Publiziert am: 04.07.2025

Die Jugend von heute

Die Debatte um das Frühfranzösisch flackert wieder einmal auf. Begleitet wird sie von der Kritik, dass auch die integrative Schulform gescheitert sei und die Schülerinnen und Schüler nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit viel weniger können würden als die Generationen zuvor. Lesen, Schreiben, Rechnen, Sprachverständnis, überall droht – nimmt man die Klagen zum Nennwert – der Untergang des Abendlands im Allgemeinen und der Schweiz im Speziellen.

«Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.» Diese Klage des griechischen Philosophen Sokrates hat sich über 2500 Jahre abendländische Geschichte von Generation zu Generation weiter tradiert. Erwachsene vergessen sehr schnell, wie sie als Jugendliche die Erwachsenenwelt herausforderten mit einem Verhalten, das sie – älter geworden – den neuen Jugendlichen vorwerfen können. Schülerinnen und Schüler können seit jeher gewisse Dinge nicht mehr, die frühere noch konnten. Sie können dafür Neues, was frühere Generationen noch nicht konnten.

Selbstverständlich stehen die Schulen vor enormen Herausforderungen. Ebenso selbstverständlich ist die Anspruchshaltung und der Erwartungsdruck seitens gewisser Eltern, was die staatliche Schule zu leisten habe, für die Lehrpersonen eine zusätzliche Herausforderung. Sie werden an den Hochschulen als Pädagogen ausgebildet, nicht als Experten für den Umgang mit schwierigen Kunden. Lehrpersonen werden genauso mit Bürokratie und unzähligen Verpflichtungen ausserhalb ihres Kerngeschäfts, des Unterrichtens, eingedeckt wie die meisten KMU.

Die Schulen sollen aus Sicht der Erwachsenen sämtliche Defizite an den Kindern korrigieren oder auffangen, für die die Eltern keine Zeit, Lust oder Kompetenz haben. Dabei ist der Erziehungsauftrag auch heute noch wesentlich bei den Eltern, nicht bei den Schulen. Diese haben im Kern einen Bildungsauftrag. Selbstverständlich sind pädagogische Situationen immer auch «erziehend», aber immer mehr wird davon delegiert an den Staat, das heisst die Schulen.

Die Diskussionen, ob, für wen und ab wann Frühfranzösisch in den Schulen der deutschsprachigen Schweiz Sinn macht, eignen sich gut für Meinung aus eigener Expertise, die halt eben nur die eigene ist und die das Gesamte ausser Acht lässt. Mir persönlich fehlt bei dieser Diskussion immer etwas das Bewusstsein, dass die Vielsprachigkeit der Schweiz nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine staatspolitische Dimension hat. Wesentlich für den Zusammenhalt eines vielsprachigen Landes wie der Schweiz ist der gemeinsame politische Wille, dem Sprachfrieden Sorge zu tragen, indem man das Verstehen und das Verständnis der anderssprachigen Kultur fördert, indem man die jungen Menschen darin ausbildet. Anstatt den Französischunterricht als Herausforderung anzunehmen, setzt man lieber die Anforderungen runter, weil es angeblich «überfordere» – und klagt nachher, dass die Kinder nicht mehr so viel können, wie man selbst glaubte, gekonnt zu haben. Kinder und Jugendliche können mehr, als wir denken. Aber wir müssen es ihnen so beibringen, dass sie ihre Leistungsbereitschaft auch richtig einsetzen können. Wenn die Politik die Anforderungen selbst immer runtersetzen will, muss sie sich nicht wundern, wenn Kinder und Jugendliche sich daran anpassen. Aufwand und Ertrag optimal zu verbinden, gehört ins Einmaleins nicht nur von Unternehmern, sondern auch von Schülerinnen und Schülern im Promotionssystem Schule.

Etwas mehr Leistungswille seitens der Politik, etwas mehr Anforderungsbereitschaft, und damit verbunden das Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler, die mehr können, als wir und manchmal sie selbst wissen. Statt an Stundentafeln rumzubasteln.

Wer sich wieder einmal etwas kulturpessimistisch fühlt, dem rate ich gerne zum Besuch einer der vielen Feiern zu Berufsbildungsabschlüssen, Maturafeiern oder andern Anlässen, wo Jugendliche ihre Diplome bekommen. Sie fanden und finden ja gerade jetzt landauf, landab statt. Wer dort sieht, wie viele Jugendliche stolz sind auf das von ihnen Erreichte, auf ihre Leistungen, und mit welcher Leistungsbereitschaft sie sich auf die nächsten Schritte freuen, der erkennt: Auch ein intelligenter Mensch wie Sokrates hat nicht immer recht. Aber auch die Irrtümer der Philosophen sind langlebig.

* Gerhard Pfister, NR ZG, ehemaliger Präsident Die Mitte Schweiz

die-mitte.ch, gpfister.ch

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