Die Schweizer Wirtschaft steht unter Druck. Internationale Handelskonflikte, geopolitische Unsicherheiten und zunehmender Protektionismus bremsen das Wachstum. Gleichzeitig leidet der Standort unter hausgemachten Problemen: Fachkräftemangel, steigende Regulierungskosten und wachsende Staatsausgaben. Besonders betroffen sind die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die 99,8 Prozent aller Firmen in der Schweiz stellen und rund zwei Drittel aller Arbeitsplätze sichern.
Der Schweizerische Gewerbeverband sgv fordert deshalb ein umfassendes Revitalisierungsprogramm, das sich auf drei Pfeiler stützt: einen schlankeren Staat, mehr Produktivität und einen diversifizierten Aussenhandel.
Ein schlankerer Staat – Regulierung kostet 70 Milliarden
Die Regulierung frisst enorme Ressourcen: Schätzungen zufolge betragen die Regulierungskosten hierzulande rund 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts – das sind etwa 70 Milliarden Franken pro Jahr. Für viele KMU bedeutet dies: zusätzliche Mitarbeitende allein für Formularwesen und Compliance statt Investitionen in Innovation oder Wachstum.
Der sgv fordert deshalb ein Regulierungsmoratorium, damit die Flut neuer Vorschriften gebremst wird. Gesetze sollen regelmässig überprüft und überflüssige Regelungen gestrichen werden. Auch beim Staatspersonal besteht Handlungsbedarf: In den letzten Jahrzehnten ist das Stellenwachstum überproportional im öffentlichen Sektor erfolgt, was den Fachkräftemangel im Privatsektor verschärft. Der sgv verlangt deshalb eine klare Begrenzung des staatlichen Stellenwachstums.
Bei den Finanzen gilt: Die bewährte Schuldenbremse darf nicht aufgeweicht und Subventionen sollen kritisch überprüft werden. Tiefe Abgaben und einfache Steuern sind entscheidend, um die Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb attraktiv zu halten.
Mehr Produktivität – Bildung, Arbeit, Innovation
Die zweite Säule ist die Steigerung der Produktivität. Dafür setzt der sgv auf mehrere Hebel: Die Schweiz profitiert erstens seit Jahren von einem flexiblen Arbeitsrecht. Doch starre Vorgaben wie das Verbot spontaner Sonntagsarbeit oder zu enge Ruhezeitregelungen passen nicht mehr in die Realität moderner Arbeitswelten. Der sgv fordert eine Ausweitung des täglichen Arbeitszeitrahmens von 14 auf 17 Stunden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Mindestlöhne oder staatlich angeordnete Lohngleichheitskontrollen lehnt der sgv ab – sie würden die Anpassungsfähigkeit von KMU schwächen.
Zweitens die Berufsbildung: Rund 70 Prozent der Jugendlichen entscheiden sich für eine Lehre – ein Erfolgsmodell, das im Ausland oft kopiert wird. Doch die akademische Bildung wächst schneller: Die Zahl der Hochschulabschlüsse steigt deutlich stärker als jene in der höheren Berufsbildung.
Um gegenzusteuern, fordert der sgv die Einführung von «Professional Bachelor»- und «Professional Master»-Titeln, die die Durchlässigkeit erhöhen und die Attraktivität steigern sollen. Jährlich stehen 15 000 KMU vor einem Generationswechsel – ohne gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte drohen Lücken.
Drittens die Regulierungskostenbremse: Mit einer verbindlichen Bremse sollen neue Belastungen systematisch verhindert werden. Ein Beispiel zeigt den Bedarf: Der bürokratische Aufwand bei Baugesuchen ist in manchen Branchen das grösste Investitionshemmnis. Verfahren dauern oft Jahre, bevor eine Betriebserweiterung oder Modernisierung umgesetzt werden kann.
Viertens Energie und Klima: Statt auf einseitige Klimavorgaben setzt der sgv auf Technologieneutralität. Subventionitis und nationale Alleingänge – etwa bei der Verschärfung von Nachhaltigkeitsberichten oder der Einführung neuer «Swiss Finish»-Regeln – belasten KMU und gefährden deren Wettbewerbsfähigkeit.
Fünftens die Raumplanung und die Mobilität: Angesichts knapper Flächen fordert der sgv eine pragmatische Raumplanungspolitik, die Schutz und Nutzung in Balance hält. Gleichzeitig muss die Verkehrsinfrastruktur dringend erweitert werden: Strassen und Schienen stossen heute schon an ihre Kapazitätsgrenzen, während der Güter- und der Personenverkehr weiter wachsen.
Diversifizierter Aussenhandel – mehr Freihandel für die Schweiz
Die Exportnation Schweiz lebt vom Zugang zu den Weltmärkten. Über 45 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die EU, knapp 20 Prozent in die USA – eine hohe Abhängigkeit von zwei Partnern. Angesichts geopolitischer Spannungen fordert der sgv eine breite Diversifizierung des Aussenhandels – konkret: den raschen Abschluss weiterer Freihandelsabkommen, etwa mit Vietnam, Australien, Nigeria und Kenia – sowie die rasche Inkraftsetzung der Abkommen mit Thailand, Malaysia und dem Mercosur, um Schweizer Unternehmen Exportmärkte zu erschliessen und den Zugang zu Rohstoffen und Halbfabrikaten zu erleichtern.
Zwar wurden vielfach Zölle abgeschafft, doch technische Vorschriften und Zulassungsregeln bremsen den Austausch weiterhin. Der sgv plädiert für unilaterale Anerkennungen von Standards wie FDA-Zulassungen, um den Marktzugang zu vereinfachen. Ausserdem müssen wir den «Swiss Finish» bekämpfen. Strengere Regeln als in der EU – etwa im Lebensmittel- oder im Chemikalienrecht – bedeuten Mehrkosten und Wettbewerbsnachteile für Schweizer Firmen.
Zudem fordert der sgv ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus. Nur mit einer regelbasierten Welthandelsordnung können KMU auf faire Bedingungen zählen.
Ein Programm fĂĽr die Zukunft
Das Revitalisierungsprogramm ist kein kurzfristiges Konjunkturpaket, sondern ein langfristiger Plan für die Sicherung des Standorts. Die Botschaft ist klar: weniger Staat, mehr Produktivität, breiterer Aussenhandel.
Für die über 600 000 KMU in der Schweiz, die mehr als zwei Drittel aller Arbeitsplätze schaffen, geht es um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit. Damit sie weiterhin Innovation, Wohlstand und Beschäftigung sichern können, braucht es jetzt entschlossenes Handeln in Politik und Verwaltung.
Patrick DĂĽmmler, Ressortleiter sgv
www.sgv-usam.ch/revitalisierung
www.kmu-entlasten.ch
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