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«Maschinen funktionieren wie damals»
BALLYANA – Schönenwerd war während 200 Jahren Schauplatz industriellen Schaffens. Die Industrie beschäftigte Zehntausende und prägte Land und Leute. Sie erlebte Höhen und Tiefen, bis die Produktion um die Jahrhundertwende eingestellt wurde. Wir machen eine eindrückliche Zeitreise mit Philipp Abegg, Präsident der Stiftung Ballyana, zurück zu den Anfängen der Industriekultur.
Während fast 200 Jahren hat Bally Land und Leute des Niederamtes geprägt. Jahrzehntelang lebten Schönenwerd und seine Umgebung nach dem Rhythmus der Bally-Fabriksirene. Das ist Geschichte. Aber das «Königreich Bally», welches der Arbeiterschaft und den Angestellten Lebens- und Arbeitsraum in der unmittelbaren Umgebung bot, hat im Dorfbild nicht nur mit erstklassiger Architektur wie dem Kosthaus (1919) von Karl Moser Spuren hinterlassen. Archive, Maschinen und eine einmalige Schuhsammlung sind Zeugen einer langen Industriegeschichte.
Zu den Hinterlassenschaften ge-hören ebenso eine enorme Fülle von Dokumenten, Bildern, Fotografien, Werbeartikeln und Produkten. Sammlungen, Archive, Maschinen, Gärten und Bauten ergeben zusammen eine der vollständigsten industriegeschichtlichen Dokumentationen der Schweiz. Ballyana setzt sich für die Erhaltung dieses historischen Erbes von Bally in der Region Schönenwerd ein. In der Ausstellung erlebt man die authentische Atmosphäre unserer Industriegeschichte. Die Sammlung alter Textil- und Schuhproduktionsmaschinen versetzt einen ins Zeitalter der Industrie zurück. In einer ehemaligen Produktionshalle der Bandweberei Bally sieht, hört und riecht man, wie früher gearbeitet wurde. Nebst den Maschinen stehen Aspekte der Industriegeschichte und Industriekultur im Zentrum: Schuhe, Bänder, Schachteln und Reklame. Wir tauchen hier zusammen mit Philipp Abegg, Präsident der Stiftung Ballyana, in das alte Reich von Bally ein:
Schweizerische Gewerbezeitung: Die Stiftung fĂĽr Bally Familien- und Firmengeschichte wurde im Jahre 2000 gegrĂĽndet. Welche Idee steckt dahinter?
Philipp Abegg: Die alte Traditionsfirma Bally wurde 1999 an eine US-amerikanische Private-Equity-Firma verkauft und schon im folgenden Jahr wurden alle betrieblichen Aktivitäten am historischen Standort Schönenwerd eingestellt. Das war ein Schock für die ganze Region, weil Bally diese fast 200 Jahre lang geprägt hatte. Auf Anregung des Historikers Dr. Peter Heim aus Olten, haben wir uns daran gemacht, eine Struktur zu schaffen, die in der Lage sein sollte, möglichst viele Hinterlassenschaften der Bally-Geschichte für die Nachwelt zu erhalten.
In der Ballyana-Ausstellung taucht man in die industriegeschichtliche FrĂĽhzeit ein. Welche Bedeutung hatte Bally fĂĽr die schweizerische Industriegeschichte?
Für die Schweizer Industriegeschichte hat Bally Bedeutung vor allem als grösste und bedeutendste Schuhfabrik. Bally fabrizierte mit bis gegen 15 000 Paar nicht nur weitaus die meisten Schuhe, sie waren von bester Qualität und zeitweise auch modisch führend. Bally wurde als Marke zu einer Ikone der Schweizer Wirtschaft. Zudem gibt es von keiner historischen Schweizer Unternehmung und Unternehmerfamilie so viele Archive, Sammlungen, Fotos, Privatnachlässe Reklame etc. Es ist ein grosser Schatz, eine wichtige Dokumentation unserer jüngeren Kulturgeschichte.
In der Ausstellung erleben die Besucher die authentische Atmosphäre unserer Industriegeschichte. Was sind die Höhepunkte in der Ausstellung?
