Schweizerische Gewerbezeitung: Der Ständerat entscheidet in der Sommersession über die Finanzierung der 13. AHV-Rente. Deren Befürworter – Gewerkschaften, SP und Grüne – haben während des Abstimmungskampfs stets erzählt, dass man sich diese locker leisten könne. Warum scheint es mit deren Finanzierung nun doch plötzlich so zu eilen?
Simon Schnyder: Tatsächlich behaupteten die Initianten während der Kampagne, die 13. Rente sei «leicht finanzierbar» und die AHV sei «in guter Verfassung». Heute wollen sie überstürzt Milliarden von Franken zur Finanzierung aufbringen. Das zeigt, dass ihre Behauptungen irreführend waren. In Wirklichkeit waren die Defizite der AHV auf mittlere und längere Sicht aufgrund des demografischen Wandels bereits vorprogrammiert. Die 13. Rente verschärft die Situation erheblich. Die Erhöhung von Lohnbeiträgen und Steuern finden die linken Kreise natürlich positiv, da dadurch die Umverteilung weiter erhöht wird.
Zur Finanzierung der 13. Rente sind mehrere Varianten im Spiel: Können Sie kurz die wichtigsten Vorschläge skizzieren?
Der Bundesrat will die Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte erhöhen. Die ständerätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK‑S) will zeitgleich auch noch die Mitte-Initiative vorfinanzieren, welche die Rentenplafonierung für Ehepaare bei der AHV aufheben will – aber ohne die Vorteile anzutasten, welche die Ehepaare geniessen. Es handelt sich also – nach der 13. Rente – ein weiteres Mal um einen riesigen AHV-Ausbau mit der Giesskanne, von dem auch Ehepaare profitieren, die es gar nicht nötig haben.
Die 13. Rente und die Mitte-Initiative, welche noch nicht an der Urne war, würden zusammen bis ins Jahr 2036 einen Finanzbedarf von mehr als neun Milliarden Franken pro Jahr (!) verursachen. Und dies zusätzlich zur Schieflage, in der die AHV aufgrund des demografischen Wandels sowieso gerät. Ein solcher Ausbau ist schlicht unverantwortlich. Um beides zu finanzieren, schlägt die Kommission unter anderem eine Erhöhung der Lohnbeiträge um insgesamt bis zu 0,8 Prozentpunkte und der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt vor.
Um die Auswirkungen der höheren Lohnbeiträge abzumildern, will die SGK‑S den Beitragssatz an die Arbeitslosenversicherung (ALV) um 0,2 Prozentpunkte senken. Ist das eine gute Lösung?
Nein. Das ist ein buchhalterischer Taschenspielertrick, und die Kommission treibt damit ein gefährliches Spiel. Die ALV könnte finanziell schneller unter Druck geraten, als uns lieb ist. Derzeit verschlechtern sich die Konjunkturaussichten, insbesondere aufgrund der angespannten Welthandelslage wegen der Zölle. Deshalb hat der Bundesrat kürzlich beschlossen, die Höchstbezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigung (KAE) erneut von 12 auf 18 Monate zu verlängern. Vor dieser Ausgangslage sind solch taktische Manöver der SGK-S fehl am Platz. Zumal die AHV und die ALV völlig unterschiedliche Aufgaben und Ziele haben. Beide Systeme müssen unabhängig voneinander stabil sein.
Der Schweizerische Gewerbeverband sgv fordert, insbesondere auf eine Erhöhung der Lohnbeiträge zu verzichten. Warum?
Weil eine Erhöhung der Lohnabgaben die Arbeitskosten verteuert und damit die Beschäftigung schwächt. KMU werden es sich zweimal überlegen müssen, ob sie neue Mitarbeiter einstellen. Höhere Lohnbeiträge belasten direkt die Gewinnspanne der KMU – insbesondere im Handwerk. Im Gegensatz zu grossen Unternehmen können kleine Strukturen diese Kosten nicht ohne Weiteres auffangen und auf die Preise abwälzen.
Kann man etwa beziffern, wie eine Erhöhung der Lohnbeiträge ein KMU mit zehn Mitarbeitern im Jahr trifft?
Gehen wir von einer Schreinerei mit einem Jahresumsatz von 1,5 Millionen, einer Bruttolohnsumme von 750 000 und einem Reingewinn von 90 000 Franken aus. Eine Erhöhung der Lohnbeiträge um einen Prozentpunkt senkt den Reingewinn um mehr als acht Prozent. Dieses Geld fehlt dann für wichtige langfristige Investitionen und für Reserven für schlechte Zeiten. Bereits eine kleine Erhöhung der Lohnbeiträge wird zu einer grossen Belastung für Unternehmen, insbesondere wenn die Löhne einen hohen Anteil des Umsatzes ausmachen – was bei KMU in arbeitsintensiven Branchen typisch ist.
Und wie stehen Sie zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer?
Das muss ebenfalls vermieden werden. Doch um die Beschäftigung und die Wettbewerbsfähigkeit der KMU, ja generell die Wertschöpfung, zu erhalten, ist deren moderate Erhöhung wirtschaftlich weniger schädlich. Es wäre das geringere Übel.
