Die Betreuung von pflegebedürftigen Personen durch Angehörige gewinnt im Schweizer Gesundheitssystem zunehmend an Bedeutung. Ohne dieses Engagement wären die Kosten für Sozialversicherungen und öffentliche Hand deutlich höher. Seit dem Bundesgerichtsentscheid von 2019, der die Entlöhnung von pflegenden Angehörigen über die obligatorische Krankenpflegeversicherung erlaubt, stellen sich jedoch drängende Fragen: Wie kann diese Form der Solidarität gefördert werden, ohne Fehlanreize zu schaffen oder die Kosten übermässig steigen zu lassen?
Eine unverzichtbare Ressource
Rund 600 000 Menschen in der Schweiz kümmern sich regelmässig um ein erkranktes Familienmitglied, den Partner oder ein Kind. Ihr Einsatz ermöglicht es vielen Betroffenen, zu Hause zu bleiben, und entlastet Institutionen und Versicherungen. Dieses Engagement vermeidet erhebliche Kosten, bringt jedoch auch Belastungen mit sich: reduzierte Erwerbstätigkeit, Einkommenseinbussen, Lücken in der Vorsorge sowie psychische Überlastung. Für KMU, die ohnehin unter Fachkräftemangel leiden, macht sich jeder zusätzliche Ausfall von Mitarbeitenden deutlich bemerkbar.
Rasches Wachstum und fehlende Transparenz
Seitdem bestimmte Organisationen Angehörige anstellen und ihre Leistungen der Krankenversicherung verrechnen können, sind die Kosten stark angestiegen. In einzelnen Kantonen hat sich das abgerechnete Stundenvolumen innert wenigen Jahren verfünffacht. Gemäss parlamentarischen Schätzungen sind die Kosten innert zwei Jahren von 18 auf über 60 Millionen Franken gestiegen. Auf die gesamte Bevölkerung umgelegt, sind dies zwar nur rund acht Franken pro Versicherten und Jahr, doch die Dynamik ist besorgniserregend.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Transparenz fehlt. Leistungen von pflegenden Angehörigen werden in den Gesamtstatistiken der Spitex geführt und nicht separat ausgewiesen. «Damit lässt sich weder die tatsächliche Entwicklung verlässlich beurteilen noch ein Vergleich der Kosten und der Qualität ziehen», sagt Marcel Durst, Geschäftsführer der Association Spitex privée Suisse ASPS.
Rahmen muss präzisiert werden
Der Verband der privaten Spitex-Organisationen weist darauf hin, dass es klare gesetzliche Grundlagen braucht. Entscheidend ist die Abgrenzung zwischen Pflegeleistungen im medizinischen Sinn und reinen Betreuungsaufgaben. Nur erstere dürfen zulasten der obligatorischen Krankenversicherung abgerechnet werden. In der Praxis bleibt diese Grenze oft unklar. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen konkretisiert werden, damit Mittel effizient eingesetzt werden.
Gleichzeitig ist die Qualität ein zentrales Thema. Wenn Angehörige als Leistungserbringende anerkannt werden, müssen sie denselben Standards entsprechen wie die klassische Spitex. Die Kantone sind gefordert, diese Qualität zu überwachen. Zudem sind die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu klären, um Grauzonen bei Anstellung und Arbeitszeit zu verhindern. Nicht zuletzt wäre eine getrennte Kostenrechnung zwischen traditioneller Spitex und Angehörigenpflege ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz.
Tragende Säule des Systems
Die Angehörigenpflege ist Chance und Herausforderung zugleich. Sie entlastet das System, kann jedoch ohne klare Regeln zu einem unkontrollierten Kostentreiber werden. Entscheidend ist eine Balance zwischen der Anerkennung des familiären Engagements, der Transparenz der Kosten und einheitlichen Qualitätsstandards. Nur so bleibt die familiäre Solidarität eine tragende Säule des Systems, ohne dessen finanzielle Nachhaltigkeit oder das Vertrauen der Versicherten zu gefährden.ssc
www.spitexprivee.swiss