Bally ist ja sehr alt. Die Wurzeln gehen auf eine Bandweberei zurück, die um 1815 die Produktion aufgenommen hatte. Im Ballyana können wir heute die ganze Entwicklung der Bandweberei und der Schuhfabrikation seit 200 Jahren anschaulich zeigen und erklären. Das ist sehr attraktiv für die Besuchenden, weil alles läuft und funktioniert wie damals. Es gefällt allen, egal ob alt oder jung, Mann oder Frau, Handwerker oder Professor!
In der Ausstellung wird aber auch die Schuhproduktion dokumentiert. Was ist charakteristisch fĂĽr einen Schuh von Bally?
Der Bally-Schuh hat sich immer wieder verändert, seit der erste Schuh vor über 170 Jahren fabriziert wurde. Für den Bally-Schuh, so wie wir ihn seit etwa 1900 kennen, ist die hohe Qualität und die perfekte Passform typisch. Nirgends in Mitteleuropa gab es so viel fundiertes Know-how bei der industriellen Schuhfabrikation wie hier in Schönenwerd.
Es werden auch noch andere Bereiche wie Mode, Werbung etc. in der Ausstellung angesprochen. Können Sie einen kleinen Überblick geben?
Ja, vor allem die Werbung ist uns sehr wichtig. Bally hat immer viel Wert daraufgelegt und besonders ab ca. 1920 intensiv und auf hohem Niveau geworben. In der Ausstellung hat die Werbung daher einen recht hohen Stellenwert. Und man kann sie stets auch parallel zur Firmengeschichte betrachten.
Welchen Bezug haben Sie zur Bally-Familie und wie wĂĽrden Sie diese Familie beschreiben?
Meine Mutter stammte mütterlicherseits aus der Familie. Schönenwerd sind – nach dem Niedergang des Bally-Imperiums – riesige Anlagen, einige Villen und der Bally-Park geblieben.
Was ist mit den leeren Fabrikhallen passiert und wie stark weht in Schönenwerd noch der Geist von Bally?
Bally hatte schon in den 1990er-Jahre eine schwere Zeit, ist damals stark geschrumpft und – wie erwähnt – seit fast 25 Jahren ganz verschwunden. Das ist eine ganze Generation. Der «Geist», auch der Ungeist, von Bally ist also längst weg. Es gibt noch viele Fabrikhallen, die aber umgenutzt sind und oft stark verändert wurden. Schönenwerd ist nicht Zürich oder Brooklyn, wo aus alten Industriebrachen Trendviertel werden.
Was möchten Sie den Besucherinnen und Besuchern mit der Ausstellung mit auf den Weg geben?
Wir haben keinen erzieherischen Anspruch. Wir möchten einfach zeigen, wie es war und was geleistet wurde. Wir erzählen anhand unserer Ausstellung Geschichten und erklären so die Geschichte. Und natürlich möchten wir die Besucherinnen und Besuchern auch gut unterhalten.
Wie sehen die Aktivitäten und das Programm der Stiftung Ballyana aus?
Wir organisieren jedes Jahr ein Rahmenprogramm mit Vorträgen, Führungen und Events wie dem Museumstag. Das Wichtigste sind aber die vielen Führungen, die wir für Gruppen in der Ausstellung und auch im Bally-Park, einem Landschaftsgarten aus dem 19. Jahrhundert, machen.
Was sind die grossen Herausforderungen der Stiftung Ballyana?
Ballyana ist eine rein zivilgesellschaftliche Einrichtung, die nicht an eine Körperschaft der öffentlichen Hand oder an eine Firma gekoppelt ist. Damit ist die Finanzierung klar das grosse Problem. Es ist fast unmöglich, eine solche Einrichtung selbsttragend zu finanzieren, was bedeutet, dass wir strukturell ein Defizit haben. Bis jetzt konnten wir dieses jeweils irgendwie finanzieren, auf die Länge wird das aber sehr schwierig werden.
Haben Sie noch Pläne für die Zukunft?
Im Moment planen wir eine grössere Publikation über Bally, die dieses Jahr erscheinen sollte.
Interview: Corinne Remund
Was,Wie,WO
Stiftung Ballyana
Schachenstrasse 24 (Haus F)
Postfach 182 | 5012 Schönenwerd
Tel.: 062 / 849 91 09
kontakt@ballyana.ch
Ă–ffnungszeiten:
Die Dauerausstellung ist jeweils am 1. und 3. Sonntag im Monat von 14.00 bis 17.00 Uhr geöffnet (geschlossen am: 1. Januar, Ostersonntag und Pfingstsonntag).
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