Schweizerische Gewerbezeitung: Die Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) ist ein Erfolgsmodell. Das zeigt auch der kürzlich präsentierte Leistungsausweis 2024 (siehe Kasten). Woran liegt das?
Urs Furrer: Die EnAW begleitet Unternehmen aus allen Branchen seit 2001 bei der Umsetzung von Massnahmen zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz und der Reduktion von CO2-Emmissionen.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten Partnerschaft geniesst die Agentur mit ihren Energieberatern ein hohes Vertrauen. Die Berater konnten die Unternehmen erfolgreich dazu motivieren, Massnahmen zu ergreifen, die schlussendlich der Umwelt zugutekommen, und dies, obwohl die Firmen teilweise hohe Investitionen tätigen mussten. Das Engagement der EnAW ist für die Wirtschaft und Industrie ausserordentlich wichtig.
Mit dem Abschluss einer Zielvereinbarung mit der EnAW können sich Unternehmen von der CO2-Abgabe befreien lassen. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) bezeichnete das Ergebnis allerdings als «enttäuschend». Was sagen Sie als Vizepräsident der EnAW dazu?
Die EFK schrieb in ihrem Bericht Anfang 2024, dass die befreiten Unternehmen ihre Emissionen zwischen 2013 und 2020 im Durchschnitt um 19 Prozent gesenkt hätten. Dies entspreche der Leistung der Industrie insgesamt. Doch der Vergleich ist falsch, weil die Unternehmensschliessungen, von denen es mehrere gab, nicht miteinberechnet wurden. Würde man das entsprechend einberechnen, wäre die Ersparnis bei den von der Abgabe befreiten Firmen viel höher als beim Rest der Industrie.
Es scheint, als wolle die Bundesverwaltung die EnAW immer mehr unter ihre FlĂĽgel nehmen. Wie macht sich das bemerkbar?
Es gibt mehrere Beispiele, etwa im Zielvereinbarungssystem, das durch die neue CO2-Verordnung in diesem Jahr deutlich verschärft wurde. Konkret gibt die Verordnung neu einen jährlichen Absenkpfad von 2,25 Prozent vor. Diese Vorgabe ist äusserst rigid und nicht auf das Tempo der jeweiligen Unternehmen und der unterschiedlichen Branchen abgestimmt.
Diese Verschärfungen verursachen massive Zusatzaufwände für die Unternehmen. Sie reduzieren den Nutzen einer Zielvereinbarung mit der EnAW, welche sich jeweils über mehrere Jahre erstreckt. Und sie erhöhen das Risiko einer Verfehlung der Ziele und damit von Sanktionen.
Die Konsequenz ist, dass die Unternehmen keine Zielvereinbarungen mehr abschliessen, da sie entweder die energieintensiven Prozesse ins Ausland verlagern («carbon leakage») oder sich die Investitionen und Kosten einer Zielvereinbarung sparen und die CO2-Abgabe bezahlen. Diese ist übrigens in der Schweiz mit 120 Franken pro Tonne weltweit am höchsten.
Die neue CO2-Verordnung trat im April in Kraft.
Genau. Und zwar rückwirkend auf Anfang 2025, was einem eigentlichen Skandal gleichkommt. Ein grosses Problem ist generell, dass das Parlament in Gesetzen immer mehr «Kann»-Formulierungen benutzt. Das muss aufhören!
«Ich halte das Netto-Null-Ziel bis 2050 für illusorisch.»
Solche «Kann»-Formulierungen verlagern die Kompetenzhoheit an den Bundesrat – und damit de facto an die Verwaltung. In jedem Einzelfall ist dieses «Kann» ein sehr grosser Türöffner für die immer allmächtiger werdende Verwaltung, sich regulatorisch – insbesondere bei Verordnungen – stets noch stärker auszutoben. Zum Schaden der KMU und von uns allen.
Warum ist eine Lösung von der Wirtschaft für die Wirtschaft wie bei der EnAW besser als ein staatliches Modell?
Der Staat darf nur dann subsidiär zum Zug kommen, wenn private Lösungen scheitern, zum Beispiel bei Marktversagen. Ansonsten muss er sich strikt zurückhalten.
Die EnAW als unabhängige Umsetzungsorganisation erarbeitet mit den Unternehmen zusammen die jeweils individuell optimale Lösung. Sie kennt die Herausforderungen der KMU bestens und agiert mit ihnen auf Augenhöhe. Anders der Staat: Er schlägt alles über einen Leisten, ist träge, tritt obrigkeitlich mit der Reitpeitsche in der Hand auf und verbürokratisiert alles – und das zum Schlechteren.
