EU-Dossier: sgv startet breit abgestützten Vernehmlassungsprozess
«Eine sehr bedenkliche Entwicklung»
Regulierungen – Der Bund hat salzigen, süssen und fetthaltigen Nahrungsmitteln den Kampf angesagt. Reduktionen werden angestrebt und Werbeverbote am liebsten schon heute statt morgen umgesetzt. Er macht dabei Druck und verkauft die Massnahmen als freiwillig.
Es war ein denkwürdiger Anblick. Im Februar 2023 posierten Vertreter von 24 Unternehmen des Nahrungsmittelsektors auf einem Foto mit dem damaligen SP-Bundesrat und Innenminister Alain Berset. Anlass war die Unterzeichnung der «Erklärung von Mailand», welche die Reduktion des Zuckergehalts unter anderem in Erfrischungsgetränken zum Ziel hat. Berset liess damals in einer Medienmitteilung jubeln: «Immer mehr Lebensmittelhersteller und Detailhändler sind bereit, freiwillig den Zucker in ihren Lebensmitteln zu reduzieren.»
Nun, gut zwei Jahre später, verhandelt der Bund bereits über neue Ziele. Laut einem Bericht im «Tages-Anzeiger» strebt er bis Ende 2028 eine weitere Reduktion des Zuckergehalts um zehn Prozent an. Das Beispiel zeigt sehr gut, dass sich hinter der vorgeblich, edel tönenden Freiwilligkeit in Form einer Selbstregulierung meist eine grosse Täuschung verbirgt. Denn de facto sind die Reduktionsziele nicht freiwillig. «Der Bund und die Verwaltung machen im Hintergrund Druck», weiss Urs Furrer, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv. «Dieses Vorgehen ist meist einfacher, als einen harten politischen Kampf auszufechten.» Die Operationsbestecke dieser Methode sind: (Ernährungs-)Strategien, Studien, informelle Treffen, Leitfäden inklusive Überwachung und Monitoring. Im Nahrungsmittelbereich dienen vielfach die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO als eine Art Leitstern. Und wenn’s die WHO sagt: Wer wollte da widersprechen?
Formulare füllen statt Brot backen
Nach der erfolgreichen Einführung einer «freiwilligen» Selbstregulierung folgt meist ein ähnliches Muster. «Systematisch versuchen Politik und Verwaltung, die Ziele höherzuschrauben und den Produktekatalog zu erweitern», erklärt Furrer weiter. Einher geht dies mit politischen Vorstössen für gesetzliche Vorgaben. Das Argument: Was freiwillig schon funktioniere, könne nun in Form von Richtlinien und Grenzwerten auch in einem Gesetz oder einer Verordnung stehen. Das ist zwar ein verqueres Staatsverständnis, aber typisch für den links-grünen Zeitgeist des Verbietens, Bevormundens und Gängelns, der auch von massenhaft regulierungswütigen Politikern lebt.
Schliesslich wird der Kreis der Betroffenen ausgedehnt. Und am Schluss ist jede kleinste Bäckerei oder Metzgerei mit einem riesigen Wust an Regulierungen belastet in Form von Produktionsvorschriften und Deklarationsangaben. So, dass den KMU für ihr Kerngeschäft – das Produzieren und Verkaufen – immer weniger Zeit bleibt neben dem Papierkram, der Bewältigung von Kontrollen etc. Also: Anstatt Brot backen zu können, müssen Formulare ausgefüllt werden.
Werbeeinschränkungen: Lange Liste der WHO
Auf einem Nebengleis sorgen andere Akteure für die entsprechende Orchestrierung. So etwa «Bevölkerungsräte», die vorgeben, repräsentativ zu sein, jedoch aus lediglich 100 Personen bestehen. Und bei denen Parlamentsmitglieder und Gesundheitsexperten mithelfen – oder besser gesagt (mit)lenken. Ein solcher Rat forderte kürzlich öffentlichkeitswirksam die Einführung einer Zuckersteuer und Werbeverschärfungen. Da wird Hand in Hand reguliert.
Apropos Werbung: ein weiteres beliebtes Feld von regulierungswütigen Politikern und Verwaltungsangestellten. Das Vorgehen in diesem Bereich folgt einem ähnlichen Muster. Zuerst geht es «nur» darum, die Kinder zu schützen. Am Ende läuft es de facto auf ein generelles Werbeverbot hinaus. Die WHO spielt hier ebenso eine zentrale Rolle. In einem 38-seitigen Dokument listet sie zig süsse, salzige und fetthaltige Produkte auf, bei denen die Werbung für Kinder eingeschränkt werden soll: Süssigkeiten, Energieriegel, Fruchtsäfte, Mineralwasser, Tee, Käse, Joghurt, Frühstückscerealien, Sandwiches, Snacks, Instant-Suppen, ja selbst Brot, Fleischersatz und verarbeitete Früchte und Gemüse. Erfasst wird auch, ob die Produkte künstlich gesüsst sind. «Das ist absurd», sagt Furrer.
Es scheint, als sollten wir alle nur noch geschmacklose Pappe essen. Übrigens: Dass alle angebotenen Produkte zu Hause nachgesüsst oder nachgesalzen werden können, scheint keine Rolle zu spielen. Ebenso wenig wie die Eigenverantwortung des Einzelnen, die Mündigkeit des Konsumenten und die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder: «All das soll – geht es nach Politik und Verwaltung – schleichend an den Nanny State delegiert werden, der uns alle von der Wiege bis zur Bahre an die Hand nehmen will», betont der sgv-Direktor. «Eine sehr bedenkliche Entwicklung.»Rolf Hug
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