Publiziert am: 04.07.2025

Geschichte und Nostalgie auf Schienen

SBB Historic – Die Stiftung Historisches Erbe der SBB macht der Öffentlichkeit die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des Bahnlandes Schweiz zugänglich. Dazu gehört eine Fahrzeugsammlung geschichtsträchtiger Ikonen der Schweizer Bahngeschichte. Geschäftsleiter Mario Werren gibt einen Einblick, wie innovativ die Schweizer Bahnen schon immer waren.

Schweizerische Gewerbezeitung: Was sind bis jetzt die grössten Meilensteine von SBB Historic?

Mario Werren: SBB Historic wurde 2001 im Rahmen der Umwandlung der SBB in eine AG gegründet mit dem Ziel, Zeitzeugnisse der Schweizer Bahngeschichte zu sammeln, konservieren, dokumentieren, archivieren und der Bevölkerung zugänglich zu machen. Die umfangreiche Sammlung historisch bedeutender Gegenstände und Dokumente hat kontinuierlich zugenommen – wir besitzen u. a. eine bedeutende Plakat- und Fotosammlung. Ein zentrales Element unserer Arbeit ist die Sicherung und Erschliessung der historischen Archive der SBB und ihrer Vorgängerbahnen– ein gewaltiger Schatz an Dokumenten und Plänen, der noch längst nicht vollständig erschlossen ist. Auch das Archiv der schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) ist Teil unseres Bestands und wurde fachgerecht aufgearbeitet. Zudem gehören 200 Fahrzeuge zu unserem Bestand, davon halten wir rund 40 betriebsbereit. Damit ermöglichen wir jedes Jahr Erlebnis- und Charterfahrten mit historischen Zügen aus unterschiedlichen Epochen. Ein Highlight stellte letztes Jahr die Eröffnung der Ausstellung «Berg.Strecke. Die Geschichte der Gotthardbahn.» im durch die SBB neu sanierten Depot Erstfeld dar. Sie zeigt die Geschichte des Baus der Gotthardstrecke, die massgeblich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz geprägt und den Anschluss der Schweiz an Europa ermöglicht hat.

Welche Bedeutung hat das historische Erbe der SBB fĂĽr unser Land?

Die SBB und ihre Vorgängerbahnen haben die Entwicklung der modernen Schweiz sowohl wirtschaftlich, technologisch wie auch gesellschaftlich geprägt. Der Bau von Linien wie der Gotthardbahn war nicht nur eine technische Herausforderung, sondern ein entscheidender Schritt in der Vernetzung des Landes und der Anbindung an Europa. Ein bedeutender Meilenstein war die Elektrifizierung des Bahnnetzes, in der die Schweiz europaweit führend war. Auch die gesellschaftliche Rolle der Bahn wandelte sich: Ursprünglich diente die Bahn vor allem dem Güterverkehr, Reisen waren Luxus. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie zum Verkehrsmittel für alle und Teil der zentralen Infrastruktur. Heute ist die Schweizer Bahn ein Symbol nachhaltiger Mobilität und international ein Vorbild.

Welche Bilanz können Sie für das Jahr 2024 auf Schienen ziehen?

Für SBB Historic war 2024 – insbesondere in Bezug auf die Besucherzahlen an unseren Standorten, ein Rekordjahr. Das Depot Erstfeld und die Ausstellung «Berg.Strecke. Die Geschichte der Gotthardbahn.» und unsere weiteren Standorte in der Schweiz waren ein grosser Publikumsmagnet. Auch unsere Erlebnisfahrten erfreuten sich erneut grosser Nachfrage.

Sie verfĂĽgen ĂĽber 200 Fahrzeuge. Wie stellen Sie den Unterhalt und die Instandhaltung Ihres Rollmaterials sicher, respektive wo befinden sich die Fahrzeuge und wie werden sie gehegt und gepflegt?

Unser Rollmaterial ist auf verschiedene Standorte in der ganzen Schweiz verteilt. Rund 40 unserer insgesamt etwa 230 historischen Fahrzeuge sind betriebsbereit und werden instandgehalten – dies gemäss den geltenden europäischen Vorgaben für historische Fahrzeuge. So ist es möglich, weiterhin Fahrten auf dem stark befahrenen Netz der SBB anzubieten. Der Fahrzeugunterhalt ist technisch anspruchsvoll. Ein grosser Teil der Arbeiten wird in Olten ausgeführt, insbesondere an elektrischen Fahrzeugen, während in Brugg vor allem die Dampflokomotiven betreut werden. Die Instandhaltung erfolgt durch unser eigenes Fachteam von SBB Historic – in enger Zusammenarbeit mit engagierten Partnervereinen, die uns dabei unterstützen.

Gerade bei der Wiederinbetriebnahme ganzer historischer Zugflotten braucht es oft hoch spezialisiertes Know-how. So lassen wir etwa bestimmte Arbeiten auch im Ausland durchführen – ein aktuelles Beispiel ist der historische Zug aus den 1930er-Jahren, bei dem auch Arbeiten in Italien erledigt werden. Kompetenzen sind rar geworden, deshalb wird auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit immer wichtiger.

Was sind die grössten Herausforderungen bei der Instandhaltung des historischen Rollmaterials?

