Publiziert am: 07.11.2025

Bürokratie, Zentralismus und Paragraphenflut!

Wer die neuen EU-Verträge und den Bericht des Bundes­rats aufmerksam gelesen hat, der weiss: Liberal und demokratisch ist daran gar nichts. Bund und Kantone würden mit neuen Regulierungen und Bürokratie überflutet. Die Gewerbebetriebe hätten die Folgen zu tragen. Umso unverständlicher ist die unkritische Haltung gewisser bürgerlicher Parlamentarier.

Die Weiterführung des bilateralen Wegs sei eine strategische Notwendigkeit, meinte Nationalrat Simon Michel an der Delegiertenversammlung der FDP. Bundesrat Ignazio Cassis ergänzte: «Unsere direkte Demokratie bleibt erhalten.» Laut Ständerat Matthias Michel ist die Rechtslage klar: Das EU-Vertragspaket brauche keine Verfassungsänderung und somit auch kein doppeltes Mehr. Diese Voten zeigen: Offenbar hat die Mehrheit der FDP-Votanten das Vertragspaket gar nicht studiert.

Ähnlich ist es bei Verbänden wie der economiesuisse. Wer ernsthaft behauptet, nur 4,3 Prozent der Abkommen, welche die Schweiz mit der EU hat, seien von der Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme betroffen, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er dieses Dossier wirklich verstanden hat.

Belastung für Kantone

Aus liberaler Sicht ist der Föderalismus zentral für die Freiheit: Zentralstaaten neigen zu Bürokratie und Überregulierung. Daher ist es wichtig, möglichst viel auf kantonaler Ebene zu regeln. Mit dem neuen EU-Vertragspaket passiert jedoch genau das Gegenteil. Die neuen Verträge umfassen zahlreiche Bereiche, für die in der Schweiz die Kantone oder Gemeinden zuständig sind. Das heisst: Gegenüber der EU würden Bundesvertreter Sachen unterschreiben, für die sie gar nicht zuständig sind. Das neue Vertragspaket stellt die verfassungsmässige Kompetenzordnung auf den Kopf.

Der Bundesrat hat die Schwachstelle erkannt: Mitten in der Vernehmlassung schlägt er vor, eine Vereinbarung mit den Kantonen abzuschliessen, um diese besser in die Aussenpolitik des Bundes einzubinden. Auch dies ändert aber nichts daran, dass die Kantone künftig zwar Recht übernehmen müssen, aber nichts dazu zu sagen haben. Alle haben es gemerkt – ausser der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK). Warum die KdK kein Ständemehr will für Verträge, welche die Kompetenzen der Kantone einschränken, bleibt ein Rätsel.

Parlament ausgeschaltet

Dass das Parlament künftig ausgeschaltet wäre, scheinen diverse National- und Ständeräte nicht zu realisieren. Die Schweiz kann sich nur in der informellen Phase des «Decision Shaping» einbringen. In dieser Phase des Austausches liegt meistens noch gar kein ausformuliertes Gesetzesprojekt vor. Sobald es konkret wird, haben wir nichts mehr zu sagen. Die fertigen Beschlüsse muss die Schweiz dann aber sofort übernehmen: Die «dynamische Rechtsübernahme» ist das zentrale Ziel der EU. Die Rechtsordnung in Europa soll Schritt für Schritt vereinheitlicht werden. Dazu gehört, dass neue Regulierungen umgehend und flächendeckend gelten – nur dies schafft Rechtssicherheit. Allerdings nur für die EU – nicht für die Schweiz, die ihre Rechtsordnung laufend anpassen müsste.

Dass dagegen kaum mehr Referenden möglich sind, liegt auf der Hand. Wenn der Bundesrat sagt, an den demokratischen Rechten ändere sich nichts, entspricht dies nicht der Wahrheit. Parlament und Kantone hätten nicht mehr viel zu sagen. Auch Initiativen wären massiv erschwert, nachdem das Bundesgericht schon heute EU-Recht über Verfassungsrecht stellt. Wo die Schweiz noch entscheiden kann, drohen Ausgleichsmassnahmen. Entscheidungsfreiheit sieht anders aus.

Liberalen Kompass verloren

Wem eine föderalistische Staatsordnung, liberale Rahmenbedingungen, Freiheit und Prosperität am Herzen liegen, der muss diese Verträge ablehnen. Für die Wirtschaft, das Gewerbe und die Attraktivität des Standorts Schweiz ist dies elementar. Der Gewerbeverband will das Vertragspaket kritisch prüfen. Ein weiser Entscheid.

* Gregor Rutz ist Jurist, Zürcher SVP-Nationalrat und Präsident der IG Freiheit. Als Unternehmer führt er eine Agentur für Kommunikations- und Strategieberatung und ist Teilhaber einer Weinhandlung.

www.gregor-rutz.ch

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