55 569 – so viele Staustunden zählte das Bundesamt für Strassen (ASTRA) 2024 auf den Schweizer Nationalstrassen. Dies entspricht einer Zunahme von 13,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und damit einem neuen Staurekord. Zum Vergleich: 2018 belief sich die Zahl der Staustunden noch auf etwas über 27 000. In den letzten sieben Jahren haben sich die Staus also verdoppelt.
«Die Kapazitätsgrenze des Nationalstrassennetzes wird immer stärker ausgereizt.»
Nun entfalten sich die fatalen Folgen des Volksentscheids von letztem November, auf dringend benötigte Engpassbeseitigungsprojekte zu verzichten.
Das Nationalstrassennetz platzt aus allen Nähten
Der Grund für die Stauexplosion ist schnell gefunden: Die Kapazitätsgrenze des Nationalstrassennetzes wird immer stärker ausgereizt. So sind 87 Prozent der Staus auf Verkehrsüberlastungen zurückzuführen. Entgegen der intuitiven Wahrnehmung entstehen hingegen nur etwa vier Prozent der Staus durch Baustellen. Vergleicht man den Anstieg der letztjährigen Staustunden – plus 13,9 Prozent – mit dem Verkehrszuwachs – plus 0,7 Prozent – so wird schnell klar, dass erstere überproportional wachsen. Weil das Netz überlastet ist, führen schon kleine Zwischenfälle wie beispielsweise der Handorgeleffekt zu grossen Verzögerungen.
Staus behindern vor allem KMU
Hauptleidtragende dieser Staus sind auch die KMU. Denn einerseits stecken bei Stau die Mitarbeitenden fest. Sie verbringen viel Zeit damit, auf freie Durchfahrt zu warten, anstatt produktiven Tätigkeiten nachzugehen. Dies verschärft den schädlichen Fachkräftemangel noch zusätzlich. Andererseits stecken auch Waren auf der Strasse fest, wenn sich Lieferungen verzögern. Und ohne Rohstoffe oder Bauteile ist das Weiterarbeiten oft nicht möglich. Beides schwächt die Planungssicherheit der KMU, bringt ihre Zeitpläne durcheinander und behindert ein effizientes Arbeiten. Die logische Folge sind höhere Kosten. Und diese tragen nicht nur die KMU, sondern auch die Allgemeinheit – mit höheren Preisen für Produkte und Dienstleistungen.
sgv fordert gezielte Investitionen
Das ASTRA reagiert gemäss eigenen Angaben mit Verkehrsmanagementmassnahmen und langfristiger Netzpflege auf die steigenden Stauzahlen. Dazu gehört unter anderem auch die temporäre Umnutzung der Pannenstreifen, um eine zusätzliche Fahrspur zur Verfügung zu stellen. Die ursprünglich geplanten Engpassbeseitigungsprojekte werden – gemeinsam mit den Projekten für die Schieneninfrastruktur – aktuell durch die ETH Zürich im Rahmen des Projekts «Verkehr ’45» überprüft. Die Resultate dieser Analyse sind gemäss Angaben des ASTRA noch dieses Jahr zu erwarten und werden den Grundstein für die künftigen verkehrspolitischen Entscheidungen legen.
Denn Effizienzsteigerungsmassnahmen sind erfahrungsgemäss früher oder später ausgeschöpft. Für den Schweizerischen Gewerbeverband sgv ist klar, dass die Schweiz ohne gezielte Nationalstrassenprojekte, die bestehende Engpässe beheben, nicht weiterkommt. Dass solche Projekte wirken, zeigt sich beispielhaft beim Gubristtunnel: Mit der Eröffnung der dritten Tunnelröhre konnten die Staustunden um fast 90 Prozent reduziert werden. Der sgv fordert daher auch künftig gezielte, punktuelle Investitionen in die Nationalstrasseninfrastruktur. Damit diese ihre Funktionsfähigkeit behält und ihre Vernetzungsfunktion zum Nutzen der KMU auch künftig wahrnehmen kann.
Michèle Lisibach,
Ressortleiterin sgv