Eine der zentralen Herausforderungen liegt in der Sicherung des technischen Know-hows für kommende Generationen. Historische Lokomotiven und Wagen benötigen spezielles Fachwissen – sei es im Bereich Dampf-, Elektro- oder mechanischer Antriebstechnik. Dieses Wissen weiterzugeben und langfristig zu erhalten, ist für uns entscheidend. Gleichzeitig müssen unsere Fahrzeuge auch den technischen und regulatorischen Anforderungen des heutigen und zukünftigen Bahnnetzes entsprechen. Das betrifft sowohl die Sicherheitsvorschriften, aber auch die Kompatibilität mit moderner Infrastruktur. Wir bewegen uns zwischen Authentizität und Betriebssicherheit – und das ist eine grosse Herausforderung.

Was sind weitere Trouvaillen Ihrer vielen Schienenfahrzeuge?

Der legendäre «Trans-Europ-Express», oder TEE, der mit seinem eleganten Design und Komfort einst internationale Bahnreisen neu definierte, gehört natürlich dazu. Aber auch die «Spanisch-Brötli-Bahn», die Nachbildung des ersten Schweizer Zuges von 1847, der «Rote Pfeil», die elegante Schnelltriebwagen-Ikone der 1930-er Jahre, und natürlich unsere vier «Krokodile», die regelmässig auf Erlebnisfahrten zu sehen sind. Eine besondere Trouvaille wird der 1930er-Jahre-Zug sein, der aktuell restauriert und ab 2027 im Einsatz sein wird.

Die Bibliothek von SBB Historic ist über 100 Jahre alt. Was sind die besonderen «Schätze der Bibliothek», und ist sie öffentlich zugängig?

Die Bibliothek von SBB Historic ist öffentlich und für alle Interessierten nicht nur vor Ort, sondern auch von zu Hause aus zugänglich: Wir bieten auch Postversand oder Kurierlieferung in eine Bibliothek in der Nähe an. Eine wichtige Quelle für das Zeitgeschehen rund um die Eisenbahn ist das «SBB-Nachrichtenblatt», eine Zeitschrift, die seit 1924 erschien. Bei den Kundinnen und Kunden besonders nachgefragt sind die Kursbücher, also die gedruckten Fahrpläne, und die SBB-Beamtenverzeichnisse. Letztere werden oft zur Suche nach Vorfahren genutzt.

Was sind die nächsten Projekte und Ausstellungen von SBB Historic?

Die Sanierungsprojekte der SBB für unsere Standorte sowie der Umzug unserer Geschäftsstelle nach Olten sind ein zentrales Ziel von SBB Historic. Die Restaurierung des 1930er-Jahre-Zuges geniesst zudem einen hohen Stellenwert. Ziel ist es, pünktlich zum Jubiläum 2027 einen wesentlichen Teil dieses eleganten Zuges wieder betriebsbereit zu präsentieren. Geplant ist die Aufarbeitung von zwei Speisewagen, wovon der legendäre Ringhoffer-Speisewagen Dr22, je zwei Wagen der 1. und 2. Klasse, einem Zweit- und Drittklassewagen sowie einem Gepäckwagen. Um dieses Projekt langfristig zu ermöglichen, werden wir im Laufe des Jahres einen «1930er-Jahre-Club» gründen. Die Idee orientiert sich an dem erfolgreichen Modell zur Restaurierung des TEE-Zugs, der heute ein Highlight unserer Fahrzeugsammlung ist. Wir suchen aktiv nach Sponsoren, die mithelfen möchten, die Schweizer Bahngeschichte auch zukünftig erlebbar zu machen.

Wir investieren ferner in die Weiterentwicklung unserer technischen Instandhaltungsprozesse, damit unsere Fahrzeuge auch künftig den technischen und regulatorischen Vorgaben entsprechen und sicher auf dem Schienennetz verkehren können. Die Online-Vermittlung unserer Archive und Sammlungen wird für unsere Kundschaft immer wichtiger. Dort arbeiten wir aktuell daran, diesen Zugang zukünftig noch attraktiver und benutzerfreundlich zu gestalten.

Interview: Corinne Remund

SBB Historic

Die Stiftung Historisches Erbe der SBB, oder SBB Historic, wurde im Jahr 2001 im Zuge der Umwandlung der Schweizerischen Bundesbahnen in eine Aktiengesellschaft gegründet. Ziel war es, das historische Erbe der SBB zu sichern und unabhängig von der operativen Bahntätigkeit weiterzuführen. Der Zweck der Stiftung besteht darin, das kulturelle Erbe des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz zu bewahren, zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Zentrum steht dabei die Geschichte der Schweizer Bahnen – insbesondere der SBB – in ihren technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen. «Uns ist wichtig, dass Bahngeschichte aktiv erlebbar wird», sagt Mario Werren, Geschäftsleiter SBB Historic. SBB Historic ist deshalb weniger ein klassisches Museum, sondern eine lebendige Plattform, auf der historische Fahrzeuge fahren, Zeitzeugen zu Wort kommen und Archive zugänglich sind. «Wir wollen der breiten Bevölkerung ermöglichen, die Geschichte des öffentlichen Verkehrs hautnah zu erleben – sei es bei Sonderfahrten, Veranstaltungen oder Archivbesuchen.»

Der administrative Geschäftssitz der Stiftung befindet sich in Windisch. Darüber hinaus betreiben wir in vielen weiteren Regionen der Schweiz Standorte, dies auch dank der guten Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen. CR

www.sbbhistoric.ch

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