Schweizerische Gewerbezeitung: Unlängst hat die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) mitgeteilt, dass sie die Prämien erneut senkt. Sie sind Inhaberin eines Metallbau-KMU mit rund 80 Angestellten und zehn Lehrlingen. Hat Sie diese Ankündigung gefreut?
Diana Gutjahr: Ja, grundsätzlich freut mich das. In unserem Betrieb sind die Suva-Prämien seit fünf bis sechs Jahren leicht rückläufig. Wir bezahlen insgesamt einen mittleren sechsstelligen Betrag pro Jahr. Die Suva macht sicherlich eine gute Arbeit. Trotzdem stehe ich ihr sehr kritisch gegenüber.
Inwiefern?
Ich bin der Suva-Prämie ausgeliefert, weil wir dort pflichtunterstellt sind. Ich kann nicht wählen, bei wem ich versichert sein will, geschweige denn kann ich mittels Offerten abschätzen, ob die Prämien risikogerecht sind. Ich habe schon bei der Suva nachgehakt, wie die Prämien genau zustande kommen. Aber da wird jeweils gemauert.
Sie erhalten keine detaillierten Informationen?
Nicht wirklich. Die Suva teilt Betriebe anhand der Haupttätigkeit in Tarifklassen und Unterklassenteile ein, um das Unfallrisiko branchenspezifisch zu bewerten.
Unser KMU, die Ernst Fischer AG, ist mit rund 129 weiteren Firmen derselben Kennzahl zugeteilt. Diese Klasse umfasst Betriebe im Bereich Metallbau, Stahlbau und verwandte industrielle Tätigkeiten mit mittlerem bis höherem Unfallrisiko. Die Suva will mir nicht sagen, wer diese anderen Unternehmen sind. Ich möchte das wissen, da ich nicht glauben kann, dass es so viele gleich gelagerte Betriebe gibt. Es macht mit Blick auf die Unfallkosten einen Unterschied, ob ein Metallbauer vor allem produziert oder auf Montage geht.
Es herrscht eine grosse Intransparenz.
Wie argumentieren die Zuständigen der Suva, wenn Sie nachhaken?
Sie schweifen schnell ab und verweisen auf die Zuständigkeit beim Vollzug. Der Gesetzgeber wolle das so. Doch möchte man im Parlament etwas ändern oder fordert – wie ich einst – eine Aufhebung ihres Teilmonopols, dann wehrt sich die Suva mit Händen, Füssen und finanziellen Mitteln dagegen. Damit ist die Suva faktisch ihr eigener Gesetzgeber, auch wenn sie das vehement bestreitet. Die Corporate Governance wie auch die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht vom Bund wird nicht eingehalten.
Sie kritisieren ausserdem, dass die Suva ihre Fälle in jüngerer Zeit schneller in die Krankentaggeldversicherung abschiebt. Wie kommen Sie darauf?
Ich habe das selbst festgestellt, und andere Betriebe haben es auch so an mich herangetragen. Selbst Suva-Mitarbeiter haben mir diese Praxis hinter vorgehaltener Hand bestätigt.
Wenn ein Angestellter einen Velo- oder Arbeitsunfall hat und sich dabei das Knie kaputt macht, dann zahlt die Suva nur eine Zeit lang – vielleicht drei, vier oder fünf Monate. Wenn die Person danach aufgrund ihres Unfalls immer noch arbeitsunfähig ist, heisst es seitens Suva, es sei nun krankheitsbedingt. Es spielt dabei keine Rolle, ob es ein Berufs- oder Nichtberufsunfall ist. Damit geht der Fall zur jeweiligen Krankentaggeldversicherung des Unternehmens über.
Was ist daran problematisch?
Diese Fälle schlagen bei den KMU individuell auf die Prämien für das Krankentaggeld (KTG) durch. Für meine Firma ist eine KTG-Versicherung aufgrund unseres Gesamtarbeitsvertrages obligatorisch. KMU ohne KTG-Versicherungen müssen diese Kosten selbst schultern, was eine hohe finanzielle Belastung darstellt.
«Wenn jemand länger nicht arbeitet, macht das krank.»
Zudem haben KTG-Versicherungen im Vergleich zur Suva meist wenig Interesse an Massnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Suva schliesst die Fälle also zu früh ab und schiebt sie einer anderen Versicherung zu. Dies führt zu hohen Kosten bei KMU und es leidet zudem die Arbeitsmarktintegration.
Sie verlangen mit einer Motion, dass KTG-Versicherungen gegen Entscheide der Unfallversicherer Beschwerde erheben können. Was erwarten Sie von dieser Änderung?
