Ist es fehlender Mut? Oder gar bereits Realitätsverweigerung? Diese Fragen stellen sich, wenn man die kürzlich vom Bundesrat vorgelegte Stossrichtung der AHV-Reform 2030 anschaut. Höhere Lohnbeiträge und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber wenig strukturelle und nachhaltige Sanierungsmassnahmen – so das erste Kurzfazit.
Dabei ist die Ausgangslage allseits bekannt: Die Bevölkerung altert, die Zahl der Rentner steigt, das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern verschlechtert sich. Es braucht also dringend strukturelle Massnahmen. Doch der Bundesrat geht viel zu zaghaft und zu bruchstückhaft vor und weicht den grundlegenden Fragen aus.
Flexible Arbeitszeiten sind wichtig
Einige Elemente sind auf den ersten Blick zwar begrüssenswert. So will die Regierung auf die Einführung neuer Steuerformen, wie einer Finanzmarkttransaktionssteuer, verzichten. Das ist gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ein Akt der Vernunft. Aber das allein reicht natürlich bei Weitem nicht aus: Sichergestellt werden muss vor allem, dass kein weiteres Mal die Lohnbeiträge erhöht werden, welche die Unternehmen und die Erwerbstätigen stark belasten. Die KMU und die arbeitende Bevölkerung tragen bereits jetzt den Grossteil der Finanzierung des Systems. Noch höhere Abgaben einzig denjenigen aufzubürden, welche die Wertschöpfung produzieren und so den Wohlstand schaffen, wäre zutiefst unsolidarisch. Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer muss klar abgewendet werden, wäre aber das geringere Übel.
Positiv zu werten sind auch folgende Ansätze – insbesondere mit Blick auf den Arbeitskräftemangel: Die Abschaffung der Altersgrenze für die Beitragszahlung und die Verbesserung der Attraktivität der Arbeit über das Rentenalter hinaus. Wichtig wird sein, dass diese Massnahmen tatsächlich Anreize schaffen. Gut ist zudem, dass der Vorruhestand weniger attraktiv werden soll. Wenn man das Arbeitskräftepotenzial vollends mobilisieren will, braucht es aber auch konkrete Steueranpassungen, flexible Arbeitszeiten und eine echte Förderung des Erfahrungstransfers.
Nicht zu rechtfertigen
Das «grosse Tabu» bleibt in der präsentierten Reform allerdings unangetastet: das Rentenalter. Der Bundesrat verzichtet auf jegliche Vorschläge in dieser Richtung und verweist auf eine spätere Reform. Ein solches Versäumnis ist nicht zu rechtfertigen. Die Schweiz wird ihr System nicht dauerhaft aufrechterhalten können, wenn die Lebenserwartung weiter steigt und das Referenzalter unverändert bleibt. Im Jahr 1950 gab es sechs Erwerbstätige, um einen Rentner zu finanzieren. Im Jahr 2020 ist diese Zahl auf drei gesunken. Im Jahr 2050 wird sie bei zwei liegen. Diese demografische Realität macht eine schrittweise, gerechte und flexible Anpassung erforderlich. Abwarten bedeutet, das Unvermeidliche aufzuschieben und die Last sukzessive und immer stärker den jüngeren Generationen aufzubürden, bis diese sie nicht mehr schultern können.
Problematisch ist auch, dass der Bundesrat in seiner Reform zwar auf die Finanzierung der 13. AHV-Rente eingeht. Er behandelt diese jedoch isoliert. Dieser Ansatz ist inkohärent. Die AHV-Reform kann nicht in technische Teilprojekte zerstückelt werden. Sie erfordert eine Gesamtschau.
Ein weiterer Punkt, der vom Bundesrat ignoriert wird, ist die Verschuldung der Invalidenversicherung bei der AHV. Diese Verbindlichkeit, die den Ertrag des Ausgleichsfonds schmälert, stellt eine unzulässige Quersubventionierung dar. Diese Frage muss unbedingt Teil des Projekts zur Sanierung der AHV sein.
Beunruhigendes Paradoxon
Schliesslich sei daran erinnert, dass die Finanzierung der AHV nicht nur von der Höhe der Beiträge oder dem Rentenalter abhängt. Sie hängt auch von der Stärke unserer Wirtschaft ab. Die Überalterung verschärft jedoch den Arbeitskräftemangel, verlangsamt Projekte und bremst die Investitionen. Es ist ein beunruhigendes Paradoxon: Je älter wir werden, desto mehr Wachstum brauchen wir, um die Vorsorge zu finanzieren. Aber je älter wir werden, desto geringer wird unsere Wachstumsfähigkeit.
Wohlstand hängt davon ab
Dieser Teufelskreis muss durch eine klare, kohärente und wettbewerbsfähige Wirtschaftspolitik durchbrochen werden. Der Aufruf des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv, insbesondere auf eine erneute Erhöhung der Lohnbeiträge zu verzichten, ist Teil dieser Perspektive.
Der Vorschlag des Bundesrats reicht nicht aus. Der sgv erwartet eine umfassende Reform, die auf den Grundsätzen der wirtschaftlichen Verantwortung und der intergenerationellen Gerechtigkeit beruht. Der künftige Wohlstand des Landes hängt davon ab.
Simon Schnyder, Ressortleiter sgv
Medienmitteilung sgv «AHV-Reform 2030: Dem Bundesrat fehlt es an Mut»