Bald ist es ein Jahr her, dass das Volk sechs Nationalstrassenprojekte zur Engpassbeseitigung abgelehnt hat. Kurz darauf wurde bekannt, dass es bei den geplanten Bahnausbauprojekten zu massiven Finanzierungs- und Umsetzungsproblemen kommt. Daher beschloss der Bund, eine gesamtheitliche Neubeurteilung aller Projekte – Schiene, Strasse und Agglomerationsprogramme – vorzunehmen. Das entsprechende Gutachten der ETH Zürich unter dem Titel «Verkehr ’45» liegt nun vor.
Gutachten empfiehlt fokussierte Strategie
Das Gutachten bezieht sich auf die Periode 2025–2045 und unterteilt die Projekte in sechs Prioritätsstufen. Beurteilt wurden die Projekte nach ihrer Relevanz, den generellen Lösungsansätzen, der Wirkung und den Kosten. Bezüglich des finanziellen Rahmens wurde bei den Nationalstrassen- und den Agglomerationsprojekten mit denselben Mitteln wie bisher angenommen gerechnet. Bei den Bahnprojekten wurden zwei verschiedene Varianten erarbeitet – in der Höhe der bereits bewilligten Mittel sowie mit erhöhten Mitteln –, wobei die Beschaffung der zusätzlichen Mittel noch geklärt werden müsste.
Das Gutachten empfiehlt für die Periode 2025–2045 eine fokussierte Strategie mit Priorität auf Schlüsselprojekte. Dies bedingt zwar Verzichte, bzw. Reduktionen von geplanten Projekten. Dadurch seien jedoch robuste Verbesserungen der Verkehrsnetze möglich, was in der Folge neue Spielräume ermöglichen würde. Mit einer situativen Strategie würde man hingegen Gefahr laufen, die Behebung akuter Engpässe weiter zu verschieben, wodurch die Verlässlichkeit der Netze nicht mehr gewährleistet wäre. Insgesamt schliesst der Bericht damit, dass alle Projekte, welchen höchste Priorität zugewiesen wurde, finanzierbar seien. Wobei noch zusätzliche Mittel für weitere Projekte zur Verfügung stünden, welche dann jedoch vereinfacht oder durch alternative Lösungen ersetzt werden müssten. Klar ist gemäss dem Gutachten ausserdem, dass Mobility Pricing Engpässe nicht zu beseitigen vermag, dass Kapazitätserweiterungen häufig unumgänglich sind und dass Digitalisierung und Automatisierung künftig neue Möglichkeiten eröffnen werden.
Weiteres Vorgehen aufgegleist
Auf Basis der Erkenntnisse dieses Gutachtens wird der Bundesrat nun entscheiden, welche Projekte er in die nächsten Ausbauschritte aufnehmen will. Anschliessend sollen sämtliche Projekte in einer einzigen Vernehmlassungsvorlage gebündelt werden – eine neue Ausgangslage also, denn bisher wurden Schiene, Strasse und Agglomerationsprogramme stets in eigenständigen Paketen beraten. Die entsprechende Vernehmlassungsvorlage soll bis Mitte nächsten Jahres vorliegen, wobei der Bundesrat für die Bundesbeschlüsse über den Nationalstrassen- und Bahninfrastrukturausbau weiterhin separate Referendumsmöglichkeiten vorsieht.
KMU brauchen zuverlässige Infrastrukturen
Für den Schweizerischen Gewerbeverband sgv ist klar, dass die KMU auf eine zuverlässige und zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur – allen voran über die Nationalstrassen – angewiesen sind. Daher ist es unerlässlich, dass die Bedürfnisse der KMU in den künftigen Überlegungen und Entscheidungen konsequent einbezogen werden.
Dass der ursprünglich geplante Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen kein kompletter Schlag ins Wasser war, zeigt sich darin, dass vier der sechs Projekte den ersten beiden Prioritätsstufen zugeordnet werden. Dem sgv ist allerdings auch bewusst, dass künftig eine bessere Abstimmung der Projekte, und insbesondere eine stärkere Verknüpfung mit den anderen Verkehrsträgern, nötig ist, um breit akzeptierte, wirksame und finanzierbare Lösungen zu finden.
Die Aufgabe, aus den neuen Erkenntnissen ebensolche Lösungen zu entwickeln, liegt nun bei der Politik. Der sgv wird sich in den kommenden Prozessen für eine solide Verkehrsinfrastruktur für die KMU starkmachen.
Michèle Lisibach, Ressortleiterin sgv