruch heftiger Handelskriege. Die Folge sind immer mehr Zölle, immer höhere Handelsschranken und immer weniger Wettbewerb. Bald werden die Menschen aufgrund der durch Zölle künstlich hoch gehaltenen Preise, die Ineffizienz und schlechtes Management subventionieren, nicht mehr kaufen. Dann passiert das Schlimmste: Die Märkte schrumpfen und brechen zusammen, Unternehmen und Industriezweige müssen schliessen, und Millionen von Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz.»
Das bleibt auch nach 40 Jahren richtig. Es sollte eigentlich jeder Wirtschaftspolitiker hören – und verinnerlichen.
Woraus folgt: Es geht für die Schweiz um Interessen, nicht um Befindlichkeiten. Im Vordergrund stehen Deals, keine Schnellschüsse. Denn die Schweiz hat viel zu bieten, und sie ist ein verlässlicher Partner.
* Prof. Dr. Christoph A. Schaltegger, Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern.
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