Ich will damit diese Fallabschiebepraxis der Suva eindämmen. Ausserdem erhoffe ich mir, dass die Versicherer die Fälle genauer anschauen und dadurch mehr Transparenz herrscht und ein Austausch stattfindet. Wenn ich heute meine KTG-Versicherung auf neue – vielleicht unzulässig – von der Suva zugewiesene Fälle anspreche, dann höre ich, man könne gegen diese Praxis nichts unternehmen. Mit dem Beschwerderecht hätten die KTG-Versicherungen neu eine Handhabe, und sie wären aufgefordert, die Fälle genauer und arbeitsplatzbezogen zu prüfen.
Welche Auswirkungen hätte dieses Beschwerderecht auf die Prämien?
Es dürfte die in den letzten Jahren stark gestiegenen KTG-Prämien stabilisieren. Mein Unternehmen zahlt hier mittlerweile einen hohen fünfstelligen Betrag. Man darf nicht vergessen, dass KTG-Leistungen über einen sehr langen Zeitraum ausbezahlt werden – bis zu 720 Tage.
Zudem würde durch die erhöhte und arbeitsplatzbezogene Transparenz die Qualität der Fallprüfungen durch die Unfallversicherer gesteigert, was insgesamt eine effizientere Nutzung der Ressourcen im Sozialversicherungssystem fördern würde.
Der Nationalrat hat vor gut einem Jahr Ihr Postulat zur KTG-Versicherung angenommen. Darin rufen Sie den Bund dazu auf, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, und fordern Massnahmen, wie Krankschreibungen am Arbeitsplatz verringert werden können. Warum ist das nötig?
Krankschreibungen und Absenzen am Arbeitsplatz nehmen zu, insbesondere aufgrund psychischer Probleme. Das ist eine tickende Zeitbombe für die gesamte Gesellschaft. Oberstes Ziel muss sein, dass die Menschen möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess, in eine Tagesstruktur, integriert werden.
Mir scheint es jedoch, dass wir Unternehmer noch die Einzigen sind, die an einer schnellen Integration und einer Senkung der explodierenden Kosten interessiert sind. Das hängt mit unserer Gesetzgebung zusammen, die heute so ausgestaltet ist, dass überall nur nach Gründen gesucht wird, weshalb jemand nicht arbeiten kann.
Hier müssen wir dringend Gegensteuer geben. Denn es ist doch so: Wenn jemand länger nicht arbeitet, macht das krank.
All diese Fehlentwicklungen lassen sich bereits im Kleinen beobachten. So stelle ich fest, dass die Ärzte seit Corona generell eher fünf- anstatt dreitägige Absenzen ausstellen. In der Politik wiederum will man das Übel nicht an der Wurzel packen, sondern es kursieren oberflächliche, ja kontraproduktive Lösungen, wie zum Beispiel ein Obligatorium der KTG-Versicherung. Ein solches würde die Kosten weiter explodieren und die Prämien der Unternehmen noch stärker in die Höhe schnellen lassen.
Der Bundesrat bezeichnete kürzlich die finanzielle Situation der IV als «bedenklich». Zudem stehen zig Forderungen im Raum, um den Sozialstaat weiter auszubauen – Stichworte 13. Rente, Aufhebung des Ehepaar-Plafonds bei der AHV, Elternurlaub, Kita-Zulagen und so weiter. Was sagen Sie als Vorstandsmitglied des sgv dazu?
Wir werden anscheinend stetig wehleidiger und entwickeln uns immer mehr zu einer Wohlfühl- und Freizeitgesellschaft mit Vollkaskomentalität und Null-Risiko-Charakter. Jedes noch so teure «nice to have» soll vom Staat bezahlt werden. Das alles wird dann jeweils als «gratis» verkauft – als ob das Geld auf den Bäumen wachsen würde. All diese übertriebenen Giesskannenprojekte, bei denen Nutzen und Ertrag keine Rolle zu spielen scheinen, werden von den Arbeitnehmern, den KMU und dem Mittelstand bezahlt. Und zwar über höhere Lohnabgaben und steigende Mehrwertsteuern, was sich unter anderem negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkt und die Produkte verteuert. Solche politischen Forderungen kommen interessanterweise immer von denjenigen, die bei jeder Gelegenheit den Kaufkraftverlust beklagen.
Die Jungsozialisten wollen Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuern. Wie wären die KMU und der Werkplatz Schweiz davon betroffen?
Diese Initiative wäre der Todesstoss für die KMU-Landschaft Schweiz. Denn Unternehmer haben ihr Kapital in der Firma gebunden. Und machen wir uns nichts vor: Käme diese linksextreme Enteignungsinitiative durch, stünden sogleich politische Forderungen im Raum, die Vererbungsschwelle systematisch zu senken, bis sie irgendwann nahe null Franken läge und das Vererben generell nicht mehr möglich wäre.
Die Sozialisten wettern ĂĽber den Kapitalismus, und wollen diesen abschaffen. Doch leben sie einzig vom Griff in die Tasche der Kapitalisten. Unehrlicher und heuchlerischer geht es kaum! Interview: Rolf Hug