Publiziert am: 04.07.2025

Nach uns die Sintflut

AHV – Der Ständerat hat in der Som­mer­session dem grössten Ausbau des Sozialstaats seit Jahrzehnten zu­ge­stimmt – auf Kosten der KMU, der jüngeren Generation, der Erwerbs­be­völkerung und der Konsumenten. Notwendige strukturelle Massnahmen für unser wichtigstes Vorsorgewerk sieht er jedoch nicht vor. Der National­rat muss diesen Kurs dringend korrigieren.

Es ist die grösste Ausgabenerhöhung, die seit Jahren beschlossen wurde. Am 12. Juni, mitten in der Sommersession, hat der Ständerat auf Betreiben einer Mitte-Links-Mehrheit einer gleichzeitigen Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Lohnbeiträge zugestimmt. Das exorbitante Preisschild dieses Entscheids beträgt jährlich bis zu neun Milliarden Franken.

Offiziell soll diese Massnahme die vom Volk angenommene 13. AHV-Rente finanzieren. In Wirklichkeit geht sie jedoch weit darüber hinaus: Sie dient auch dazu, die Finanzierung eines anderen kostspieligen Projekts vorzuziehen, die Aufhebung des AHV-Rentenplafonds für Ehepaare, wie ihn eine Initiative der Mitte-Partei fordert. Jedoch wurde diese Initiative weder im Parlament diskutiert geschweige denn an der Urne bestätigt. Es ist daher verfrüht und politisch fragwürdig, bereits jetzt die Finanzierung gesetzlich festzuzurren. Das verwischt die Verantwortlichkeiten, untergräbt das Vertrauen in das System und schwächt die Grundlagen für eine rigorose Steuerung unserer sozialen Vorsorge.

Weniger Lohn, teurere Produkte

Durch diesen Entscheid werden die Steuerzahler, die Erwerbstätigen und die Unternehmen doppelt bestraft: Einerseits würde die Mehrwertsteuer auf 9,1 Prozent steigen, was den Konsum verteuert. Andererseits würden die Lohnbeiträge an die AHV um 0,8 Prozentpunkte erhöht, was die Arbeitskosten verteuert. Oder, kurz auf den Nenner gebracht: Die Lohntüte soll gemäss Ständerat schrumpfen, die Produkte im Gegenzug teurer werden. Das alles soll geschehen, ohne dass diese zusätzlichen Belastungen von irgendwelchen Sanierungsmassnahmen begleitet werden. Die finanzielle Verantwortung wird über Bord geworfen zugunsten einer Verteilungspolitik mit der Giesskanne – ohne jede Gesamtstrategie.

Diese Entscheidung ist umso mehr zu kritisieren, als sie in einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld erfolgt. Die KMU sind mit erodierenden Gewinnspannen, immer mehr Vorschriften und Regulierungen und einem zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert. Selbst eine geringfügige Erhöhung der Arbeitskosten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, zu investieren, innovativ zu sein und Nachwuchs auszubilden. Die angebliche Kompensation des Anstiegs der Lohnabgaben durch eine Senkung der Beiträge an die Arbeitslosenversicherung ist ein reiner Taschenspielertrick, welcher den dauerhaften Anstieg der Arbeitskosten lediglich kaschieren soll.

Weniger Erwerbstätige, mehr Rentner

Auch das Signal, das im Bereich der Vorsorge gesendet wird, ist besorgniserregend. Indem der Ständerat diese Erhöhungen ohne strukturelle Gegenmassnahmen verabschiedet hat, rückte er die notwendige grundlegende Reform der AHV in den Hintergrund. Dabei weiss jeder, dass sich unser System in einem zunehmenden Ungleichgewicht befindet. Ab 2030 werden jährlich zwischen drei und fünf Milliarden Franken fehlen, um die Finanzierung sicherzustellen – unabhängig von neuen Versprechungen. Die demografische Alterung beschleunigt und das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern verschlechtert sich. Trotzdem werden keine ernsthaften Massnahmen hinsichtlich des Rentenalters oder der Leistungsgerechtigkeit in Betracht gezogen. Die Politik agiert kurzfristig nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.

Glücklicherweise ist der parlamentarische Prozess noch nicht abgeschlossen. Das Dossier geht nun an die zuständige Kommission des Nationalrats. Es ist von grösster Bedeutung, dass der Nationalrat den aktuellen Kurs korrigiert. Die vom Volk angenommene 13. AHV-Rente muss ausbezahlt werden, keine Frage. Für deren Finanzierung braucht es jedoch eine Verknüpfung mit einer umfassenden Strukturreform. Hierfür müssen die Wurzeln des Problems angepackt und der Fokus auf die demografische Alterung, die Arbeitsanreize und die Generationengerechtigkeit gelegt werden – und nicht auf die Ausweitung der Leistungen. Denn: Es ist bereits eine gewaltige Herausforderung, die schon bestehenden Leistungen nachhaltig zu gewährleisten, ohne die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu gefährden oder die Ungleichheiten zwischen den Generationen zu vergrössern. Jede heute beschlossene Erweiterung wird morgen aufgrund der demografischen Dynamik umso schwerer wiegen.

Die Schweiz kann nicht weiterhin teure Versprechen ohne nachhaltigen Plan abgeben. Es ist an der Zeit, zu einer verantwortungsvollen Vorsorgepolitik zurĂĽckzukehren, die die Nachhaltigkeit des Systems in den Vordergrund stellt und sich auf wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen stĂĽtzt. Denn bevor wir umverteilen, mĂĽssen wir erst einmal Wohlstand schaffen. Das sollten wir nicht vergessen.Simon Schnyder, Ressortleiter sgv

SGV-PRÄSIDENT LANCIERT IDEE für eine unabhängige Expertengruppe

Der präsentierte Fahrplan für die AHV-Reform 2030 ist völlig ungenügend

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv und der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) fordern eine nachhaltige und generationengerechte Reform der AHV. Beide Verbände unterstützen deshalb das von bürgerlichen Parlamentariern um den svg-Präsidenten und Tessiner Mitte-Ständerat, Fabio Regazzi, eingereichte Postulat zur Einsetzung einer unabhängigen Expertengruppe. «Diese soll fundierte und tragfähige Vorschläge entwickeln, um die AHV langfristig zu sichern und die Wirtschaft sowie die nachfolgenden Generationen nicht übermässig zu belasten», sagt Regazzi. Die Experten sollen aufzeigen, wie die Lebensarbeitszeit substanziell erhöht werden kann – zum Beispiel durch flexible Regelung des Rentenalters oder eine schrittweise Anhebung des Rentenalters mit sozialverträglichen Übergängen. Ausserdem sollen sie Varianten steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Anreize erarbeiten, die die Arbeit über das Rentenalter hinaus attraktiver gestalten. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen im Rahmen der AHV-Reform 2030 setzen vor allem auf zusätzliche Einnahmen, etwa durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Lohnabgaben.

www.sgv-usam.ch

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