Die Mehrwertsteuer ist eine Konsum- und keine Produktionssteuer: Sie wirkt sich nicht direkt auf die Produktionskosten oder die Einstellungsentscheidungen aus. Sie trifft vor allem die wichtige Exportwirtschaft weniger, da Exporte von der Mehrwertsteuer befreit sind. Ausserdem ist sie neutraler: Die Steuer wird auf den gesamten Verbrauch verteilt, einschliesslich des Verbrauchs der Haushalte und der Touristen. Sie ist aus generationenĂĽbergreifender Sicht gerechter, weil alle, auch die Rentner, mitbezahlen.
Eine MwSt-Erhöhung ist jedoch ebenfalls schmerzhaft: Sie kann die Binnennachfrage bremsen, die Gewinnspannen in einigen Sektoren verringern und die Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel des Tourismus beeinträchtigen. Auch die Gastronomie mit ihren tiefen Margen wird darunter leiden.
«dies in Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs.»
Der Bund hat ein Ausgabenproblem und muss dringend weniger Geld ausgeben. Er will deshalb im Rahmen des Entlastungspakets seinen Beitrag an die AHV senken. Was halten Sie davon?
Gar nichts. Bei dieser Massnahme handelt es sich um eine Steuererhöhung, die als Haushaltsentlastung getarnt wird. Denn die – sozusagen mechanische – Folge davon werden Erhöhungen der Lohnbeiträge und/oder der Mehrwertsteuer sein. Der Haushalt wird auf Kosten der erwerbstätigen Bevölkerung und der Wirtschaft «schein-entlastet». Die Ausgaben für die AHV sind gesetzlich vorgeschrieben und können nicht – wie in anderen Bereichen – einfach gekürzt werden.
Und zur Erinnerung: Die Erhöhung des Bundesanteils auf 20,2 Prozent an den AHV-Ausgaben wurde mit der Annahme der AHV-Steuervorlage (STAF-Vorlage) 2019 an der Urne vom Volk so gewollt.
Warum sollte die Finanzierung der 13. Rente nicht separat erfolgen, sondern Teil der grundlegenden AHV-Reform sein, deren Stossrichtung der Bundesrat kĂĽrzlich bekannt gab?
Die AHV muss als Ganzes betrachtet werden. Die Sanierung muss koordiniert und mit einer Gesamtsicht erfolgen. Es ist methodisch falsch, zuerst die 13. Rente zu finanzieren und sich danach erst der 12 «restlichen» Monatsrenten anzunehmen.
Was erwarten Sie von dieser AHV-Reform?
In erster Linie muss die AHV mit strukturellen Massnahmen saniert werden, um deren Ausgaben in den Griff zu bekommen. Langfristig ist eine Erhöhung des Renteneintrittsalters unvermeidlich. Dies sollte bereits jetzt vorbereitet werden, um diese Erhöhung sozial verträglich zu begleiten. Leider fehlte dem Bundesrat in seiner kürzlich präsentierten Reformvorlage der Mut, diese Erhöhung aufs Tapet zu bringen.
Nicht vergessen werden darf dabei: Die Alarmsignale häufen sich auch bei der IV, welche mehrheitlich durch Lohnbeiträge finanziert wird. Seit 2012 ist die Zahl der neuen Renten um 42 Prozent in die Höhe geschnellt. Noch besorgniserregender ist der rasante Anstieg bei den unter 30-Jährigen. Das ist eine tickende Zeitbombe.
Ob AHV, IV oder der Bundeshaushalt: Ăśberall drohen Schieflagen. Doch Politiker von links der Mitte fordern mit einer Initiative einen Elternurlaub. Und der Nationalrat hat beschlossen, dass die Unternehmen ihren Mitarbeitern die Kinderbetreuung bezahlen sollen. Was sagen Sie dazu?
Das ist mehr als unverantwortlich, und die finanzpolitische Verwahrlosung scheint immer stärker um sich zu greifen. Wenn man sich alle laufenden Projekte zur Sanierung und zum Ausbau des Sozialstaats ansieht, wird das enorme Kosten zur Folge haben und unsere Volkswirtschaft und unsere KMU massiv schwächen. Rechnet man zu den Kosten für die 13. Rente und die Mitte-Initiative noch die Ausgaben für die Initiative für einen Elternurlaub, die neue Kinderbetreuungszulage und die geplante Erhöhung der Familienzulagen hinzu, kommt man bereits auf über elf Milliarden Franken, wobei hier die Kosten für den Elternurlaub wohl einiges zu niedrig geschätzt sind. Nicht vergessen werden darf, dass die Sanierung der AHV ohne strukturelle Massnahmen knapp fünf Milliarden Franken kosten wird. Wir reden also von mindestens 16 Milliarden Franken an Mehrkosten. Das entspräche fast vier Mehrwertsteuerprozentpunkten oder einer Erhöhung der Lohnbeiträge um beinahe drei (!) Prozentpunkte. Und dies in Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs. Das kann so schlicht nicht weitergehen.
Kommt hinzu, dass viel Geld schlicht verschwendet wäre. So wird das Kita-Betreuungsgeld allen Eltern ausbezahlt. Ob sie deswegen mehr arbeiten oder nicht, spielt keine Rolle. Die Eltern könnten an die «Chilbi» gehen oder sich im Liegestuhl ausruhen, während ihre Kinder fremdfinanziert in der Kita betreut werden. Das ist doch absurd!
Und: Bei all diesen Zusatzausgaben haben wir übrigens noch keinen Rappen mehr für die Armee ausgegeben. Oder nur in Ansätzen das Ausgabenproblem des Bundes in den Griff gekriegt.
Interview: Rolf Hug