Was sind weitere Herausforderungen im Energie- und Umweltbereich?
Da gibt es viele. Immer mehr Regulierungen und Administration, auch vonseiten der EU, zum Beispiel mit massiven Nachweis- und Berichterstattungspflichten unter dem Deckmantel der «Nachhaltigkeit». Generell will die Verwaltung immer mehr Einfluss nehmen.
Eine EnAW-Umfrage bei den Unternehmen hat ergeben, dass die Investitionskosten, die Energie- und Rohstoffpreise, Regulierungen und insbesondere das Netto-Null-Ziel Herausforderungen darstellen.
Die Schweiz hat sich dieses Netto-Null bis 2050 verbindlich zum Ziel gesetzt. Doch Hand aufs Herz: Ist das ĂĽberhaupt realistisch?
Möchten Sie meine persönliche Meinung wissen?
Gerne.
Ich halte das Netto-Null-Ziel bis 2050 für illusorisch. Für eine vollständig fossilfreie Energieversorgung brauchen wir massiv mehr Strom, gerade auch mit Blick auf neue energieintensive Technologien wie künstliche Intelligenz. Doch Stand heute wissen wir schlicht nicht, woher dieser Strom kommen soll. Neue erneuerbare Energien wie Sonne und Wind sind flatterhaft, produzieren keine – gerade auch für die Industrie – verlässliche Bandenergie und stossen vielfach auf Einsprachen und Blockaden. Selbst der Ausbau der Wasserkraft geht aufgrund von Beschwerden links-grüner Umweltverbänden kaum voran.
«Persönlich bin ich für das Ständemehr.»
Damit die Versorgungssicherheit nicht vollständig gefährdet ist, muss der Bundesrat nun fünf zusätzliche Gaskraftwerke bauen. Das ist das Ergebnis einer falschen ideologischen Energiepolitik, die korrigiert werden muss.
Das meinen Sie wohl mit Blick auf den Ausstieg aus der Atomkraft, welchen Sie im Januar an der sgv-Winterkonferenz in Klosters als Fehler bezeichnet haben.
Genau. Wir brauchen eine verlässliche und kostengünstige Versorgung mit CO2-armem Strom. Und um das Ziel der CO2-Neutralität zu erreichen, muss die Schweiz auf alle verfügbaren Technologien, auch auf die Kernkraft, zurückgreifen können.
Wir müssen eine Deindustrialisierung verhindern und unserer Industrie Sorge tragen. Hierbei muss beachtet werden, dass die letzten Schritte hin zu Netto-Null, bei denen auch noch die gesamten Lieferketten miteinbezogen werden sollen – Scope‑3-Emmissionen genannt –, sehr schwierig wenn nicht unmöglich umzusetzen sind. Hier gilt es Augenmass zu bewahren.
Apropos Strom: Ein Stromabkommen ist Teil des Pakets zwischen der Schweiz und der EU. Doch dazu eine andere Frage: Der Bundesrat hält das Ständemehr beim Vertragspaket mit der EU für unnötig. Was ist Ihre Haltung?
Der sgv wird bei seinen rund 230 Branchen- und Kantonalverbänden einen breit abgestützten Vernehmlassungsprozess über das Vertragspaket durchführen. Eine breite Abstützung des Entscheids über die Vorlage innerhalb des Gewerbes wie auch in der Bevölkerung und in den Regionen ist notwendig. Und damit ist die Antwort gegeben. Persönlich bin ich für das Ständemehr.
Wohl im November stimmen Volk und Stände über die Juso-Initiative ab, welche Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuern und diese Mittel dem Klimaschutz zukommen lassen will. Was ist zu dieser Initiative zu sagen?
Diese Enteignungsinitiative ist brandgefährlich, sie muss an der Urne abgelehnt werden. Sie strebt einen radikalen Systemwechsel hin zum Öko-Sozialismus an und ist ein Totalangriff auf Schweizer Unternehmerfamilien, welche ihr Kapital in den Firmen gebunden haben und enteignet werden sollen. Bei Annahme geht der Wohlstand der Schweiz den Bach runter – inklusive des Sozialstaats. Die Zeche zahlen letztlich das Gewerbe und der Mittelstand – also wir alle.
Interview: Rolf Hug